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IBA Stadtumbau in Sachsen-Anhalt

Diskurs
Spieglein, Spieglein …

Spieglein, Spieglein ...
Weltweit erste »Drive Thru Gallery« in Aschersleben: Grafiken des New Yorker Künstlers Christopher Winter
Sachsen-Anhalt arbeitet seit sieben Jahren konzentriert an einem beispielhaften, durch eine IBA begleiteten Stadtumbauprozess. 2010 präsentiert das ostdeutsche Bundesland die international relevanten Ergebnisse, und man wird fragen: Wer ist die Schönste im ganzen Land?

~Cornelia Heller

Noch ein Jahr. Dann öffnet in Sachsen-Anhalt die Internationale Bauausstellung Stadtumbau 2010, eine von derzeit drei parallel laufenden Internationalen Bauausstellungen in Deutschland. Da ist die IBA Hamburg mit ihrer Suche nach Entwürfen für die Zukunft der Metropole und die IBA Fürst-Pückler-Park in der Lausitz, wo nach 150-jährigem Braunkohleabbau nun eine Werkstatt neue Landschaftsnutzungen und -gestaltungen entwirft. Die IBA Stadtumbau Sachsen- Anhalt 2010, die flächenmäßig größte IBA, läuft bereits seit 2002 und umfasst mittlerweile 19 Städte, die sich für den IBA-Status qualifizierten und an einem eigenen, unverwechselbaren Profil ihres Umbaus feilen. Alles mit einem Ziel: dem drohenden Damoklesschwert der Entvölkerung zu entkommen und Methoden und Lösungen für eine lebenswerte Stadt in schwierigen Zeiten zu finden.
Erinnerungen können sehr eindrücklich sein. Aschersleben am Knotenpunkt mehrerer Bundesstraßen zwischen Halle, Dessau und Magdeburg kennen die meisten nur aus der Perspektive eines durchfahrenden Autofahrers. Die unattraktive Stadtdurchfahrt lud eher aus als ein, in der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts einen Halt einzulegen. Doch das wird sich ändern. Schon jetzt nehmen viele den Fuß vom Gaspedal und schauen verblüfft auf die haushohen Grafiken des New Yorker Künstlers Christopher Winter entlang der Straße »Hinter dem Zoll« oder die großformatigen Fotoabzüge an grauen Hausfassaden in der Bahnhofstraße. Die gehören, wie die Stadt wirbt, zur weltweit ersten »Drive Thru Gallery« und ist eine IBA-Kunstattraktion ersten Ranges. Die Idee dazu entstand im IBA-Prozess und verhilft der Stadt, die übrigens in ihrem Innern eine äußerst sehenswerte Stadtbefestigung mit 15 intakten Türmen hat, zu einem ersten anderen Eindruck der Durchfahrenden. Und der wird sich spätestens ab 2010 auch bei den Besuchern einstellen, denn mit dem IBA-Thema »Von außen nach innen« hat man althergebrachte Regeln des Stadtumbaus auf den Kopf gestellt. Nicht Wachstum, sondern Konzentration heißt die Formel, mit der man sich auf die eigenen Stärken besann. Im Zentrum der Überlegungen: das überproportional große Gebäude einer ehemals volkseigenen Verpackungsfabrik auf einem drei Hektar großen Areal in der Mitte der alten Stadt. Auf der einstigen Brache konzentriert sich nun ein Bildungszentrum, zwei freie Grundschulen haben sich bereits angesiedelt, im großen Haus werden ab 2010 Schüler einer freien Sekundar- und einer Berufsschule lernen. Mit dem Umbau, der mit einem ersten Spatenstich im August 2008 begann, wird hier der Siegerentwurf eines europaweit ausgelobten Realisierungswettbewerbs verwirklicht, den sich die 29 000-Seelen-Stadt im Jahr 2006 leistete. 142 Büros hatten sich damals um die Teilnahme beworben, 25 wurden ausgelost. Die Stuttgarter Architekten Lederer + Ragnarsdóttir + Oei überzeugten mit einem Entwurf, der »einen neuen Stadtmittelpunkt« schafft, resümierte damals die Jury. Das ist ganz im Sinne des Anliegens, Bildung zu einem Standort- und Bleibefaktor für Aschersleben zu machen. Zudem glückte die Bewerbung um die Ausrichtung der Landesgartenschau 2010. So wird in Aschersleben derzeit an vielen Orten für die IBA und für die Laga gebuddelt und gebaut. Viel hängt davon ab, ob und wie dieser Stadtumbau gelingt, um Einwohner und Unternehmen zu halten, zu mehren und zu nähren.
