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Ortsmittenrevitalisierung in Nordbayern

Mit Sachverstand, politischem Willen und planungsrechtlicher Kreativität zum Erfolg
Ortsmittenrevitalisierung in Nordbayern

Qualität hängt immer von einzelnen Personen ab.
Dass landauf landab die Dorfkerne aussterben, ist kein neues Phänomen. Dass in Zeiten knapper Kassen beispielhafte Revitalisierungsprojekte zustande kommen, bei denen sich Architekturqualität mit Lebensqualität paart, sorgt hingegen für freudige Überraschung. Wie in allen Bereichen, kommt es auch hierbei auf die Köpfe an, die dahinterstecken: Im Regierungsbezirk Oberfranken sind das Verwaltungspersönlichkeiten, die es mit Sachverstand und Engagement verstehen, die Fördertöpfe auszuschöpfen, den Vorschriftendschungel zu durchdringen und ihn notfalls so weit zu dehnen, dass im Verein mit guten Architekten und weiteren engagierten Beamten gute Architektur entsteht.

~Enrico Santifaller

»5 000 Ausleihen im Jahr haben wir früher gehabt, jetzt haben wir 50 000.« Auf sein Goldstück ist der Litzendorfer Bürgermeister Wolfgang Möhrlein sichtlich stolz. Die mit goldenem Streckmetall bekleidete Bibliothek (Architekten: H2M, Kulmbach) ist zusammen mit dem benachbarten Bürgerhaus das Leuchtturmprojekt im Revitalisierungsprozess von Litzendorfs Ortsmitte. Zu den architektonischen und allseits anerkannten Qualitäten zählen sparsam möblierte und doch einladende Leseinseln, Durchbrüche zwischen den Geschossen, ein Veranstaltungsbereich und raumhohe Fenster, die sich zum neu gestalteten »Bürgerplatz« und zum renaturierten Ellernbach hin öffnen.
Der Gemeinderat der 6 000-Seelen-Kommune hatte die Ortskernsanierung 2008 mit einer von den Bamberger Stadtplanern Wittmann, Valier und Partner erarbeiteten Vorstudie zur »Kommunalen Entwicklung« eingeleitet. Im selben Jahr folgten Gespräche mit der Bauabteilung der Regierung von Oberfranken und die Aufnahme in das Städtebauförderungsprogramm »Aktive Stadt- und Ortsteilzentren«. 2010 wurde ein städtebauliches Entwicklungskonzept (SEK) vorgelegt. Vorstudie wie SEK legten ein Flächenmanagement für die gesamte Gemeinde und die Konzentration auf die Innenentwicklung nahe. Und da sich auch die Bürger in einem umfassenden Beteiligungsprozess dafür aussprachen, den Ortskern zu stärken, strich der Gemeinderat 21 ha Wohnflächen (Baugebiete am Ortsrand) aus dem Flächennutzungsplan. Erster Baustein zur Revitalisierung der Ortsmitte war der Erwerb eines zentral gelegenen, lange leer stehenden bäuerlichen Anwesens, worauf sich ein Workshop mit fünf teilnehmenden Architekturbüros anschloss, der den Umbau des Bauernhofs zum Bürgerhaus und den Neubau der Bibliothek beinhaltete.
Ein Leerstandmanagement muss her
Leerstände prägen das Ortsbild vieler kleinerer Kommunen – v. a. in peripheren Räumen. Laut einem jüngst veröffentlichten McKinsey-Report lebten in Bayern 1990 noch 70 % der Bevölkerung im ländlichen Raum, im Jahr 2013 nur noch 55 %. Wird für München bis 2030 ein Bevölkerungsanstieg von 15 % prognostiziert, so wird sich die Einwohnerzahl im oberfränkischen Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge bis 2030 voraussichtlich um denselben Prozentsatz verringern. Ein ähnliches Schicksal droht den benachbarten Kreisen Hof, Kronach und Tirschenreuth. Mancherorts steht bereits heute ein Viertel der Häuser leer, oder sogar noch mehr. Der Zusammenbruch der Textil- und Porzellanindustrie nach der Wende hat in den Kommunen Wunden geschlagen. Ob Selb, Arzberg oder Mitterteich, die Ruinen von verlassenen Betrieben ragen als Mahnmale einer vergangenen Ära in die Höhe, in der sich der Wohlstand auch noch bis in periphere Gebiete hinaus verteilen konnte.
