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Die Architektur des Flughafens Berlin Brandenburg International

Der Flughafen Berlin Brandenburg International
Schönefelder Neustart

Seit ihrem unbeschwerten Entwurf für Tegel haben von Gerkan und Marg reichlich Erfahrung im Flughafenbau sammeln können. Rund 40 Jahre sind vergangen, die Anforderungen haben sich stark verändert und so auch die Typologie der Bauaufgabe. Die Betreiber des neuen Berliner Großflughafens müssen viel Schelte einstecken – das Gebäude aber macht alles richtig.

~Jürgen Tietz

Für Berlin sollte der 3. Juni 2012 eigentlich einen bemerkenswerten Einschnitt bedeuten: Mit der Schließung von Tegel am Vorabend hätte sich kein Flughafen mehr auf dem Gebiet jener Stadt befunden, die während der Luftbrücke 322 Tage lang einzig über den Luftweg versorgt wurde. Doch kurz vor dem Start ließ der Brandschutz die Eröffnungsträume für den neuen Flughafen Berlin Brandenburg International vorerst platzen. »Fertigstellung und bauliche Abnahme der sicherheitstechnischen Anlagen« seien laut der Berliner Flughafengesellschaft bis zur geplanten Eröffnung nicht zu verwirklichen. Jetzt soll die Eröffnung nach den Berliner Sommerferien erfolgen, der genaue Termin ist noch offen. Für ein paar Monate gibt es also noch einen kurzen Nachschlag für Tegel (s. »Kommentar« auf S. 3 »).
Maßstabssprung
Für die Berliner und ihre Gäste bedeutet es eine gewaltige Umstellung vom Tegeler Dauerprovisorium der letzten Jahre zum schicken neuen Flughafen BER – so das luftfahrttechnische Kürzel des neuen »Singleairports« der Region Berlin-Brandenburg –, der als Beinamen den des einstigen Regierenden Bürgermeisters, späteren Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt führt. Fast würde sich ein Vergleich zwischen ihnen verbieten, schließlich trennen die beiden Flughäfen nahezu 40 Jahre. Für die schnelllebige Baugattung Flughafen, die ja überhaupt erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden ist, bedeutet das eine Ewigkeit. Doch Tegel und BER verbindet mehr als ihre Funktion – es sind ungleiche Geschwister, die beide aus dem Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner hervorgegangen sind.
V. a. an den erwarteten Passagierzahlen wird deutlich, welcher Dimensionssprung zwischen dem kleinen West-Berliner Charter- und Ferienflughafen Tegel liegt, der einst für gerade einmal 2,5 Mio. Passagiere pro Jahr vorgesehen war, und dem neuen Airport Berlin Brandenburg International. In Planungsgemeinschaft von gmp mit »JSK International Architekten und Ingenieure mbH« für die Generalplanung verwirklicht, geht man bei dem 2-Mrd.-Euro-Projekt in der ersten Ausbaustufe von 27 Mio. Passagieren pro Jahr aus. Durch zwei Satellitenbauten auf dem Flugfeld kann die Kapazität auf rund 45 Mio. Fluggäste gesteigert werden. Auch konzeptionell unterscheiden sich beide Airports grundsätzlich: Tegel, im November 1974 in Betrieb genommen, stand für das dezentrale Prinzip der Abfertigung und galt als Drive-In-Airport der kurzen Wege: Binnen 10 Min. im Idealfall vom Auto in den Flieger. Doch das funktionierte nur ohne personal- und zeitaufwendige Sicherheitskontrollen an jedem Flugsteig. Insofern war Tegel angesichts des Flugzeugterrorismus der 70er Jahre schnell zum Auslaufmodell bestimmt. BER ist demgegenüber nach dem inzwischen weltweit üblichen Prinzip der zentralen Sicherheitskontrollen an einem »Bottleneck« entstanden.
