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»rettende« globalisierung?

Diskurs
»rettende« globalisierung?

Frankfurt ist diejenige deutsche City, die den Filialen der Globalisierung beste Voraussetzungen bietet. Unter all diesen Zweigstellen betreibt auch

die Europäische Zentralbank (EZB) eine neoliberale Traditionspflege, die Tag für Tag Gewinner und Verlierer unterscheidet. Ebenfalls zum Kerngeschäft zählt das Zukunftsmanagement. Es ist dazu da, das Risiko zu minimieren. Dennoch hat die EZB im Juni des Jahres mitteilen müssen, dass sie für ihren Neubau auf dem Areal der Frankfurter Großmarkthalle keinen Generalunternehmer hat finden können. Um die Verwirklichung der Pläne von Coop Himmelb(l)au bewarben sich vier Bauunternehmen, es traf jedoch nur ein Angebot ein. Weil es die von der EZB angeblich kalkulierten, jedenfalls in der Öffentlichkeit kolportierten 500 Millionen Euro um zusätzliche 900 Millionen überschritt, schloss die Bank jede weitere Beschäftigung mit dem Bewerber von vorneherein aus.

Von Anfang an dürfte es in der EZB keinen Buchhalter gegeben haben, der nicht vom Tag der Baugenehmigung an über die weltweit stark steigenden Materialkosten Auskunft hätte geben können; an erster Stelle die sprunghaft angestiegenen Stahlpreise. Dennoch sah sich Frankfurt mit der Situation konfrontiert, dass die Risikominimierung unter den Bedingungen einer globalisierten Baubranche etwas zutiefst Komplexes darstellt. Hinzu kam eine Pleite symbolischer Art. Denn das Eingeständnis, dass sich kein internationales Konsortium an die Umsetzung heranwagen wollte, erreichte die Öffentlichkeit in der Woche, als der »Tag der Architektur« anstand. Von ihm ist bekannt, dass er als nationale Vertrauensbildungsmaßnahme vonseiten der Architektenschaft gedacht ist.
Gleichzeitig weiß man seit zwei, drei Jahren, wie stark die Stadt und die EZB für den Vertrauensverlust gegenüber der in Frankfurt gebauten Umwelt verantwortlich sind. Für die EZB-Zentrale an der Schwelle zum Osten der Stadt wurde am Hochhausrahmenplan Demontage betrieben. Die Art, wie die Stadt, die EZB und Coop Himmelb(l)au ihre Vorstellungen von einem 180 Meter hohen Zwillingsturm und ihre rohen Absichten mit der historischen Großmarkhalle durchsetzten, wurde zur Inkarnation einer Zitadellenpolitik, noch bevor diese dafür auch eine neue Unterkunft erhielt. Frankfurts Magistrat, von seiner Planungshoheit unzureichend Gebrauch machend, ließ sich schlecht behandeln. Der Denkmalschutz, die Großmarkthalle Martin Elsaessers (1884–1957) betreffend, eine der Ikonen des Neuen Bauens in Deutschland, wurde noch schlechter berücksichtigt. Die Erben Elsaessers, die Nachkommen des Baurats aus der Ära Ernst May, ließen sich ihre Urheberrechte am Baukunstwerk abkaufen, 100 000 Euro für so etwas wie die Traditionspflege. Die Summe soll eingehen in eine Elsaesser-Stiftung und ein Archiv.
Zur Dialektik dieser Konservierung eines Erbes gehört, dass Elemente der Tradition geschleift werden dürfen. Denn sonst würden nicht Teile der Großmarkthalle durch einen präpotenten Entwurf penetriert. Das soll durch einen Riegel geschehen, mit dem ein Monument der Architekturmoderne durchdrungen wird. Im Wiener Büro von Coop Himmelb(l)au wird man wissen, warum man einen Vatermord auch architektonisch angeht.
Ob er nach dem finanziellen Fiasko tatsächlich verübt werden darf, ist nicht recht auszumachen. Tatsächlich gibt es in Deutschland nur eine Handvoll Baufirmen, die die komplizierte Konstruktion des in sich verdrehten Hochhauses bewältigen könnten – mit allen finanziellen Folgen, angefangen vom Bau eines Turms, bei dem normale Kletterverfahren versagen, bis hin zur Fassadenkonstruktion. So wurde die EZB, man darf es Ironie nennen, ein Opfer der Globalisierung des Baumarkts. Ob zu den Verlierern auch Coop Himmelb(l)au gehört, ein Büro, das mit dem Turmbau auch die Lufthoheit über das architektonische Erbe gewinnen will, ist nicht absehbar. Weiterhin nicht recht voraussehbar, inwieweit der finanzielle Fehlschlag auch gestalterische Verluste zeitigen wird. Unkalkulierbar also, ob der Kostendruck die architektonischen Ambitionen aushebeln wird. Oder gar die Großmarkt-halle vorm aggressiven Zugriff bewahren wird?
Zweifellos nicht allein in den Grenzen der »kleinen Großstadt« (so Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth) wird der Bürger regelmäßig Zeuge, wie anfällig die Projektsteuerung der Globalisierung ist. Die Anstrengungen kalkulierter Risikopolitik, deren Zyklen sich offensichtlich nicht kalkulieren lassen, kann man auf Hauptstadtverhältnisse hochrechnen. Denn auch für den Neubau des Berliner Stadtschlosses muss ein Generalunternehmer gefunden werden. Für den Nagelneubau der Neoresidenz sind vom Bundesbauministerium 480 Millionen Euro festgeschrieben worden. Angesichts der Verhältnisse auf dem Baumarkt wird sich bereits in den nächsten Monaten herausstellen, ob die EZB mit ihrem exorbitanten Architekturprojekt so etwas wie ein Monopol auf eine außerordentliche Fehlkalkulation hatte.
~Christian Thomas
Der Autor ist stellvertretender Ressortleiter des Feuilletons der Frankfurter Rundschau und verantwortlich für Architektur und Städtebau.
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