Dass ausgerechnet das keine 10 km von Bamberg entfernt liegende Litzendorf mit Leerstandsproblematik zu kämpfen hat, mag verwundern. Hat Bamberg doch gerade Bayreuth als einwohnerreichste Kommune Oberfrankens überholt, profitiert die Stadt doch von der Nähe zur »Metropolregion Nürnberg-Erlangen«, die wirtschaftlich brummt – der Autozulieferer Brose etwa verlegt derzeit zentrale Bereiche hierher –, hat sie doch eines der größten zusammenhängenden Einzelhandelsgebiete Deutschlands vorzuweisen. Eine Stadt, in der die Mietpreissteigerung, meldete Spiegel online im April 2013, von allen deutschen Städten am höchsten ist – vor München, Frankfurt und Stuttgart.
Die Architektin und Stadtplanerin Edith Obrusnik, die seit 2009 den Stadtumbauprozess in Litzendorf mitorganisiert, erklärt den Leerstand so: Der Ortskern besteht v. a. aus kleinbäuerlichen Anwesen. Die Alteigentümer sterben aus oder ziehen ins Seniorenheim, die Nachfolgegeneration ist längst weg oder an den Siedlungsrand gezogen. Zurück bleiben die Häuser, die in den 60er und 70er Jahren nicht selten mit Produkten aus dem Baumarkt »verhübscht« wurden, die nun leer stehen und verfallen, manchmal auch mit Altlasten befrachtet sind. Oft
wird das Erbe gar nicht angetreten. Laut Süddeutscher Zeitung fielen seit 2006 dem Freistaat Bayern 3 180 Gebäude zu, weil keiner sie mehr haben wollte. Die meisten davon befinden sich in Ober- und Unterfranken.
»Leerstandmanagement« ist denn auch ein zentrales Thema im Modellvorhaben »Ort schafft Mitte«. Die Oberste Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Inneren (OBB), die in Kooperation mit den Bezirksregierungen für die Städtebauförderung zuständig ist und dieses Programm 2010 startete, will damit neue Instrumente der Ortsmittenstärkung entwickeln und erproben. »Eine objektfixierte Lösungsperspektive«, so die Autoren eines 2012 veröffentlichten Zwischenberichts, reiche v. a. bei struktureller Nachfrageschwäche nicht aus. Notwendig sei ein »strategisches Leerstandmanagement« mit systematischer Analyse aller Leerstände in der Kommune und deren Standortbedingungen. Als besonderes Finanzierungsinstrument entwickelte die OBB einen »kommunalen Entwicklungsfonds«. Da die Immobiliennachfrage in den strukturschwachen Räumen eher niedrig ist, können Kommunen damit oft schon für 100 000 Euro und weniger wichtige Anwesen in der Ortsmitte erwerben, sie von Altlasten befreien, neu überplanen und dann verkaufen. Auf die Gemeinden und deren Verwaltung kommen dabei besondere Aufgaben zu. Sie sollen »Mobilisierer und Vorbilder« sowie »Eröffner von Marktnischen« sein. Obwohl etwa im niederbayerischen Freyung der Ortsumbauprozess so viel privates Kapital in Gang setzte, dass Zwischenerwerb und kommunaler Entwicklungsfonds überflüssig wurden, sind die Kommunalpolitiker mit diesen Aufgaben vielfach überfordert.