Was den neuen Flughafen für die Hauptstadtregion ausmacht, zeigt sich schon bei der ersten Annäherung über den neu geschaffenen Autobahnanschluss: Es sind einerseits die gewaltigen, annähernd stadtgroßen Abmessungen des 14,7 km² großen Areals und andererseits die eindrucksvolle Klarheit seiner räumlichen und funktionalen Struktur. So definiert der Entwurf von Meinhard von Gerkan und Hubert Nienhoff mit Hans Joachim Paap als Gesamtprojektleiter den Flughafen als ein System aus einzelnen Bausteinen. Und damit diese Bausteine in ihrer Gestaltung, Materialität und Zuordnung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, haben die Architekten ein Gestaltungshandbuch als verbindlichen Leitfaden formuliert, um auch künftig jenem baulichen Wildwuchs vorzubeugen, der die weltweit schnell wachsenden Flughäfen kennzeichnet und damit zu ihrer Unübersichtlichkeit beiträgt.
Unter einem Dach
Blickfang und Herzstück der Flughafenanlage ist das gläserne Ankunfts- und Abflugterminal. Als sogenanntes Midfieldterminal konzipiert, liegt es zwischen zwei Start- und Landebahnen und überragt die angrenzenden Bauten, ganz so als handele es sich um den Corps de Logis einer barocken Dreiflügelanlage. Flankiert wird es von Funktionsbauten, von Verwaltung, Hotel und jeder Menge Parkhäuser. Seitlich wird das Terminal zudem durch eine Beton-Kolonnade gefasst, als steinernem Gegenstück zur gläsernen Hallenarchitektur.
Große Form und große Geste des neuen Flughafens vereinigen sich unter dem weit auskragenden Terminaldach, das den Reisenden mehr bietet als einen Witterungsschutz. Denn das Leitmotiv des Flughafens ist das »One-Roof-Konzept«: Unter der annähernd 50 000 m² großen Dachfläche sind die wichtigsten Flughafenfunktionen gebündelt, vom Check-in und der Gepäckaufgabe über Gepäckausgabe, Sicherheitskontrolle bis hin zur obligatorischen Einkaufszone. Dahinter schließen sich die U-förmig um das Terminal angeordneten Piers mit den Flugsteigen an. Während die südlichen und die westlichen Piers mit Fluggastbrücken ausgestattet sind, wird auf diesen »Luxus« am etwas sparsamer (aber nicht karg) ausgestatteten nördlichen Pier für die Billigfluglinien verzichtet.
Trotz ihrer eindrucksvollen Breite von 220 m wirkt die Abflughalle keineswegs monumental, sondern vielmehr wunderbar luftig. Das liegt nicht zuletzt an den filigranen Stützen, die, in weitem Abstand gesetzt, die Halle zurückhaltend rhythmisieren. Sie tragen eine nahezu entmaterialisiert wirkende Dachkonstruktion, deren Bekleidung mit einer transluzenten, hellen Glasfasermembran diesen Eindruck zusätzlich fördert. Doch nicht nur die schlanken Stahlstützen mit ihrer eleganten Enthasis, die befreit vom klassischen Duktus, an aufgestellte, schlanke Zeppeline erinnern oder an abstrahierte Flugzeuge, spielen mit dem Mythos des Fliegens. Auch die »schwebende« Skulptur eines »fliegenden Teppichs« von Pae White bedient als Blickfang in der Abflughalle diese Assoziationen.
