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Vernetztes NAi

Das »Nieuwe Instituut« in Rotterdam will Architektur, Design und Medien zusammendenken
Vernetztes NAi

Vernetztes NAi
[1] Seit 1993 residiert das NAi in einem von Jo Coenen entworfenen Neubau am Museumpark Rotterdam
Als zentraler Ort für alle Aspekte der Architektur in den Niederlanden und als größtes Architekturzentrum weltweit hat sich das Nederlands Architectuurinstituut (NAi) in Rotterdam einen Namen gemacht. Doch die goldenen Zeiten sind vorüber, die aktuelle Sparpolitik zwingt zum Umdenken. Das NAi musste mit zwei weiteren Institutionen fusionieren und geht nun zusammen mit diesen Partnern neue Wege.

~Elizabeth Sikiaridi, Frans Vogelaar

Im internationalen Vergleich ist der Architektursektor in den Niederlanden über lange Zeit hinweg ausnehmend großzügig subventioniert worden. Diese Architekturförderung, die seit Mitte der 80er Jahre die Entwicklung und internationale Etablierung der niederländischen Architekturszene ermöglichte, lässt sich vor dem Hintergrund der besonderen Entwicklungsbedingungen dieses Landes leicht verstehen. Als künstliche, dem Meer abgetrotzte Landschaft und geformter Polder haben die Niederlande den gestalterischen Berufen seit jeher eine prägende Rolle in der Formung der nationalen Identität zuerkannt.
Doch die allgemeine Wirtschaftskrise hat auch das niederländische Baugewerbe erfasst. Mit dem zunehmenden Leerstand und Stillstand im Immobilienmarkt steigt seit 2009 die Arbeitslosigkeit und fallen die Umsätze bei den Architekten – der ehemalige »SuperDutch« [1] steckt in der Krise. Laut dem »Centraal Bureau voor de Statistiek« (Zentralbüro für Statistik) fiel im Jahr 2012 der Umsatz der Architekturbüros um 22 % niedriger aus als im Vorjahr und die Anzahl der Neubauwohnungen war im Jahr 2011 auf dem niedrigsten Niveau seit 1953, dem Beginn der statistischen Erfassung.
Der Logik des Neoliberalismus folgend, sieht sich der europäische Kontinent einer starken Sparpolitik unterzogen. Im Zuge von Haushaltssanierungen ist durch Subventionskürzungen auch der niederländische Architektursektor betroffen. Die Kürzungen gefährden derzeit die Existenz einer ganzen Reihe von Institutionen, darunter die lokalen Architekturzentren (»Architectuur Lokaal«), das »Berlage Instituut« für Postgraduierte, der »Archiprix«-Wettbewerb« oder die Rotterdamer Architekturbiennale.
Im Kontext der allgemeinen Konsolidierung wurde vom zuständigen Kulturministerium beschlossen, das »Nederlands Architectuurinstituut« (NAi), das »Netherlands Institute for Design and Fashion« (Premsela Stiftung) und das Institut »Virtueel Platform«, das für die digitale Kultur zuständig ist, zusammenzuschließen. Aus der Fusion Anfang 2013 ist »Het Nieuwe Instituut« (Das Neue Institut) hervorgegangen, das im Gebäude des alten NAi residiert und sich als Plattform zur Förderung der »kreativen Industrie« versteht. Sein Leiter Guus Beumer führte zuvor den eigenständigen NAi-Ableger in Maastricht und war auch Direktor des dortigen Kunstzentrums Marres.
Die Wortwahl »Industrie« ist kennzeichnend für die Neuorientierung der Kulturpolitik und impliziert eine Arbeitsweise, die mehr auf Eigenfinanzierung setzt und somit eine kommerziellere Ausrichtung dieses Kulturinstituts mit sich bringt. Bereits Mitte 2011 war das NAi infolge des Drucks Kooperationen mit privaten Unternehmen aus der Bau- und Möbelindustrie eingegangen.
Die Partner-Institute können jeweils eine umfangreiche und höchst erfolgreiche internationale Bilanz vorweisen. Seit Jahren haben sie den professionellen Diskurs und die Berufspraxis beeinflusst und die um sie herum gruppierten fachlichen Netzwerke unterstützt und mitgeformt. Ihre Zwangsvereinigung kam daher nur unter Protest der jeweiligen Berufsgruppen und der Institute selbst zustande. Dennoch steckt in der Fusion auch ein hohes Innovationspotenzial, das gerade aus Architektursicht umso relevanter wird, je größer die Probleme werden, mit denen die Zunft zu kämpfen hat.
Hybridisierung
Im Rahmen der inhaltlichen Neukonzeption des Neuen Instituts wurden Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar hinzugezogen, um ihre Expertise einzubringen. Ihr interdisziplinäres Studio »Hybrid Space Lab« kombiniert Forschung, Entwicklung und Entwurf und konzentriert sich auf die hybriden Felder, die durch die Kombination und das Zusammenkommen von Umgebungen und Objekten mit Netzwerken und Dienstleistungen heute, im Informations- und Kommunikationszeitalter, entstehen.
Das Hauptaugenmerk bei der inhaltlich-konzeptionellen Annäherung lag v. a. auf den gemeinsamen neuen Perspektiven, die durch die Zusammenführung der gestalterischen Arbeitsfelder entstehen [2]. Schließlich erleben wir zurzeit nicht nur eine Hybridisierung der verwandten Disziplinen Architektur und Design und der digitalen Kultur, sondern auch der kreativen Arbeitsfelder im breiteren Kontext.