Die Kardinalfrage des Stadtumbaus
Und das ist dann auch die Kardinalfrage dieser, von außen nicht leicht zu fassenden IBA in Sachsen-Anhalt. An deren Antwort, wie man gern betont, vergleichbar einem Großlabor experimentiert, »Werkzeuge« des Stadtumbaus beispielhaft erprobt und so nach Lösungen sucht, die internationale Relevanz erlangen. Philipp Oswalt, in der Nachfolge von Omar Akbar seit März 2009 neuer Direktor der Stiftung Bauhaus und gleichzeitig einer der Geschäftsführer der IBA 2010, kennt sich mit dem Phänomen schrumpfender Städte aus, er weiß um den Paradigmenwechsel: »Schrumpfung ist heute nicht mehr ein Aus- nahmefall der Stadtentwicklung, sondern ist zu einem Normalfall geworden. Und das vorrangig in den alten Industrienationen plus den postsozialistischen Staaten«, sagt er im Gespräch. Da passe es gut, »dass die 19 ein breites Spektrum abdecken, von Halle an der Saale, der größten Stadt Sachsen-Anhalts mit rund 23 0000 Einwohnern, bis Wanzleben mit rund 5000, der kleinsten IBA-Stadt. Eine sehr heterogene Schar.«
Gesundete Kleinode
Ihnen gemeinsam ist ihre ostdeutsche Geschichte, der politische Umbruch 1989 und ihr deutlicher Bevölkerungsverlust im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels. Doch in ihren Unterschieden finden sich die Stärken: Städte mit ungeahnter städtebaulich-räumlicher Qualität, reichen architektonischen Schätzen – erhalten trotz, nein wohl wegen der DDR-Mangelwirtschaft, wenngleich in marodem Zustand – und mit einem, in dieser Dichte einmaligen kulturhistorischen und kulturellen Erbe. So finden sich (fast) unbekannte, durch Stadtumbau und IBA gesundete Kleinode, man stolpert geradezu von einem zu anderen. Gepaart mit ausgefeilten, durch jährliche Evaluierungen geschärfte Ideen für Wirtschaft, Bildung und Kultur arbeiten im besten Falle Politik, Verwaltung, Fachleute und Bürger an einer neuen, einer machbaren Zukunft ihrer kleiner werdenden Orte.
Die Vielzahl der Projekte, die während der siebenjährigen IBA-Entwicklung zu jedem Stadt-Thema – mehrheitlich im Rahmen von Wettbewerben – entwickelt und verwirklicht wurden, ist dabei kaum zu beziffern, jedes mit eigener Spezifik und Qualität. Wie tief indes die IBA in den Städten Wurzeln schlagen und Bürger, Verwaltungen und Unternehmen sich als Akteure in dem Prozess verstehen konnten, gelang sehr unterschiedlich. Sicher ist, dass der Stadtumbau vor allem dort Fuß fasste, wo es gelang, mit breite öffentlicher Beteiligung Bürger für ihre Stadt zu interessieren. So lud man die Staßfurter in ihr altes Kaufhaus, um an einem öffentlichen Planungsverfahren zur neuen Stadtmitte teilzuhaben. Der Grund: Nach jahrhundertelangem Salzabbau versank folgenschwer für Staßfurt die Innenstadt. Der schwierige Prozess des »Aufhebens und der Neugestaltung der Mitte« ließ einen innerstädtischen See in neuer Landschaft entstehen, beispielhaft für andere Bergbauorte.
Die Bauhausstadt Dessau-Roßlau, noch immer von der Kriegszerstörung gezeichnet und nach der Wende von einem massiven Bevölkerungsverlust betroffen, droht zu verinseln. Nun wird Schritt für Schritt unter breiter Bürgerbeteiligung versucht, mit einem radikalen Umbau der Stadtstruktur dagegenzuhalten. In Zukunft werden »Stadtinseln – urbane Kerne und landschaftliche Zonen« wechseln, die Bauten der Moderne, die Touristen aus aller Welt anziehen, wie eine Hypotenuse als Bindeglied wirken. Die Methode der »Pixelierung« des Stadtgebiets, die Stadtumbau als zeitlich und räumlich offenen Prozess begreift, wird andere, gleichermaßen betroffene Städte interessieren.
Und dann sind da noch Bernburg, Weißenfels und Köthen, Wanzleben und Stendal, Halberstadt, Schönebeck und Naumburg, Bitterfeld-Wolfen, Sangerhausen und Merseburg, die beiden großen, Halle an der Saale und die Landeshauptstadt Magdeburg, selbst Welterbestädte wie Lutherstadt Wittenberg, Quedlinburg und schließlich: die Lutherstadt Eisleben.