Es braucht Persönlichkeiten
In diese Lücke stoßen dann die Abteilungen Planung und Bau der neun Bezirksregierungen. Sie beraten die Kommunen, fordern konkurrierende Verfahren, bewilligen Fördergelder. Eine Besonderheit Bayerns und ein Unterschied zu anderen Bundesländern liegt darin, dass diese Stellen weniger von Juristen und Betriebswirten, sondern vorzugsweise von diplomierten Architekten und Stadtplanern mit einer zweijährigen Zusatzausbildung zum Regierungsbaumeister besetzt werden. Eine Ausbildung, die Hospitanzen auf allen Ebenen des staatlichen Bauens – von der Regierung über Landratsämter bis zur kleinsten Kommune – mit einschließt, die lehrt, Projekte rechtssicher und unter optimaler Ausnutzung aller Finanzierungs- sowie Förderungsmöglichkeiten umzusetzen. Die aber, so Christian Baumgart, Baubürgermeister der Stadt Würzburg und DAI-Präsident, stets das Primat des Fachlichen, sprich die Baukultur, im Blick hat.
Wie Baumgart ist auch die Architektin Marion Resch-Heckel Regierungsbaumeister. Seit 2006 hat sie die Leitung der Abteilung Planung und Bau mit Zuständigkeit für rund 750 Mitarbeiter in der Regierung von Oberfranken inne. Sie sei die Beste in ihrer Position in ganz Bayern, sagen Architekten, die in allen Regierungsbezirken des Freistaats gearbeitet haben. »Baukultur schafft Lebensqualität« lautet ihr Motto. Sie will aus Oberfranken ein Zentrum guten regionalen Bauens machen. Kein zweites Vorarlberg, kein zweites Tessin, dazu sind die Möglichkeiten und Mittel Oberfrankens, das als Problemregion Bayerns gilt, zu beschränkt. Seit ihrem Amtsantritt gibt es aber in der Region mehr Wettbewerbe, sie fördert einheimische Architektentalente, in Kooperation mit der Architektenkammer hat sie aber auch eine Reihe geschaffen, in der renommierte Architekten von außerhalb – u. a. Volker Staab, Meinhard von Gerkan oder Mels Crouwel – gut besuchte Vorträge hielten. Die Not der Region macht Resch-Heckel zu ihrer Leitidee und gibt immer wieder entscheidende Impulse, um Förderprogramme weiter zu entwickeln. Aus Oberfranken kam beispielsweise die Idee eines mit Sondermitteln ausgestatteten Programms zur Revitalisierung von Industrie- und Gewerbebrachen, mit dem inzwischen im ganzen Freistaat leer stehende Fabrikhallen abgerissen oder ortsbildprägende Gewerbebauten einer tragfähigen Nachnutzung zugeführt werden. Im Februar 2014 erhielt etwa das »gemeinsame Kommunalunternehmen Winterling Immobilien« der oberfränkischen Städte Arzberg, Kirchenlamitz, Schwarzenbach a.d. Saale und Röslau (gKU), die alle über die Halskrause verschuldet sind, einen Scheck von über 2 Mio. Euro aus den Händen des Regierungspräsidenten Wilhelm Wenning. Mit dieser Summe konnte die gKu die über die Kommunen verteilten Fabrikgebäude des insolventen Porzellanherstellers Winterling – insgesamt 233 000 m² Grundstücksfläche und 190 000 m² Geschossfläche – erwerben. Derzeit klärt das interkommunale Unternehmen bauordnungsrechtliche Fragen – Brandschutz, Erschließung etc. –, ein Masterplan wird auf Betreiben ›
› der Bezirksregierung erarbeitet. Anschließend sollen die Flächen vermarktet werden; Nachfrage, v. a. im Logistikbereich, besteht.
