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Stadtumbau Ost – Segen oder Fluch?

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Stadtumbau Ost – Segen oder Fluch?

Stadtumbau Ost – Segen oder Fluch?
Platz für Neues propagiert ein Plakat in Leipzig: Abriss am Dittrichring Glückliches Potsdam: In der beliebten Neustädter Havelbucht gibt es für Wohnungsinteressenten lange Wartelisten (Architekten 1974-83: Dietrich Schreiner, Hans-Joachim Engmann, Marlies Pfeil; Sanierungskonzept: Antje Möbius)
Heute, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, werden viele Bilanzen des Einigungsprozesses gezogen. Welche Konzepte sind aufgegangen, und welche Strategien sind gescheitert? Ein Förderprogramm, das die Stadtentwicklung in Ostdeutschland wie kein anderes geprägt hat, ist das Bund-Länder-Programm »Stadtumbau Ost«. 2,5 Milliarden Euro wurden zwischen 2002 und 2009 eingesetzt, um die ostdeutschen Städte zu stärken. Was ist nun mit diesen Geldern erreicht worden?

~Matthias Grünzig

Nach 1990 erlebte Ostdeutschland zunächst einen Bauboom. Angeheizt durch die Sonderabschreibungen wurden fast 800 000 Wohnungen neu gebaut und zahlreiche saniert. Doch spätestens Ende der 90er Jahre stellte sich heraus, dass für einen Großteil dieser Wohnungen die Nachfrage fehlte, denn fast alle ostdeutschen Städte mussten den Zusammenbruch der Wirtschaft und den damit verbundenen Bevölkerungsrückgang verkraften. Die Kommission »Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern«, die im Auftrag der Bundesregierung den Wohnungsleerstand untersuchte, legte 2000 eine ernüchternde Bilanz vor. Demnach standen in Ostdeutschland rund eine Mio. Wohnungen – 13,2 % des Bestandes – leer, vor allem in den Altbauquartieren, wo 32,9 % aller Wohnungen verwaist waren. Besonders in den Gründerzeitvierteln, die unter hohen Bebauungsdichten, lauten Straßen, Defiziten an Grün- und Spielflächen litten, war der Leerstand trotz Sanierungen auf schwindelerregende Höhen angestiegen. Viele Hauseigentümer mussten deshalb Insolvenz anmelden. In den DDR-Plattenbausiedlungen standen dagegen nur 8,4 % aller Wohnungen leer. Doch auch hier ließen die soziale Entmischung und weiterhin steigende Leerstände den Umbau erforderlich erscheinen.
Als Reaktion auf den Kommissionsbericht beschloss die Bundesregierung 2001 das mit 2,5 Mrd. Euro dotierte Programm »Stadtumbau Ost«. Nach dessen Grundidee sollte der Leerstand genutzt werden, um die Städte aufzulockern und aufzuwerten. Rund ein Drittel des Leerstands, also 350 000 Wohnungen, sollte zu diesem Zweck fallen.
Ergebnisse
An einigen Orten setzte das Leerstandsproblem eine regelrechte Aufbruchstimmung frei. Mehrere Städte entwickelten neue Konzepte für die Aufwertung der Gründerzeitviertel. Einen Meilenstein setzte der 2002 beschlossene »Konzeptionelle Stadtteilplan Leipziger Osten« in Leipzig. Hier sollte der Abriss von bis zu 30 % der Bausubstanz mit dem Neubau von Grünflächen, Parks und Einfamilienhäusern verbunden werden. Andere Städte erzielten Erfolge bei der Altstadtsanierung. Im brandenburgischen Neuruppin kümmerten sich die kommunale Wohnungsgesellschaft und die Wohnungsgenossenschaft beispielsweise um unrentable Altbausanierungen, die kein Privatinvestor anpacken wollte.
Finanziert wurden die Baumaßnahmen durch die Überschüsse, die durch die gewinnbringenden Plattenbaubestände erwirtschaftet wurden. Auch mehrere Plattenbausiedlungen erfuhren einen kreativen Umbau. Bei dieser Gelegenheit offenbarten die vielgeschmähten Plattenbauten eine unerwartete Flexibilität. Wohnblöcke konnten ohne Probleme und zu günstigen Kosten in Dachterrassenhäuser, Energiesparhäuser, Stadtvillen, altenfreundliche Wohnhäuser oder gar Einfamilien-Reihenhäuser verwandelt werden. Grundrissänderungen waren ebenso möglich wie der Rückbau einzelner Etagen oder der Anbau von Aufzügen.
Zudem haben mehrere Städte einen klugen Stadtumbau mit einer zielstrebigen Wirtschaftsförderung verbunden (z. B. Jena, s. db 12/2008).
