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Slow Dating und Speed Building

Wie die deutschen Architekten gmp in China nachhaltig Erfolge feiern
Slow Dating und Speed Building

Die Euphorie ist verflogen. Es ist nur wenige Jahre her, da sahen deutsche Architekten angesichts der daniederliegenden Konjunktur im eigenen Land verheißungsvolles Licht am Horizont im Osten. Sagenhafte Aufträge schienen in der Golfregion zu locken. Ganz zu schweigen vom fernen China. Es schien so einfach, mit überlegenem westlichen Know-how zu punkten. Die Amerikaner machten es mit Hochhausprojekten in ganz Asien vor. Aus Hamburg zog Meinhard von Gerkan gen Osten und reüssierte im Reich der Mitte.

~Falk Jaeger

Zu den ersten Arbeiten gehörte gleich ein Großprojekt, das Messegelände in Nanning, dem eine zweite Messe in Shenzhen und eine dritte in Xi´an folgten. Ganze Bücher füllen die gmp-Projekte, die in einem Dutzend Jahren in atemberaubender Geschwindigkeit entstanden sind. Zu einer christlichen Kirche in Peking gesellen sich Kulturbauten wie Museen in Shanghai und Changchun, das Maritime Museum in Lingang, das Nationalmuseum in Peking, das Grand Theater in Chongqing und die Oper Qingdao. Neben zahlreichen Bürokomplexen entstanden Verkehrsbauten wie der Bahnhof in Tianjin oder das Terminal 3 am Flughafen Shenzhen und Sportstätten wie der Century Lotus Sportpark in Foshan, das Olympic Sports Center in Shenzhen und gegenwärtig das Shanghai Aquatic Sports Center für die Schwimmweltmeisterschaften 2011.
Bernhard Winking ist im Land der Mitte erfolgreich tätig. Auch Albert Speer, Gunter Henn und KSP erzielten mit einigen größeren Aufträgen immerhin Achtungserfolge. All die anderen mussten sich aber entmutigt wieder zurückziehen. Bauen in China ist ein ganz eigenes Metier, und wer an Rhein und Spree Erfolge feiert, dem fehlt noch lange das Rüstzeug zum Erfolg am Jangtsekiang. Dennoch konnte gmp als einziges deutsches Büro in China in großem Stil Fuß fassen.
Wo aber liegt der Schlüssel zum Erfolg? Wie kommt es, dass gmp mittlerweile das bekannteste ausländische Büro in China ist, weit vor der Konkurrenz aus USA, Frankreich oder Japan?
gmp hatten einen Türöffner. Genauer gesagt zwei. 1998 gewannen sie den Wettbewerb für die Deutsche Schule in Peking. Sie konnten also mit deutschem Bauherrn und unter gewohnten verwaltungs- und finanztechnischen Bedingungen 1999-2000 in der chinesischen Hauptstadt ein Erstlingsprojekt errichten. Dass die Schule samt zugehörigem Apartment-Haus zum Referenzbau werden sollte, dazu bedurfte es noch des zweiten Türöffners.
Über Kontakte zu einer einflussreichen Kunst-Impressaria kam eine gmp-Ausstellung zustande, die erste Architekturausstellung in einem chinesischen Museum überhaupt. gmp konnten ihre eigene Architekturauffassung präsentieren und stießen auf großes Interesse. Mit ihrer signifikanten, wiedererkennbaren Architektursprache offerierten sie einen Trend – und für Trends war und ist man in China offen. Mit den folgenden Wettbewerbseinladungen und Direktaufträgen nahm eine Erfolgsgeschichte von ungeheurer Dynamik ihren Lauf.
Ein Erfolgsgarant ist das schlagkräftige Büro in Peking, das gmp von Anbeginn dort aufgebaut haben. Geführt wird es von Büropartner Stephan Schütz, der gemeinsam mit seiner Frau gmp-Vertreter der ersten Stunde in Peking war. Er leitet auch das Zweigbüro in Shenzhen, während das Zweigbüro in Shanghai von Büropartner Nikolaus Goetze geführt wird.
Organisatorisch ist die Arbeit so strukturiert, dass die Entwürfe in Deutschland entstehen und die Ausführung in China geplant wird. Junge chinesische Architekten werden nach Deutschland geholt und arbeiten im Hamburger Büro. Sie lernen die gmp-Architektur von der Pike auf (und die deutsche Sprache) und werden dann in den chinesischen Büros eingesetzt. Chefrepräsentant seit 2001 und Büropartner ist der an der ETH diplomierte Wu Wei, der im Land gut vernetzt ist. Mittlerweile hat gmp in China 150 Mitarbeiter, davon zwei Drittel Chinesen.
Der hohe Anteil an chinesischen Mitarbeitern ist hilfreich bei der Bewältigung der kulturellen Schranken und Fallstricke. So arbeiten gmp mit über 30 verschiedenen Partnerbüros zusammen, manche nur örtlich, manche national aufgestellt, die Ausführungsplanung und Bauleitung übernehmen.
Neuland war für die Deutschen der Umgang mit den chinesischen Bauherren und Behörden. Man lernt v. a. die operativen Manager kennen. Weitere Zuständigkeiten sind schwer zu durchschauen. Zuweilen bemerkt nur Wu Wei, wenn Verantwortliche wechseln, wenn jemand in der Hierarchie befördert oder degradiert wurde.
