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Die unkreative Zerstörung des Münchener Gasteigs

Die Wettbewerbsentwürfe zur Umgestaltung des Kulturzentrums verheißen nichts Gutes
Die unkreative Zerstörung des Münchener Gasteigs

Es gibt kaum ein jüngeres Bauwerk, das in 30 Jahren so viel geleistet hat und immer noch anstandslos leistet wie der Gasteig in München.

~Ira Mazzoni

Der Gasteig (benannt nach seinem Standort, dem gachen = steilen Steig hinauf zum Isarhochufer) ist das größte Kulturzentrum Europas. Wenn man so will das Centre Pompidou oder das Barbican von München. In den Gasteig kommen jährlich mehr als 2 Mio. Besucher. Denn in dem Komplex befindet sich nicht nur die zentrale Stadtbibliothek mit Kinder- und Jugendbücherei und die Volkshochschule, sondern die Hochschule für Musik und Theater und allen voran die Philharmonie. Es gibt drei Konzertsäle, eine Studiobühne und einen Vortragssaal. 1 700 Veranstaltungen im Jahr kann das Zentrum verbuchen. Darunter auch das große Münchener Film-Festival. Dazu kommen noch all die tausend Angebote der VHS. In den Foyers und den Gängen summt und brummt es den ganzen Tag. Aber die Atmosphäre ist stets entspannt, angenehm ruhig. Entworfen hat diese großartige soziale Skulptur auf dem Gelände des kriegszerstörten Bürgerbräus mit gigantischen 445.000 m³ umbauten Raums das Architektenteam Raue, Rollenhagen, Lindemann und Grossmann – 1975 war der Sieg im Wettbewerb für ein neues Kultur- und Bildungszentrum ihrer. Bis zur Eröffnung der Philharmonie 1985 wurde das Büro mit immer neuen, teuren Wünschen traktiert. Der damals obligate Ziegelbau mit sorgfältig gesetztem Sichtmauerwerk außen wie innen (am Ort gab es seit dem Mittelalter Ziegelbrennereien) steht heute ganz selbstverständlich da. Von Alter und Abnutzung keine Spur. Nur die rund 280 Anlagen der Haustechnik, vom Klima bis zur Sprinkleranlage machen langsam schlapp.

Ist das Grund genug einen Architektur-Wettbewerb für die »Generalsanierung« auszuloben und dabei auf die Chuzpe der neun geladenen und 17 ausgewählten Architekten zu hoffen, den seit seiner Entstehung als Trutzburg oder gar als Flakturm diffamierten Bau respektlos neu zu stylen? Muss die Philharmonie wirklich neu gebaut werden, um die bemängelte Akustik in den Griff zu bekommen? Müssen die kleineren Säle alle vergrößert werden, um den Gasteig noch besser zu vermarkten? Muss die Publikumsfläche der Stadtbibliothek um 30 % wachsen, nur damit Studenten Arbeitsplätze haben, die sie in der Universitäts- und der Staatsbibliothek nicht finden? Müssen sämtliche Institutionen für mindestens sechs Jahre in Ausweichquartiere umziehen, die auch erst geschaffen werden müssen? Muss eine soziale Skulptur für ein Prestigeprojekt zerschlagen werden, mit dem die Stadt in vermeintliche Konkurrenz zur Elbphilharmonie in Hamburg treten kann? Hat die Stadt es nötig, die prominente Lage ihrer Philharmonie am Isarhochufer gegen den derzeit für das Werksviertel geplanten staatlichen Konzertsaal für die Symphoniker des Bayerischen Rundfunks triumphal auszuspielen?

Schon dass es diesen Wettbewerb in der gewählten Form gab, ist ein Skandal. Am Anfang des 21. Jahrhunderts erwartet man andere Signale von einer umweltbewussten und sozialverantwortlichen Stadt als die Zerstörung des erfolgreichsten Kultur- und Bildungszentrums Europas und einer grundsoliden, leistungsstarken und robusten Architektur. Die drei jeweils mit einem ersten Preis prämierten Entwürfe, mit denen dem Publikum Zukunft versprochen wird, sind nur peinlich in ihren hohlen und standardisierten Gesten, die Philharmonie zur Stadt hin zu öffnen. Alle Stützmauern, zwischen denen heute schmale Treppen bergan und zu baumbeschatteten Sitzgruppen auf der so wirkungsvoll vom Verkehr abgeschirmten Foyer-Terrasse führen, werden von den Architekten geschleift. Breiteste Treppenanlagen stilisieren den Konzertsaal zur Walhalla und tun so als könnten heranrasende Autos Stufen steigen. (Die meisten Nutzer des Gasteig kommen durchaus nicht von der Isar über den gachen Steig, sondern von der U-Bahn aus der entgegengesetzten Richtung, barrierefrei.) Was diese Öffnung und die großzügigen Verglasungen für den Gasteig und die gegenüberliegenden Gründerzeithäuser an zusätzlicher Lärmbelastung bedeuten, bleibt unreflektiert. Darüber, welche Ausgrenzung diese »einladende« Geste für mobilitäts- und anderweitig eingeschränkte Bürger bedeutet, hat sich die soziale Stadt auch keine Gedanken gemacht. In den 70er Jahren hätte es keiner gewagt, ein solch exklusives Treppenpodest vorzuschlagen. Und keiner hätte so viel Theaterschminke aufgetragen wie Auer Weber, die sich von der Elbphilharmonie die Bugspitze borgen, das Konzerthaus überhöhen und metallisch ummanteln, für das Entrée einen bereits für Museen wie für Malls x-fach bemühten trichterförmigen Einschnitt wählen und ins Foyer Koolhaas’sche Treppen-Brücken legen. Keiner hätte es auch gewagt, wie Wulf Architekten Anleihen bei der Düsseldorfer Tonhalle (Wilhelm Kreis, 1925/26) zu nehmen, um eine Stadtkrone mit überragenden Treppenpfeilern zu bilden. Allein Henn lässt die Architektur des Gasteigs weitgehend gelten, indem das Büro eine zweigeschossige, verglaste Erschließungsebene um das Gebäude legt und im Attikageschoss der Philharmonie ein Aussichts-Restaurant installiert. Aber auch da bleibt kein Stein auf dem anderen: Die Mauer soll durchbrochen werden, hinterleuchtet und programmatisch medial bespielbar.

Innovation und wirtschaftlicher Fortschritt beruhe auf kreativer Zerstörung hat der Nationalökonom Joseph Schumpeter formuliert. Was München vorhat, ist eine unkreative Zerstörung für angesetzte 410 Mio. Euro. Der »Neue Gasteig« ist damit ein typisches Produkt des Spätkapitalismus’. Allen Nachhaltigkeits- und Abfallvermeidungsgeboten wird weiter Hohn gesprochen und das Gemeinwohl auf dem Altar der Eitelkeiten geopfert.

{Die Autorin, Jahrgang 1960, ist Literatur- und Kunsthistorikerin. Sie arbeitet seit 1990 als freie Journalistin und Fachbuch-Autorin u. a. zum Themenschwerpunkt Baukultur mit den daran geknüpften gesellschaftlichen Fragen.

 

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