Alljährlich am 31. August zieht dort eine immer größer werdende Schar von Menschen durch die alte Bergmannstadt, zum einen auf den Spuren des hier geborenen Martin Luther, zum anderen, um sich Ergebnisse der IBA-Arbeit und des Stadtumbaus näher anzusehen. Der Lutherspaziergang hat sich als Institution etabliert und treibt alle Beteiligten zu vollenden, was Mitte der neunziger Jahre mit der Konzeption eines Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes begann. Denn: Eng an eng standen neben historischen Bauten oft leere und verfallene, zumeist private Häuser in der alten Innenstadt. Ein Gemeinschaftswerk vieler Akteure nahm sich des Problems an und lebt bis heute das IBA-Thema Eislebens »K hoch 3 – Kleiner, klüger, kooperativ«.
Rote Türen
Über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurden die purpurroten Türen mit der Aufschrift »Platz für Neues«, einem einfachen wie wirkungsvollen Weg. Sie markieren baureife Grundstücke, für die man Interessenten, Investoren, Nutzer sucht. Bis dahin finden sich auf ihnen entlang des Lutherwegs zwischen den authentischen Stationen wie Luthers Taufkirche inszenierte, fast poetische Orte – architektonisch-künstlerische Interventionen im Stadtraum – die sich mit Luthers Leben, Wirken und Erbe auseinandersetzen. Gärten entstehen in Lücken und auf Brachen, wie der Schöpfungsgarten oder die Ohrenweide, wo der Hörer zwischen Weidenruten Lieder und Worte Luthers geflüstert bekommt.
Eine rote Tür war 2006 Ausgangspunkt eines Um- und Neubauvorhabens nach der Idee des Berliner Architekten Jörg Springer, der den Architektenwettbewerb für die Neugestaltung des Luthergeburtshausensembles 2005 für sich entscheiden konnte. Der Bauherr, die Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt, ließ hier auf einer städtischen Brache ein neues Haus als Entree errichten, gegenüber wurde, mutig von der Denkmalpflege des Landes unterstützt, das historische, UNESCO-geschützte Geburtshaus um einen Neubau ergänzt oder besser: behutsam weitergebaut. Entstanden ist ein überraschender und bereits mehrfach ausgezeichneter Museumsbau, der sich weit aus dem vorhandenen Ensemble zurücknimmt, doch gleichzeitig ganz neue und eigene Akzente setzt.
Das Luthergeburtshausensemble ist zweifelsohne das IBA-Projekt der Stadt Eisleben. Und wird vielleicht das IBA-Prestigeprojekt Sachsen-Anhalts. Denn auf millionenschwere Neubauprojekte setzt diese Internationale Bauausstellung nicht. »Wir haben im Jahr eine Million Euro für die Arbeit des IBA-Büros zur Verfügung, das sind jedoch nicht die Projektmittel«, sagt Philipp Oswalt. »Die speisen sich aus den unterschiedlichen bestehenden Förderprogrammen.« So gibt es keinen extra IBA-Geldtopf, dafür anderes: Rund 100 Millionen Euro Fördermittel aus den unterschiedlichen Fördertöpfen von Bund, Land und EU sowie städtische Eigenmittel flossen bis 2008 in die IBA-Projekte der beteiligten Städte. Weitere Mittel werden 2009 bestätigt. Neubauvorhaben wie jenes in Eisleben sind dabei eher selten, dafür Umbauten wie in Aschersleben und landschaftsgestalterische, künstlerische und temporäre Projekte wie entlang des Lutherwegs in der Überzahl. Und vor allem an denen ist das ablesbar, was diese IBA ausmacht: Prozesse in Gang gesetzt, die Identifikation der Städte mit sich selbst befördert und kreative und kompetente Kräfte zusammengeführt zu haben – natürlich nicht ohne Reibungsverluste.
Ein Jahr also noch. Dann wird die Internationale Bauausstellung Sachsen-Anhalt Stadtumbau 2010 der Fachwelt und interessiertem Publikum zeigen, was man herausgefunden hat an neuen Wegen für perspektivisch schlankere, deshalb nicht minder lebenswerte Städte. Da gibt es viel zu entdecken und zu bereisen. Es gibt viele »Schönste im ganzen Land«. Die IBA präsentiert sich ab April 2010 in Dessau mit einer großen Übersichtsausstellung im Bauhaus und in jeder der 18 anderen, getreu dem Konzept, mit einer eigenen Präsentation. Sie zeigt auch gerne Baustellen, denn der Stadtumbauprozess geht weiter. Ungeachtet der Jahreszahl mit der Zehn. •
~Die Autorin ist freie Journalistin in Magdeburg mit den Schwerpunkten Architektur und Baukultur in Sachsen-Anhalt. Sie ist außerdem Autorin des Buches »Gesichter eines Wandels – Stadtgeschichten« zur IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010, Anderbeck 2008.
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