Geschäftliche Treffen mit Verhandlungen und wichtigen Entscheidungen werden gerne in einen gesellschaftlichen Rahmen verlegt. Die in Deutschland gewohnte direkte, ergebnisorientierte Kommunikation ist in China nicht üblich. Hektik und Stress auch nicht, man nimmt sich Zeit, fast wie in Arabien. Konfrontationen werden gemieden. Statt »nein« sagt man »vielleicht«. Ein Angebot formuliert ein Mitarbeiter im niedrigeren Rang, damit bei Ablehnung nicht der hochrangige Gesprächspartner das Gesicht verliert. Auch ein endgültiges Verhandlungsergebnis kann von Untergebenen langatmig in Möglichkeitsform referiert werden. Kluge Verhandlungspartner wissen dann, dass das letzte Wort gesprochen ist. Das Gesicht wahren hat ohnehin oberste Priorität. Deshalb werden viele Tatbestände metaphorisch umschrieben. Harte Worte, direkte Schuldzuweisungen, Schadenersatzdrohung und dergleichen sind undenkbar. Kommt es zu einem kontroversen Meinungsaustausch, kann es durchaus sein, dass der chinesische Gegenüber plötzlich feststellt, man müsse nun zum Essen gehen, dann ist die Diskussion beendet. So laufen die Treffen gemeinhin harmonischer ab als in Europa üblich.
Viel Geduld ist also zu dieser Art »slow dating« mitzubringen. Verträge werden kaum beachtet. Sie beinhalten ohnehin wenig justiziable Fakten. Wichtiger ist das Vertrauensverhältnis, das in vielen Kontakten aufgebaut wird. Es ist deshalb auch nicht ›
› ratsam, zu den Treffen chinesische Mitarbeiter zu schicken. Die fachspezifischen Mitarbeiter haben ohnehin nicht die Position, auf Augenhöhe zu agieren. Von Gerkan, Schütz oder Goetze, einer ist deshalb immer in China präsent.
Dabei geschieht das Bauen in atemberaubendem Tempo und es wird wenig diskutiert oder infrage gestellt. Deshalb ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der täglichen Architektenarbeit fünf- bis sechsfach günstiger als in Deutschland. Zudem arbeiten die zwei Drittel chinesischen Mitarbeiter eher unter chinesischen Bedingungen, leisten also mehr Arbeitszeit und beanspruchen weniger Freizeit. Nur deshalb »lohnt« sich die Arbeit in China für ein Büro wie gmp trotz des für dortige Wertschöpfung ungünstigen Wechselkurses.
6 000 Wohnungen haben gmp bereits gebaut. Dabei auch deutsche Standards zu realisieren, ist kaum möglich. Wohnungsbau unterliegt in China dem Spekulationsmarkt. Als von Gerkan durch ein fertiggestelltes Haus ging und eine lange Mängelliste aufstellte, wunderte sich der Auftraggeber. Das Haus war verkauft, und er sah keine Veranlassung, sich noch darum zu kümmern. Denn auch die Wohnungskäufer akzeptieren Baumängel klaglos und versuchen, sich damit zu arrangieren.
Eine Behördenaufsicht und Stadtplanung in unserem Sinn gibt es nicht. Feng Shui ist wichtiger als Bauleitplanung. Es gibt eine vorherrschende Meinung, dass Wohnungen grundsätzlich nach Süden ausgerichtet sein müssen, gleichgültig ob im kalten Norden oder im tropischen Süden, anders könne man sie nur mit Verlust an den Mann bringen. Deshalb sind Städte in ganz China quergestreift, stehen alle Wohnblocks in Ost-West-Richtung. So kann man keinen wirklichen Städtebau betreiben. gmp haben den Versuch gewagt und in einer Wohnanlage zugunsten stadträumlicher Qualitäten die Baukörper anders arrangiert und 15 % der Wohnungen nicht nach Süden ausgerichtet. Sie wurden trotzdem und zum selben Preis verkauft.
Die Ost-West-Formation der Wohnblocks ist auch einer der Gründe, weshalb von Gerkans Idealstadtentwurf Lingang südlich von Shanghai letztlich gescheitert ist. Die konzentrischen Quartiere rings um den zentralen, kreisrunden See sollten auf den Mittelpunkt der Stadt ausgerichtet sein. Wenn die Chinesen jetzt den Stadtplan in eigener Regie und planlos mit Ost-West-Riegeln füllen, haben sie weder die Stadtidee akzeptiert, noch realisieren sie die stadträumlichen und stadtstrukturellen Qualitäten. Sie bauen Hochhäuser, wo keine vorgesehen waren, und sie bebauen auch nicht die acht Kilometer lange Uferpromenade rings um den See wie vorgesehen mit einer geschlossenen Front ähnlich dem Bund in Shanghai, sondern mit Solitären unterschiedlicher Höhe, wie überall in China eben. Eine vertane Chance – aus unserer Sicht.
In China ist es nicht unüblich, nur eine Idee oder einen Vorentwurf zu bestellen und zu bezahlen oder sich von einem Verfasser auf halbem Weg zu verabschieden. Jemand wird sich finden, der den Bau billiger realisiert. Das Bedürfnis deutscher Architekten, einen Entwurf bis zum Ende zu begleiten, um die Idee und die Qualität zu sichern, ist den Chinesen fremd. Dennoch gelingt es gmp mehr und mehr, mit Verweis auf inzwischen zahlreiche Referenzbauten die Klienten von der Qualität ihrer Bauten zu überzeugen. Und neuerdings kommt ihnen das politisch von ganz oben verordnete Ziel der Nachhaltigkeit gelegen. Die Aussichten sind erfreulich. •
Der Autor ist apl. Professor für Architekturtheorie der TU Dresden und lebt als Publizist und freier Architekturkritiker in Berlin.
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