Die Kunstpraxis transzendiert seit den späten 60er Jahren die Grenzen der traditionellen künstlerischen Medien wie z. B. der Skulptur und der Malerei und entwickelt sich in Richtung einer »post-medium condition«, wie von Rosalind Krauss beschrieben [3]. Oftmals verschmelzen innerhalb eines einzigen künstlerischen Projekts Malerei und Skulptur, Film, Ton und interaktive Medien miteinander.
Charakteristisch für die letzten Jahrzehnte ist auch die Verwischung der Grenzen zwischen Gestaltung und autonomer Kunst. Der Niederländer Joep van Lieshout ist nur einer unter vielen »hybriden« Künstlern, die sich gleichzeitig in den angewandten Arbeitsfeldern von Architektur und Design wie auch im Markt der autonomen Kunst zu Hause fühlen. So wie auch Tobias Rehberger, der als bildender Künstler Architekturen und raumfüllende Installationen gestaltet, und für seine Cafeteria im zentralen Ausstellungspalast der Biennale in Venedig 2009 den Goldenen Löwen bekam.
Vernetzung
Wo die Arbeitsgebiete der kreativen Produktion zusammenkommen, bildet das universelle Werkzeug Computer eine Brücke, die die unterschiedlichen Bereiche Musik, Grafik-Design, Architektur, Objekt-Design, Video und Medien-Design miteinander kommunizieren lässt und komplexe Informationen überhaupt erst handhabbar macht.
Die digitalen Technologien unterstützten die Verflechtung und Verschmelzung von Umgebungen und Objekten mit Dienstleistungen und Prozessräumen, sie ermöglichen es, komplexe Strukturen zu entwerfen und komplexe dynamische Prozesse zu steuern – Aufgaben, die auf Designer und Architektur vermehrt zukommen werden. Das klassische Objektdesign setzt sich zunehmend mit ökologischen Kreisläufen, mit partizipativen Entwurfsumgebungen und dezentralen Produktionsmethoden wie z. B. FabLabs [4] sowie mit Nutzerinteraktionen auseinander.
Bei der Konzeption architektonischer und urbaner Räume zieht ein solcher prozessorientierter Entwurfs- und Planungsansatz auch die Vielzahl der Zyklen einer Stadtlandschaft in Betracht: die Mehrfachnutzung und Mehrfachkodierung von Räumen, die Lebenszyklen der Bausubstanz, die Zwischennutzungen sowie die Konversion bestehender Strukturen. Es spielen Energiekreisläufe eine Rolle, die Architektur tritt als Energiewandler auf (Plus-Energiehäuser, Plus-Energiestädte), dazu kommen Überlegungen zur Ästhetik der Energielandschaft aber auch zu Materialrecycling wie z. B. beim »Cradle to Cradle«-Prinzip« (s. db 6/2011, S. 78), das Bauabfall als Ressource betrachtet.
Der Fokus von Architekten und Stadtplanern verschiebt sich von der Gestaltung von Räumen hin zur Programmierung von Prozessen. Da die digitalen Medien die gesellschaftliche Kommunikation im Allgemeinen verändern – man denke an vernetzte Zusammenarbeit, Open Source oder Wikipedia – und sich dabei neue Erwartungshaltungen in Bezug auf Diskussion und Mitwirkung aufbauen, entsteht eine vermehrte Nachfrage nach fachlich versierten Moderatoren. Die Bandbreite reicht von der Koordination einer Baugruppe im kleineren Maßstab bis hin zum partizipativen Stadtentwicklungsprojekt.
Gleichtzeitig mit der Hybridisierung der Arbeitspraktiken erleben wir heute auch eine zunehmende Spezialisierung innerhalb der einzelnen gestalterischen Fachgebiete. Die steigende Menge und Komplexität des Fachwissens bringt auch immer enger gesteckte berufliche Profile der gestalterischen Akteure, insbesondere der Architekten, mit sich. Das neue »hybride« Institut in Rotterdam soll mit der ganzheitlichen Betrachtung der komplexen gestalterischen Aufgaben und Arbeitsfelder gegen diese Verengung der Perspektiven angehen. Es wird sich hoffentlich auch als das interdisziplinäre Laboratorium erweisen, in dem die sich beschleunigenden technologischen Entwicklungen auf den Gebieten von Informations-, Nano-, Bio- und Neurotechnologie zusammengeführt werden, um zur Qualitätssteigerung unserer Umwelt eingesetzt werden zu können.
Mit seinem interdisziplinären Ansatz bietet das Neue Institut die Chance, den aufkommenden Herausforderungen gerecht zu werden und damit die Architektur und den Urbanismus der Niederlande (wieder) an der Spitze der technischen, kulturellen und gesellschaftlichen Innovation zu positionieren.
Die Autoren, Prof. Elizabeth Sikiaridi und Prof. Frans Vogelaar, sind Gründer von Hybrid Space Lab, einer interdisziplinären Plattform, die sich auf der Grundlage einer innovativen und ganzheitlichen Haltung räumlichen Aufgaben widmet. Designer, Architekten, Urbanisten, Landschaftsarchitekten und Umweltplaner arbeiten mit Soft- und Hardware-Ingenieuren sowie Medienkünstlern an kombinierten analog-digitalen urbanen, architektonischen und Design-Projekten zusammen.
[1] s. Bart Lootsma: SuperDutch. Neue niederländische Architektur, DVA, München 2000
[2] Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar: „Rebooting (Dutch) Design« in »The Design Journal«, Band 15, Heft 4, 2012, Seiten 479-491
[3] Rosalind Krauss: »A Voyage on the North Sea: Art in the Age of the Post-Medium Condition«, Thames & Hudson, London 2000
[4] FabLabs (engl. fabrication laboratory) sind offene, demokratische High-Tech-Werkstätten mit dem Ziel, industrielle Produktionsverfahren für Einzelstücke zur Verfügung zu stellen.
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