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Simulation des World Trade Centers

Diskurs
Simulation des World Trade Centers

Simulation des World Trade Centers
Im August sorgte das Nürnberger Kulturreferat für ein außergewöhnliches Kunsterlebnis: Die Bürger setzten auf dem Sebalder Platz ein Puzzle von Albrecht Dürers »Brustbild einer jungen Venezianerin« zusammen Foto: Claus Felix, Nürnberg
Eigentlich geht es gar nicht um ein Ensemble von Gebäuden, das auf Ground Zero entstehen soll. Es geht vielmehr um den Ausdruck dessen, wie Amerika angemessen auf den 11. September reagieren will. Nur ist die amerikanische Gesellschaft inzwischen in so viele Fragmente zerfallen, dass es diesen einen Ausdruck nicht mehr gibt. Einige wollen einen Friedhofspark, andere das höchste Gebäude der Welt, manche den Wiederaufbau der Twin Towers und andere mit Wohnungsbauten die Struktur des historischen Viertels rekonstruieren.

Da keine Einigkeit herrscht, wird der Wiederaufbau des World Trade Centers vorerst nur simuliert. Es gibt spektakuläre Computeranimationen, große Reden, symbolische Gesten, eine Grundsteinlegung am Nationalfeiertag – nur keinen Bau. Vor allem aber simuliert das neue World Trade Center Demokratie. Über nichts anderes war in New York so lange und heftig debattiert worden, auf Bürgertreffen, in Universitäten, es gab Tausende von schriftlichen Eingaben. Nichts davon findet sich in dem wieder, was vielleicht, vielleicht aber auch nicht gebaut wird.
Der Hauptgrund: In einer Parallelwelt ist das World Trade Center ein privates Bauprojekt, bei dem Geschossflächen wichtig sind, Pachtzahlungen, Kreditverträge, Honorare, das aber von einem Developer (Larry Silverstein) gemanagt wird, der für ein 12-Mrd-Dollar-Ensemble mehrere Nummern zu klein ist. Silverstein hat von seinen Versicherungen 4,5 Mrd Dollar erhalten, von denen er schon fast zwei ausgegeben hat – unter anderem für die Pacht von 120 Mio Dollar im Jahr, die an die Hafenbehörde geht, die »Port Authority of New York and New Jersey«. Diese untersteht den Regierungen der beiden Staaten und mitnichten der Stadt New York oder gar ihren Bürgern. New Jersey hat derzeit einen provisorischen Gouverneur; sein Vorgänger musste zurücktreten, weil er, obgleich verheiratet, einen Liebhaber hatte – er simulierte den Ehemann. Das macht den New Yorker Gouverneur George Pataki zum starken Mann. Er will die Aufbaupläne für das neue World Trade Center nutzen, sich als künftiger Präsident zu empfehlen, und zeigen, dass sich New York von Terroristen nicht abhalten lässt, hoch zu bauen. Zumindest auf dem Papier.
Er war es auch, der darauf drängte, Daniel Libeskind als Architekten auszuwählen. Libeskind hatte den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen – die Simulation eines Wettbewerbes eigentlich; eine Aufforderung an die ganze Welt, unverbindlich Pläne einzuschicken. Libeskinds Entwurf einer Stadtlandschaft des Hurrapatriotismus ließ sich jedoch nicht umsetzen, aus technischen wie aus finanziellen Gründen. Was aber im Grunde egal ist, denn Libeskind simulierte nur, dass er den Bauauftrag habe. Schließlich ist Silversteins eigentlicher Architekt David Childs von SOM. Jener entwarf zunächst ein fragiles Hochhaus aus gedrehten Stahlseilen und, als die Polizeibehörde intervenierte, einen prismenartigen Wolkenkratzer aus gehärtetem Glas mit einem Kern aus 12 000 Pfund Stahl und Beton, der auf einem fünfzig Meter hohen, metallverkleideten Bunker sitzt. Der Architekt verglich ihn mit den Obelisken von Washington und Paris, die New York Times hingegen mit den »Alpträumen von Albert Speer«.
Da sich mittlerweile alle am »Freedom Tower« abgekämpft haben, dreht sich die Debatte nun um das »Freedom Center«. Dessen Aufsichtsrat ist ausgewogen mit Neocons und Paleocons besetzt, den neuen Konservativen, die früher den Trotzkisten nahe standen, und den alten, die immer konservativ waren. Beide wollen ihre jeweilige Simulation von Freiheit ausstellen: Die Paleocons beabsichtigen, den heldenhaften Widerstand der Passagiere des Fluges 93 zu feiern, der in Pennsylvania abstürzte (aber doch wohl eher abgeschossen wurde), während die Neocons erzählen wollen, wie die USA Stalins Gulags befreiten, von der Quellenlage her ebenfalls eher dubios.
Pataki hat das »International Freedom Center« inzwischen aber gänzlich vom Gelände geworfen. Offenbar befürchtet er, dessen Programm sei doch keine so gute Empfehlung für seine weitere Karriere: »Ich brauche die absolute Garantie, dass im IFC nichts passiert, was Amerika kritisiert.« Daraufhin warf der Trägerverein das Handtuch.
Was aber hätte sonst geschehen sollen? Die einzige Möglichkeit für eine demokratische Planung wäre gewesen, Silverstein frühzeitig herauszukaufen und auf die Jahrespacht zu verzichten. Ohnehin müsste ein derart großes Grundstück von einer staatlichen Entwicklungsgesellschaft beplant werden; der Stadtverwaltung fehlen dafür die Kapazitäten.
Dazu kommt, dass die Fronten stärker verhärtet sind denn je. Das Beste wäre es, abzuwarten, welcher Bedarf für Ground Zero überhaupt besteht. Daraus entwickelt sich eine Bebauung ganz von selbst. Eine wirkliche, keine simulierte. Eva Schweitzer
Die Autorin ist Kulturkorrespondentin in New York.
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