Der Check-in ist, neben den obligatorischen Automaten, auf zweimal vier Check-in-Inseln in der Halle verteilt. Dazwischen liegt der Zugang zu den unteren Ebenen des Flughafens mit dem Bahnanschluss, der in gut 20 bis 30 Min. BER mit Berlin-Mitte verbinden soll – ein deutlicher Vorteil gegenüber Tegel. Trotz des grundsätzlich anderen Abfertigungskonzepts als in Tegel ist man in BER gleichfalls um (relativ) kurze Wege bemüht – vom Bahnhof treppauf gelangt man zügig zu Check-in, Sicherheitsschleuse und Main-Pier. Grundsätzlich anders aber ist die Materialität: Anstelle des quietschbunten 70er-Jahre-Abba-Looks von Tegel bietet BER ein luxuriös wirkendes Abflugterminal, in der die Check-in-Inseln mit ihrer Bekleidung aus dunklem französischen Nussbaum mit liegender Maserung sowie der helle Jura-Kalksteinboden eine hochwertige Ausstrahlung entfalten. So umgibt die Passagiere schon vor dem Boarding ein ebenso unaufdringliches wie unaufgeregtes Wohlfühlambiente, das durch seine Übersichtlichkeit zusätzlich punktet. Dieselben Materialien finden sich auch in den Piers wieder, die die Fluggäste nach Passieren der Sicherheitskontrollen und der als »Marktplatz« bezeichneten Einkaufszone erreichen. Den einzigen Unterschied bilden die Decken, die dort aus Streckmetallgittern bestehen.
Diese konsequent durchgehaltene Materialverwendung trägt zu dem spezifischen Orts-Charakter mit Wiedererkennungseffekt bei, der den Flughafen auszeichnet – gerade auch im Vergleich zu anderen internationalen Flughäfen, auf denen die Orientierung zwischen mehreren zusammengewucherten Terminals mit unterschiedlicher Material- und Formensprache oft schwerfällt. Daher sind Orts- und Aufenthaltsqualitäten wie sie BER entfaltet gerade für Flughäfen bemerkenswert, denen der französische Ethnologe Marc Augé ja als vermeintlichen »Nicht-Orten« einen spezifischen Charakter abspricht. Wer seinen Flugsteig gefunden hat und auf einem der von gmp durch Schichtholzcorpus und Kunstlederbezug aufgewerteten »Airport«-Stühle nach Entwurf von Norman Foster auf den Abflug wartet, der kann sich auch dort dank der aus Transparenz und Klarheit gespeisten, passagierfreundlichen Übersichtlichkeit des Flughafens schnell orientieren, wo Land- und wo Luftseite liegen. All das, was ihn nicht unmittelbar betrifft, soll der Fluggast ja ohnehin nicht mitbekommen – wie etwa die sicherheitstechnisch relevante Trennung der Passagierströme in Schengen- und Nicht-Schengen-Bereiche. Schade nur, dass auch die wenigsten Fluggäste je die eindrucksvolle Gepäcksortierungsanlage zu Gesicht bekommen werden, die automatisierte Herzkammer des Flughafens!
Wie bei Großprojekten üblich, erwies sich auch der Planungsvorlauf für BER als das Geschäft einer ganzen Generation. Lange wurde zwischen Berlin, Brandenburg und dem Bund gefeilscht, wo der neue Flughafen errichtet werden soll. Zudem beschäftigt der öffentliche Protest gegen drohenden Fluglärm die Region seit Monaten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage, ob der alte sowjetische Militärflughafen Sperenberg, der vom Land Brandenburg als Standort des neuen Singleairports favorisiert worden war, nicht der günstigere Standort gewesen wäre – gerade weil er deutlich stadtferner liegt. Und die Zukunft von BER? Derzeit ist sich die Berliner Flughafengesellschaft unsicher, ob die Abfertigungskapazitäten in Spitzenzeiten ausreichen und lässt für 2,5 Mio. Euro eine zusätzliche provisorische Abfertigungshalle bauen. Drohen im Berliner Flugverkehr also schon wieder Tegeler Verhältnisse? Angesichts rasant steigender Fluggastzahlen im Berlin-Tourismus wird die Ausbaudiskussion von BER jedenfalls nicht lange auf sich warten lassen. •
  • Der Autor studierte Kunstgeschichte und arbeitet als Architekturkritiker und Buchautor in Berlin.
  • www.berlin-airport.de


Lesen Sie hier, warum der Berliner Großflughafen BER zum Desaster wurde:
Fehlender Durchblick »

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