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Stuttgart: Rückschlag für die Baukultur

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Stuttgart: Rückschlag für die Baukultur

Die Seitenflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs dürfen abgerissen werden. Das Landgericht Stuttgart wies heute die Klage von Peter Dübbers, der die Urheberrechte seines Großvaters Paul Bonatz vertritt, ab. Das Interesse des Urhebers müsse hinter den Modernisierungsinteressen des Eigentümers Deutsche Bahn zurücktreten. Momentan ist also davon auszugehen, dass die Bahn ab September jene beiden Gebäudetrakte abtragen wird, die bislang die Gleise flankieren und die der Querlegung des Gleiskörpers im Zuge des Projektes Stuttgart 21 im Wege stehen. Der hohe kulturhistorische Wert sowohl der Gesamtanlage wie auch der Seitenflügel ist in Fachkreisen unumstritten. Warum ist das heutige Urteil des Landgerichts Stuttgart so ärgerlich? Volkes Zorn entbrennt vor allem an der Tatsache, dass im Kleinen gegen die teilweise als willkürlicher Unsinn wahrgenommenen Denkmalschutz-Auflagen kein Kraut gewachsen ist, im Großen hingegen Wert und Durchschlagskraft des Denkmalschutzes mit steigender Höhe der Investitionssumme abnimmt und es für Großinvestoren somit ein Leichtes ist, kulturelle Werte zu vernichten. Schwerer wiegt jedoch das Signal gegenüber all jenen Bürgern, die seit Jahren eine logisch nachvollziehbare Argumentation für das Bahnprojekt einfordern, stets aber mit Werbefloskeln abgespeist oder gar als furchtsame Bremser desavouiert werden. Auch die Justiz ist nicht bereit, sich auf einen Diskurs einzulassen, sondern klammert sich an planungsrechtliche Eckpunkte, die wie unerschütterliche Pflöcke bereits vor Jahr und Tag eingeschlagen worden sind. Die Projektierung von Stuttgart 21 verlief getreu den Regeln von Gesetz und Planungsrecht. Allerdings gab man sich bei Bahn, Bund, Land und Stadt die allergrößte Mühe, das ganze Projekt auf leisester Flamme köcheln zu lassen, Einzelentscheidungen wurden immer wieder hinausgezögert, ein ernsthafter Wille zur Umsetzung war nicht erkennbar. Nachdem es für einige Jahre keinerlei greifbaren Diskussionsgegenstand gegeben hatte, musste die Öffentlichkeit Mitte 2007 erfahren, dass man sich über die Aufteilung der Kosten einig geworden war und die vermeintliche Totgeburt zu neuem Leben erwachte. Seither regt sich massiver Widerstand. Erstaunlich ist, dass der Stuttgarter Gemeinderat auch dann keinen Anlass zur Neubewertung der Planungen sah, als sich über 60.000 Bürger zu Wort meldeten, die gerne zu dem Projekt befragt werden wollten – dreimal soviel wie für ein Bürgerbegehren nötig. Im Gegenteil: Die Verantwortlichen von Bund, Land, Stadt und Bahn reagierten beleidigt. In den folgenden Auseinandersetzungen spielten nachvollziehbare Wirtschaftlichkeitsrechnungen als Pro-Argumente keine Rolle – offenbar waren die Planer der Meinung, überhaupt keine Argumente zu brauchen, hatte man doch die nötigen Netzwerke hinter sich und die richtigen Weichen bereits gestellt. Nach und nach stellt sich nun heraus, dass die ursprünglich angenommenen Szenarien nicht eingetreten sind und der Nutzen der Planungen in keinem Verhältnis zu den zwischenzeitlich explodierten Kosten steht. Die Projektgegner müssen sich beim Auffinden von Schwachstellen nur wenig Mühe geben. Die Projektverantwortlichen hingegen bemühen sich nach Kräften, in Sachen Öffentlichkeitsarbeit eine schlechte Figur abzugeben. Juristisch ist der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs gemeinsam mit dem Bau einer Schnellbahntrasse nach Ulm somit weitgehend in trockenen Tüchern. Der Schaden für die Baukultur hingegen ist immens – nicht nur im Sinne historischen Kulturguts, sondern auch im Sinne der Planungskultur. Der Glauben an demokratische Entscheidungsprozesse ist erschüttert, die Glaubwürdigkeit der Volksvertreter mehr als angekratzt. Den Stuttgarter Bürgern wurde signalisiert, sie sollten die – leider nur unscharf skizzierten – Segnungen einer vermeintlich genialen Planung hinnehmen und lieber keine unangenehmen Fragen stellen. Mit dem heutigen Tag weiß man, dass in dieser Sache auch von der Justiz keine Hilfe zu erwarten ist.

~Achim Geissinger

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