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Sachsens Denkmalen droht Gefahr

Diskurs
Sachsens Denkmalen droht Gefahr

Seit der Entwurf für die Novellierung des sächsischen Denkmalschutzgesetzes

im Mai durch das Stadtforum Leipzig in die Öffentlichkeit getragen wurde, häufen sich die Proteste an die Adresse des sächsischen Ministerpräsidenten, Stanislaw Tillich. Eine Antwort haben die Besorgten in der Regel nicht erhalten. Lediglich den Hinweis, dass an dem Entwurf noch gearbeitet werde. Der Vorentwurf sah vor, dass etwa 80 % der derzeit anerkannten Kulturdenkmale aus der besonderen Fürsorgepflicht des Staates entlassen werden. Mittelalterliche oder frühneuzeitliche Kellergewölbe, Grundmauern und Brunnenanlagen haben die Bodendenkmalpfleger nicht mehr zu interessieren, die sich »in der Regel« nur noch um Vor- und Frühgeschichtliches zu kümmern haben. Jeder Investor darf seine Tiefgarage also in die Fundamente der Stadt- und Ortskerne rammen, weil die unscheinbaren Gemäuer, die von alten Haushaltungen erzählen, nicht mehr schutzwürdig sind. Ähnlich Investoren-freundlich ist die geplante Kategorisierung der Baudenkmale: Premium-Objekte von internationaler, nationaler und territorialer Bedeutung sollen binnen einer sechsmonatigen Meldefrist ultimativ in ein Denkmalbuch eingetragen werden. Nur um diese sollen sich die staatlichen Denkmalpfleger kümmern. Alle anderen, »einfachen« Denkmale werden nach Rücksprache mit den Eigentümern in ausführlich begründete Listen eingetragen. Für diese Stadthäuser, Dorfkirchen, Zehntscheunen und Fabriken sollen dann nur noch die Unteren Denkmalschutzbehörden – meist die Bauverwaltungen der Städte und Kreise – zuständig sein. Realpolitisch entscheiden damit Bürgermeister und Landräte über die Schicksale historischer Bausubstanz. Konzentriert sich die staatliche Obhut auf die touristisch vermarktbaren »Leuchttürme« wie Schlösser, Burgen und reich ausgestattete Kirchen, dann lassen sich auch die Fördermittel für Restaurierung und Instandsetzung entsprechend lenken. Mehr Bürgernähe wird als Grund für die geplante Übertragung der Aufgaben an die Unteren Denkmalschutzbehörden genannt. Das klingt ehrenwert, verlagert aber nur die personellen wie finanziellen Probleme auf die ohnehin armen Gemeinden. Nicht anzunehmen, dass Kommunen, die Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser schließen müssen, graduierte Denkmalpfleger einstellen, um der neuen Verantwortung gerecht zu werden. Die Klassifizierung der Baudenkmale wird fatale Folgen für die Kultur- und Denkmallandschaft Sachsens haben. Eine wichtige Hemmschwelle für Abrissanträge der Denkmaleigentümer wird beseitigt; zumal im Gesetzentwurf auch ein neuer Zumutbarkeits-Paragraf eingefügt worden ist. Keine Rede vom Grundgesetz-Paragrafen, wonach Eigentum verpflichtet. Auch öffentliches Interesse bleibt bedeutungslos, wenn Denkmaleigentümer geschickte Rentabilitäts-Rechnungen aufstellen. Können die Mehr-Kosten für Erhalt und Nutzung des Denkmals langfristig nicht wieder erwirtschaftet werden, dann sei die Belastung nicht zumutbar, argumentiert das Innenministerium. Statt im Namen der Öffentlichkeit und im Hinblick auf längerfristige Entwicklungspotenziale einer Kommune für solche Fälle einen Entschädigungsfonds einzurichten, wird das Denkmal preisgegeben. Insgesamt zielt das Gesetzesvorhaben auf eine Stärkung des Eigentumsrechts. So wird der nach der Wende so segensreiche städtebauliche Denkmalschutz systematisch ausgeklammert. Zwar wird erstmals der Ensemble-Begriff eingeführt, wie er auch in anderen Denkmalschutzgesetzen existiert, welche Siedlungsbereiche aber gewürdigt und gehütet werden, ist von den Unteren Denkmalschutzbehörden der Kommunen zu bestimmen. Bürgermeister, die bereits in einem zentralen Supermarkt die Investition in die Zukunftsfähigkeit des Ortes sehen, werden entsprechend zurückhaltend bei der Ausweisung von schutzwürdigen Kernzonen sein. Stadtväter, die von Null-Emission träumen, werden nicht mit der Wimper zucken, wärmende Häuserverpackungen auch für Denkmale durchzusetzen. Alle Eigentümer, deren Häuschen kein Einzeldenkmal ist, haben kaum noch Einmischungen zu befürchten.

Schon während der gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Waldschlösschen-Brücke war zu erkennen, dass Sachsen aus hoheits- und planungsrechtlichen Gründen jede Definition von schützenswerten Kulturlandschaften ablehnt. Der Gesetzentwurf sieht solche Flächendenkmale jenseits von künstlerisch gestalteten Park- und Friedhofsanlagen erst gar nicht vor. Auch werden Nähebereiche selbst um die »herausragenden« Denkmale eingeschränkt. Autobahnen, Brücken, Windparks und Solar-Plantagen dürfen sich breit machen, ohne dass Denkmalschützer Einspruch erheben können. Dies sei Aufgabe der Umwelt- und Landschaftsschutzbehörden, argumentiert das Innenministerium. Nur kümmern sich diese keineswegs um historische Topografien und Vegetationen. Mit der grundsätzlichen Weigerung, Denkmal- und Kulturlandschaften anzuerkennen, stellt sich das so reiche Kulturland Sachsen ins internationale Abseits. Ja, mit dem neuen Gesetzentwurf erfüllt es nicht einmal die Bedingungen, zu denen sich alle Unterzeichner der Welterbe-Konvention verpflichtet haben. Es ist ein Hohn – und die Umkehrung aller rechtlichen Konsequenzen, wenn der Gesetzentwurf die nominierten Welterbestätten exklusiv in die Kategorie der besonders geschützten »Kulturdenkmale mit herausragender Bedeutung« aufnimmt. Da auch die EU Kulturlandschaften immer mehr würdigt und bewusst fördert, schlägt der Freistaat mit seinem kurzsichtig neoliberalen »Denkmalschutzgesetz« Hilfestellung für eine nachhaltige Entwicklung aus. Das wird auch Auswirkungen auf die touristische Entwicklung vieler Landstriche haben, die ohne den Fremdenverkehr längst verödet wären. Das geplante Denkmal-Enthebungsgesetz negiert Heile-Welt-Bedürfnisse genauso wie ernsthaftes Geschichtsbewusstsein. So lange mehr (Wirtschaftsförder-)Gelder für den Abriss eines Denkmals bereit stehen als für den Erhalt, wird sich Sachsen zusehends radikal verändern. Wäre das Gesetz vor 20 Jahren verabschiedet worden, die Umgebinde-Dörfer der Oberlausitz wären wohl nie Heimat und Bilderbuch-Sehnsuchtsland geworden. Selbst Görlitz hätte keinen Welterbe-Status.
~Ira Mazzoni
Die Autorin ist freie Journalistin und schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung und die ZEIT.
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