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Unter Beschuss

Diskurs
Unter Beschuss

In diesen Tagen ist es wichtig, sich als überzeugter Europäer zu geben. Einfach ist es allerdings nicht. Denn die Leistungen

~Christian Holl

der europäischen Einigung in der Vergangenheit und die Dringlichkeit, für die Zukunft gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden, stehen auf der einen Seite, auf der anderen steht das Europa der Gegenwart: Das der zynischen Grenzabschottung. Das der nationalen Egoismen. Das Europa der Bürokratie, die z. B. fast für das Aus des EU-Jugendorchesters gesorgt hätte. Es ist das Europa der sogenannten Harmonisierung, die im Dienst einer neoliberalen Wachstums- und Freihandelspolitik steht. Mit dieser Politik wird die Vielfalt Europas blind über einen Kamm geschoren. Begünstigt werden große Unternehmen und Strukturen. Stets wird dabei das Argument der Wettbewerbsfähigkeit ins Feld geführt, nicht achtend, dass sich gerade die Kleinteiligkeit von Industrie und Gewerbe als besonders resistent gegenüber Krisen erwiesen hat.
Die einmal in Gang gesetzten Mühlen mahlen gründlich. Die Architektur- und Planungskultur in Deutschland könnte das bald hart treffen. Da ist zum einen das Vertragsverletzungsverfahren gegen die HOAI, an dem die EU festhält (s. db 9/15, S. 3). In der HOAI werden unverhältnismäßige und nicht gerechtfertigte Hindernisse im Bereich der freiberuflichen Dienstleistungen gesehen. Die HOAI ist aber Teil der historischen und spezifischen Entwicklung unseres Architektenmarkts. Die (online verfügbare) Stellungnahme, mit der sich die Bundesarchitektenkammer für die HOAI einsetzte, ist rundum überzeugend. Dass sie bislang nicht zum Erfolg geführt hat, bestätigt den Vorwurf, den die BAK ebenfalls erhoben hat: Die Kommission führe, so heißt es, »unstrukturierte Scheinbegründungen an, die eine vertiefte und vor allen Dingen sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik vermissen lassen«. Das ist deutlich. Nachteile für ausländische Architekten, die sich hier niederlassen wollen, können nicht nachgewiesen werden. Die Zahl der in Deutschland niedergelassenen Büros ist im Gegenteil von 2008 bis 2014 von 35 000 auf über 41 000 gestiegen – kaum sonst in Europa ist die Bürodichte vergleichbar hoch. Wo werden hier Hindernisse ausgemacht?
Die HOAI verhindert die ruinöse Preiskonkurrenz, sie fördert einen Wettbewerb, der nicht über den Preis geregelt ist. Sie ist daran gekoppelt, dass in Deutschland Architekten ein Werk und keine Dienstleistung schulden. Sie gewährleistet nicht nur Anbietern ein gewisses Honorar und fördert so die strukturelle Vielfalt, die die Architektenszene in Deutschland ausmacht, sie schützt auch den Verbraucher vor überzogenen Honorarforderungen des Architekten. Und vor schlechter Leistung: Die in der HOAI festgelegten Mindestsätze versetzen Architekten in die Lage, auch tatsächlich zu erfüllen, was von ihnen erwartet werden muss. Deutschland ist in Europa der mit Abstand größte Markt für Architektendienstleistungen – das weckt offensichtlich Begehrlichkeiten. Denn es gibt keinen Grund für die Abschaffung der HOAI. Sie hindert lediglich die am Zugang zu einem attraktiven Markt, denen Qualitätssicherung kein Anliegen ist.
Aber es ist nicht nur die drohende Abschaffung der HOAI, die Sorgen bereitet. Erst kürzlich hat die ehemalige Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem Freihandelsabkommen CETA das Planungsrecht ausgehöhlt und der Gestaltungsspielraum von Ländern und Kommunen eingeschränkt wird. An der Frankfurt University of Applied Sciences fand im Mai eine Veranstaltung statt, die auf die Risiken für das Planen und Bauen hinwies, die sich mit TTIP verbinden – für das berüchtigte Abkommen ist CETA die Blaupause. Was zu hören war, ist beängstigend. Die Rekommunalisierung von Betrieben würde ausgeschlossen. Die Herabzonierung im Rahmen von B-Planverfahren könnte als indirekte Enteignung gewertet und entsprechende Wertverluste eingeklagt werden. Investitionen in Immobilien könnten auf der Basis prognostizierter Erträge bewertet werden, Regulierungen im Sinne von sozialen oder ökologischen Kriterien, die diese Erträge mindern, könnten Gegenstand von Klagen werden. Es droht ein mehr, als ohnehin schon üblich, am Gewinn Privater orientierter Städtebau.
Es scheint aber, dass nicht jeder darauf warten will, bis mit CETA und TTIP die gängige Planungspraxis ausreichend erodiert ist. So muss sich Deutschland in Brüssel auch dafür rechtfertigen, dass unser Planungsrecht den Kommunen die Möglichkeiten gibt, die Ansiedlung von Einzelhandelsunternehmen in den Randbereichen der Städte zu beschränken. Basis ist die Unterscheidung von zentren- und nichtzentrenrelevanten Sortimenten – die Stärkung der Innenstädte und gemischter dichter Strukturen ist maßgeblich daran geknüpft. Fällt dieses Instrument, ist die Stadt- und Regionalplanung eines wichtigen Regulativs beraubt. Öffentlich oder transparent ist allerdings auch in diesem Verfahren wenig – man ist auf Spekulationen angewiesen. Vertrauensbildend ist das nicht.
Europa ist ein Projekt, das sich immer neu erfinden muss. Derzeit hat man den Eindruck, dass zu viele handelten, als sei grundsätzlich alles besprochen und man müsse nun nur noch mit aller Gründlichkeit das auf hohen Ebenen Vereinbarte abarbeiten, koste es was es wolle. So wird letztlich genau das zerstört, was die Basis des europäischen Markts ist: das Vertrauen der Bürger in ein Europa, das mehr als nur ein Markt ist.
Christian Holl arbeitet als freier Autor und Publizist und ist Geschäftsführer des BDA Hessen.
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