Dank dieser Strategien gelang einigen Städten tatsächlich eine Trendumkehr. Potsdam etwa musste nach 1990 einen Bevölkerungsrückgang von 143 000 auf 128 000 Einwohner und einen Anstieg des Wohnungsleerstandes auf 10 % verkraften. Einige Experten empfahlen deshalb massive Abrisse. Doch Potsdam entschied sich gegen den Wohnungsabriss und für eine Aufwertung der Stadt. Heute verzeichnet die brandenburgische Hauptstadt wachsende Einwohnerzahlen und einen Wohnungsmangel. Ähnliche Erfolge erzielten Jena, Greifswald oder Neuruppin. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese positiven Beispiele entweder überhaupt keine oder nur geringe Gelder aus dem Stadtumbau-Ost-Programm erhalten haben. Das Programm hatte an diesen Erfolgen also nur einen geringen Anteil.
Erschütterndes
Viele andere Städte dagegen wurden von einer regelrechten Abrisswelle heimgesucht. Verantwortlich für diesen Kahlschlag war die Wirkungsweise des Stadtumbau-Ost-Programms. Denn den insolvenzgefährdeten Hauseigentümern wurden die lebenswichtigen Schuldenentlastungen und Fördergelder nur dann gewährt, wenn möglichst hohe Abrisszahlen erbracht wurden. Zwar bot das Programm auch sogenannte »Aufwertungsmittel«, doch diese förderten vor allem den Abriss von Schulen, Kindergärten und Versorgungsleitungen. Die Folgen dieser destruktiven Logik waren fatal. Vielerorts wurden nicht nur leere Häuser, sondern auch gut belegte Gebäude und wertvolle Baudenkmäler abgerissen. Zu einem regelrechten Skandal entwickelte sich in vielen Städten der Umgang mit den betroffenen Bürgern. Abrisspläne wurden ohne ihre Beteiligung ausgekungelt, Mieter wurden gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen vertrieben, vielerorts wurden nicht einmal gleichwertige Ersatzwohnungen bereitgestellt. Manche mussten sogar zwei- oder dreimal umziehen, weil die Ersatzwohnung bald auch auf der Abrissliste landete. Die Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung wurden in vielen ostdeutschen Städten sträflich missachtet. All dies geschah durchaus im Einklang mit dem Stadtumbau-Ost-Programm, denn eine umfassende Bürgerbeteiligung war darin nicht vorgesehen.
Ebenso ignorant wurde vielerorts mit der Infrastruktur umgegangen. Man darf als bekannt voraussetzen, dass Infrastruktursysteme, vor allem die Fernwärme- und Straßenbahnnetze, eine bestimmte Mindestauslastung benötigen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. In vielen Städten aber wurden ausgerechnet jene Häuser abgerissen, die für die Auslastung dieser Netze unentbehrlich waren. In Halle/Saale beispielsweise wurde 2003 eine neue Straßenbahnlinie in das Niedersachsenviertel eingeweiht, gleichzeitig erfuhren die verblüfften Bewohner, dass ihr Quartier demnächst abgerissen und in einen Energiewald verwandelt werden sollte. Die Folge waren halbleere Straßenbahnen, die erhebliche Mehrkosten verursachten.
In mehreren Städten wurde auch am Bedarf vorbei abgerissen. So fielen in Cottbus viele kleine und preiswerte Wohnungen der Spitzhacke zum Opfer, obwohl es nach diesen eine starke Nachfrage gab. Die Konsequenz war ein Mangel an erschwinglichem Wohnraum, denn zusätzlich stieg zwischen 2005 und 2007 die Nettokaltmiete für preiswerte Wohnungen um 1,50 Euro/m².
Planlos erfolgte auch der Abriss in vielen Gründerzeitvierteln, in denen eine planvolle Aufwertung immer wieder an zersplitterten Eigentümerstrukturen scheiterte. Ein Haus gehörte einer zerstrittenen Erbengemeinschaft, deren Mitglieder über viele Länder verstreut waren, ein anderes jemandem aus den alten Bundesländern, der sein Haus aus Steuerspargründen gekauft hatte, und ein drittes wurde von einem Insolvenzverwalter betreut. Unter diesen Bedingungen war ein planvoller Stadtumbau mit konzentrierten Sanierungen erhaltenswerter Karrees und konzentrierten Abrissen unvermietbarer Häuser nicht möglich. Das Stadtumbau-Ost-Programm bot keine Instrumente für eine Reform dieser Eigentumsstrukturen. Die Folge: Chaos – ein Eigentümer vermietete sein Haus, der zweite überließ sein Gebäude dem Verfall, und ein dritter riss ab. Das Resultat war ein trostloses Nebeneinander von sanierten Häusern, Ruinen und Abrissflächen.