Die Bezirksregierungen verstehen sich als Mittelbehörden. Nicht allein, weil sie politisch zwischen Staatsregierung und Kommunen angesiedelt sind, sondern weil die verschiedenen Fachressorts kooperieren und ihre Fördermittel bündeln. Bei bedarfsgerechten Projekten und finanzschwachen Kommunen kann dann der Fördersatz durchaus 90 % der förderfähigen Kosten betragen. Wie kreativ dabei gehandelt wird, zeigt ein Beispiel aus Bad Alexandersbad im Fichtelgebirge: Um dem daniederliegenden Kurbetrieb der 1 000-Seelen-Gemeinde wieder aufzuhelfen, sollte der historische Kurbereich neu gestaltet werden. Mit einem – leider wenig zufriedenstellenden – Entwurf für ein neues Kurmittelhaus in der Tasche, beantragte die Kommune bei der Bezirksregierung Zuschüsse aus der Wirtschaftsförderung. Für die Auslobung eines Wettbewerbs war die Sache bereits zu weit gediehen, stattdessen wurde ein VOF-Verfahren angesetzt, das schließlich das Büro Brückner + Brückner, Tirschenreuth, gewann. Mit dem neuen Sieger und der Beratung durch die Bezirksregierung konzipierte die Gemeinde ihre Ortsmitte völlig neu. Und Resch-Heckel definierte in Abstimmung mit der Städtebauförderung ein benachbartes, lang leer stehendes, ziemlich ungeschlachtes Kur- und Sporthotel aus den 60er Jahren als Gewerbebrache, als einen gravierenden städtebaulichen Missstand. Die Kommune soll nun Fördermittel zum Erwerb und Abriss des derzeit in chinesischen Besitz befindlichen Hotelmonstrums bekommen. Die Freiraumgestaltung der Ortsmitte übernehmen die Berliner Landschaftsarchitekten Geskes.Hack, und das Kurmittelhaus erhält laut Christian Brückner ein Schwimmbad im 2. OG mit Panorama-Blick auf die Wälder und Bergmassive des Fichtelgebirges.
Dass architektonische Qualität auf Lebensqualität trifft, dass die Revitalisierung von Ortsmitten auch wirklich nachhaltig bleibt, dazu bedarf es eines fein austarierten Zusammenspiels von Visionen und Plänen, von wirtschaftlichen Perspektiven und Finanzierungsmöglichkeiten. Und v. a. von ebenso kompetenten wie engagierten Personen – auch in den verschiedenen Hierarchien der Verwaltungen. Umso mehr, wenn es sich um eine Region wie Oberfranken handelt, die vorwiegend im nordöstlichen Teil große Strukturschwächen aufweist. Man fühlt sich ein bisschen an Leinefelde, die Modellstadt des Stadtumbaus Ost, erinnert. Da gab es nicht nur gute Voraussetzungen, nicht nur einen guten Stadtplaner und zwei gute Architekten, da gab es auch einen Bürgermeister, der den Stadtumbau zur Chefsache machte und zum Hans-Dampf in allen Fördertöpfen wurde.
Auch Litzendorfs Bürgermeister Möhrlein wird wegen seines Engagements, seiner Hartnäckigkeit und seiner Ideen gelobt, von den Bürgern, die ihn 2014 mit 92,41 % im Amt bestätigten, aber auch von der Obersten Baubehörde und der Bezirksregierung. Und es geht weiter: Einzelhandel und Gastronomie sollen gestärkt werden, die Neugestaltung des öffentlichen Raums und der Ortsdurchfahrt steht an, ein Mobilitätstelefon wird Mitfahrgelegenheiten organisieren. Dass wegen der »strukturellen, funktionalen, städtebaulichen und landschaftsplanerischen Qualitäten« seiner Innenentwicklung Litzendorf im Landeswettbewerb 2014 zur »modellhaften Stadt- und Ortssanierung« – als kleinste aller teilnehmenden Kommunen – mit einem Preis ausgezeichnet wurde, ist nur ein Zwischenschritt. •
Der Autor studierte Geschichte und Soziologie. Er war Redakteur der Frankfurter Neuen Presse, der Offenbach Post und bei der DBZ. Seit 1994 ist er als freier Architekturjournalist und Autor tätig.
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