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Schlechte Zeiten, gute Zeiten

Expo Real 2011 in München
Schlechte Zeiten, gute Zeiten

Die größte europäische Messe für Gewerbeimmobilien und Investitionen gilt in der Fachwelt nicht gerade als Schaufenster für qualitätvolle Architektur. Ist es dennoch die Mühe wert, sich einige Tage auf solch einer Immobilienmesse herumzutreiben? Ein streiflichtartiger Erlebnisbericht mit der klaren Antwort: ja.

~Karl J. Habermann

Auf der Hauptpressekonferenz der Messeleitung gibt es die obligatorischen Zahlen und Daten nebst optimistischem Statement zur Lage. Trotz oder gerade wegen der unsicheren Lage der Weltwirtschaft scheint die Tendenz zu festen Anlagewerten für den Immobiliensektor Anlass zu vorsichtigem Optimismus zu geben. Die Expo Real bietet alljährlich vielfältigste Kontakte zwischen Investoren, Projektentwicklern, Wirtschaftsförderungsinstitutionen von Ländern, Regionen, Städten und Gemeinden, Vertretern von Handel und Hotellerie, Planern, Architekten und Ingenieuren unterschiedlicher Fachgebiete. Für einen ersten Überblick hat es sich bewährt, sich erst einmal mit offenen Augen und Ohren durch die Hallen treiben und überraschen zu lassen. Die erste Entdeckung folgt auf dem Fuß. Edinburgh, über Jahrzehnte mit München schwesterlich verbunden, wagt erstmalig den Auftritt auf der Expo und wartet mit besonders üppigen, entwicklungsfähigen Gewerbeflächen auf. Die Erwartungen sind hoch, die Gefahren dank der anspruchsvollen Topografie auch. München belegt wie gewohnt das Zentrum der Halle A2 und scheint die Niederlage im olympischen Wettbewerb längst hinter sich gelassen zu haben. Wenige Schritte weiter informieren Vertreterinnen der Stadt Freising nachdrücklich über das wirtschaftliche Nachsehen am Flughafen. Man habe den dort Beschäftigten preiswerte Wohnungen nebst Infrastruktur zu stellen, ohne mit anteiligen Gewerbesteuern unterstützt zu werden. Die von der bereits beschlossenen Startbahnerweiterung noch direkter betroffenen Gemeinden sind bereits auf dem flughafeneigenen Messestand vertreten und hoffen ihrerseits auf lärmunempfindliche Gewerbeinteressenten – lebensnaher kann die Fortbildung in Problemen der Stadt-, Landes- und Regionalplanung kaum ausfallen. Studenten der TU München dürfen sich hier im Rahmen eines Wettbewerbs den Kopf über (un-)mögliche Lösungen zerbrechen.
Der Trend, sich regional oder unter dem Begriff Metropolregion zusammenzuschließen, ist auch dieses Mal verstärkt zu beobachten. Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt bemühen sich unbeirrt um die Stärkung Mitteldeutschlands. Im Verbund gelingt es auch kleineren Städten, agile Angebote zu schaffen. Ein aufmerksamer Investor sollte sich deshalb zunächst mit dem Gedanken befassen, sich womöglich in der Provinz zu engagieren, bevor er dem Herdentrieb in die ohnehin gesättigten Metropolen folgt. Die HafenCity Hamburg bleibt dem Motto einer breit angelegten, über Jahre laufenden, intensiven Informationspolitik treu. Der Gefahr eines übersättigten Büromarkts steuert man nun verstärkt mit Wohnungsbau entgegen. Nur die ausgewogene Mischung garantiert urbanes Leben.
Lernstoff für alle Beteiligten
Auf dem Stand der Metropolregion Rhein-Neckar gibt es dank eines Auftritts des Ministers a. D. Heiner Geißler vorübergehend kein Durchkommen mehr. Seine Philippika gegen Spekulanten und ausufernden Kapitalismus führt hier nur zu verhaltenem Applaus, aber immerhin auch zu nachdenklichen Gesichtern. Geißler sieht den Ausweg aus der Krise ohnehin nur in einer ökosozialen Marktwirtschaft mit klar formulierten ethischen Regeln.
Moralisch gestärkt geht die Suche nach erträglicher Architektur weiter. Auf dem red-dot-prämierten Forum von Bundesarchitektenkammer und DGBN kann man ansatzweise fündig werden. Die Messeauftritte der Niederlande und der Schweiz sind da allerdings noch ergiebiger: Vertreter arrivierter Architekturbüros erläutern persönlich ihre neuesten Projekte anhand von attraktiven Modellen, Plänen und realitätsnahen Renderings.
Im Vergleich zu den Vorjahren bleibt dem aufmerksamen Besucher der flächenmäßige Rückgang der Auftritte Russlands, Spaniens und der Emirate kaum verborgen. »Die Welle ist durch«, heißt es da lakonisch auf penetrantes Nachfragen bei den anwesenden Projektentwicklern, Investoren und Banken. Allein Doha hält hier unverdrossen die Fahne hoch und kann im Vergleich zum hoch gepriesenen CO2-freien Stadtmodell Masdar City nur mit einer weit weniger spektakulären Stadterneuerung aufwarten. Namhafte britische Architektur- und Ingenieurbüros sorgen für eine dem Ort und dem Klima angepasste Architektursprache mit vernakulären Elementen. Sollte man aus Dubai die notwendigen Lehren gezogen haben? Hoffentlich! Die Bemühungen hierzulande, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit auch im Alltag des Planens und Bauens zu verankern, schreiten nicht zuletzt auch dank der Bemühungen des DGNB voran. An die 50 Projekte wurden auf der Messe mit Zertifikaten bzw. Vorzertifikaten bedacht. Dass man hier noch weitergehen kann und muss, zeigte der Auftritt von Michael Baumgart. Sein Prinzip Cradle to Cradle propagiert das konsequente Denken und Handeln in Kreisläufen und ist in den Niederlanden bereits im Bauen angekommen (s. db 6/2011, S. 78-80). Baumgarts Partner William McDonough ist Architekt und bemüht sich im Projekt Park 20/20 um die Realisierung eines ersten Pilotprojekts. Städtebau und Architektursprache bleiben jedoch konventionell. Die Ästhetik hat – als wesentlicher Bestandteil nachhaltiger Architektur – in die vielerlei Zertifizierungsbemühungen immer noch keinen Eingang gefunden. Nur eine noch stärkere Durchmischung der Messe mit hochwertigen Beispielen kann hier Abhilfe schaffen: die Messeauftritte der Niederlande und der Schweiz liefern hierfür gute Belege. Dass die Ausbildungsstätten für das Immobilienwesen auf einer Expo Real nicht fehlen dürfen, sollte jedermann klar sein. So sind diese auch präsent: Professoren stehen Rede und Antwort zu Schwerpunkten von Lehrangebot und erzielbaren Qualifikationen. Nur sollte man auch an die finanziellen Möglichkeiten der Studenten denken und die Zugangsmöglichkeiten zur Messe verbessern – den bereits reduzierten Eintrittspreis von 85 Euro im Vorverkauf und 100 Euro vor Ort wird niemand verlockend nennen wollen. Dennoch: Wohl kaum eine Schule wird mehr praktischen Anschauungsunterricht bieten können als der reale Messebetrieb. •
Der Autor ist freier Architekt und Fachautor. Er lebt und arbeitet in München.
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