Vor allem aber änderte das Stadtumbau-Ost-Programm nichts an den Ursachen des Leerstandes. Die Wirtschaftskrise und der Bevölkerungsrückgang gingen in fast allen Stadtumbaustädten weiter. Viele Städte gerieten sogar in einen regelrechten Abwärtsstrudel. Wo weniger Bürger lebten, gab es weniger Kunden für Geschäfte und Restaurants, weniger Besucher für Kultur- und Freizeiteinrichtungen, weniger Nutzer von Gesundheitseinrichtungen und geringere Einnahmen für die Stadt. Öffentliche und kommerzielle Angebote wurden immer unwirtschaftlicher, Gaststätten, Geschäfte, Ärztehäuser, Kultur- und Freizeiteinrichtungen mussten schließen, der öffentliche Nahverkehr wurde reduziert und die städtische Infrastruktur verwahrloste. Die Städte wurden immer unattraktiver für Bürger und Investoren, der folgende Aderlass trieb dann wieder die Verödung voran.
Ein trauriges Beispiel für diesen Teufelskreis ist Cottbus, das seit 1989 rund 40 000 seiner einst 136 000 Einwohner verloren hat. Folgerichtig steht im erst 2000 eröffneten Einkaufszentrum »Zuschka« mittlerweile die Hälfte aller Läden leer, die übriggebliebenen Händler berichten von Umsatzrückgängen von bis zu 70 % in den letzten Jahren. Im Februar 2009 wurde ein Gutachten bekannt, das die Stilllegung des Cottbuser Straßenbahnnetzes empfahl, gleichzeitig musste das Freizeitbad »Lagune« Insolvenz anmelden.
Und Cottbus ist kein Einzelfall. Mehr noch: Jene Städte, die keine Stadtumbau-Ost-Gelder in Anspruch nehmen wollten oder konnten, haben sich auch bei vergleichbaren Ausgangsbedingungen besser entwickelt als die Städte, die mit üppigen Fördermitteln subventioniert wurden. Drastisch ausgedrückt: Das Stadtumbau-Ost-Programm hat vielerorts nicht als Lebenselixier, sondern als Giftspritze gewirkt.
Widerstand
Natürlich stieß die Stadtzerstörung auch auf Widerstände. Zahlreiche Bürgerinitiativen wollten den Niedergang ihrer Städte nicht länger hinnehmen und setzten sich mit einer erstaunlichen Kompetenz für einen behutsamen Stadtumbau ein. Ein Beispiel war die Bürgerinitiative Niedersachsenviertel in Halle/Saale, die gegen den Abriss von Gebäuden an einer neu eröffneten Straßenbahnlinie protestierte und dabei sogar von der Halleschen Verkehrsgesellschaft HAVAG unterstützt wurde. Ähnlich engagiert arbeiteten die Bürgerinitiativen in Chemnitz-Hutholz Süd, Freiberg-Friedeburg, Dresden-Tolkewitz, Erfurt-Wiesenhügel oder die Bürgerinitiative Stadtumbau in Frankfurt/Oder. Aber auch einige Wohnungsunternehmen, wie die Wohnungsgenossenschaft »Einheit« in Chemnitz oder die Wohnungsbaugesellschaft Görlitz, haben sich allzu absurden Abrissvorgaben verweigert.
Das Bundesbauministerium allerdings reagierte auf diese Widersetzlichkeiten mit einer Verschärfung der Abrisspolitik. Die Spielräume der lokalen Akteure bei der Verwendung der Fördergelder wurden immer mehr eingeschränkt, viele Hauseigentümer sahen sich zu Abrissen regelrecht genötigt. Dieser Trend soll auch in Zukunft weitergehen. Denn am 17. Juni 2009 hat der Bundestag eine Fortsetzung des Stadtumbau-Ost-Programms bis 2016 beschlossen. Nun sollen – neben den 350 000 Wohnungen, deren Abriss bis 2009 geplant ist – nochmals 200 000 bis 250 000 Wohnungen vernichtet werden. Dafür sind 1,5 Mrd. Euro eingeplant, obwohl selbst das Bundesbauministerium nicht mehr an einen Erfolg der Abrisse glaubt. Nach seinen Prognosen wird trotz des »Stadtumbaus Ost« der Bevölkerungsverlust weitergehen. Am Ende werden weitere Stadtteile zerstört und der Leerstand dennoch genauso groß sein wie vor den Abrissen.
Und was wird eigentlich nach 2016 geschehen? Wird dann das nächste Abrissprogramm aufgelegt? Und was wird am Ende all der Abrisse von den vielen baukulturell wertvollen, aber wirtschaftsschwachen Städten wie Görlitz, Altenburg, Quedlinburg oder Zittau noch übrig bleiben? Die Antwort verspricht wenig Optimismus.•
  • Der Autor, Jahrgang 1969, ist freier Journalist mit den Schwerpunkten Architektur, Stadtentwicklung und Denkmalpflege. Er lebt in Berlin.
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