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»Renaissance der Bahnhöfe«? – 15 Jahre Deutsche Bahn AG

Diskurs
»Renaissance der Bahnhöfe«? – 15 Jahre Deutsche Bahn AG

Als zum 1. Januar 1994 Reichs- und Bundesbahn zur Deutschen Bahn AG fusionierten, hatte man sich auch architektonisch viel vorgenommen: »Renaissance der Bahnhöfe. Die Stadt im 21. Jahrhundert« lautete der programmatische Titel einer von der Bahn mitinitiierten Ausstellung, die unter anderem auf der Architekturbiennale in Venedig gezeigt wurde. Was ist heute, 15 Jahre später, aus dem Vorsatz einer neuen Baukultur bei der Bahn ge- worden?

~Lars Quadejacob

Der Auftakt des neuen Bahnzeitalters ließ sich gut an. Das frisch gegründete Unternehmen demonstrierte in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre auf breiter Front seine neu entwickelten gestalterischen Ambitionen: mit spektakulären Neubauten wie dem Frankfurter Flughafenbahnhof (1996–99, BRT Architekten Bothe Richter Teherani), der Entwicklung zeitgemäßer Typen-Bahnsteigdächer durch Gerkan Marg und Partner (1995), mit der Einführung eines neuen Beschilderungs- und Leitsystems (Günther Misof, CDC Design) und neuen Reisezentren aus dem Büro De Lucchi.
Bauerbe als Chance …
Dann folgte eine Reihe von Sanierungen historischer Großstadtbahnhöfe, wobei zumeist nach ähnlichem Muster vorgegangen wurde: Restaurierung der Fassade und im Inneren Herauspräparieren der Wandgestaltung der Erbauungszeit. Alle späteren Einbauten wurden entfernt und die noch erhaltenen Stuckgliederungen weiß gefasst; anschließend dann Ladengeschäfte und Serviceeinrichtungen – vorwiegend unter Verwendung großer Glasflächen in dunkelgrauen Stahlrahmen – neu eingebaut. Zusammen mit der dunkelblauen Beschilderung ergibt sich so ein Erscheinungsbild, das sicher nicht zufällig an aktuelle Flughafenästhetik erinnert. In dieser Form wurden beispielsweise die Bahnhofsgebäude in Hannover (2000, BRT Architekten), Bremen (2001, djp Architekten), Nürnberg (2002, Offis Architekten) und Frankfurt/Main (2006, Prof. Pfeifer und Partner) vollkommen erneuert. Gleich viel weniger »clean« wirkt das Ergebnis, wenn die Innenwandflächen nicht geweißt wurden, weil sie aus Naturstein bestehen, wie zum Beispiel in Wiesbaden.
Aus der Schar der sanierten Bahnhöfe ragen zwei Beispiele heraus: Das eine ist der Leipziger Hauptbahnhof, eine der spektakulärsten Verkehrskathedralen des frühen 20. Jahrhunderts. Seine Wirkung beruht hauptsächlich auf der Monumentalität der riesigen Empfangshalle aus dem Jahr 1915, die restauriert und unauffällig ergänzt wurde, zum Beispiel um eine Verglasung zur Bahnsteighalle. Die denkmalgerechte Instandsetzung »rechnete« sich durch Anlage einer über zwei Ebenen in den Untergrund gegrabenen Einkaufspasssage (1998, HPP) – die erstaunlicherweise der Gesamtwirkung keinen Abbruch tut. Das andere Glanzlicht ist der Dresdner Hauptbahnhof. Fosters Membrandachhaut ist sicher die gewagteste und überzeugendste Synthese aus historischer und heutiger Architektur unter den Sanierungen der Deutschen Bahn AG. Die Neuinterpretation einer Bahnsteighalle des 19. Jahrhunderts, die gmp 2007 für den Kieler Hauptbahnhof entwickelte, fiel demgegenüber deutlich schwerfälliger aus.
Seit Gründung der DB AG entstanden außerdem Bahnhöfe an Neubaustrecken, darunter drei Flughafenfernbahnhöfe. Gerade bei diesen wurde erkennbar hohe architektonische Qualität gesucht, außer in Frankfurt auch in Köln/Bonn (2004, Murphy Jahn) und in Leipzig/Halle (2002, AP Brunnert & Partner); letzterer führt mit seiner Calatrava ähnlichen Segelkonstruktion erfreulicherweise ein neues Motiv in die Architekturlandschaft der DB AG ein. Durchschnittlich hingegen erscheinen die ICE-Haltestellen in Montabaur und Limburg; ärgerlich gar das im letzten Dezember eingeweihte Inselbahnhofsgebäude in Erfurt (Gössler Kinz Kreinbaum): Der denkmalgeschützte Vorgänger von 1893 verschwand zugunsten eines Neubaus mit Autohaus-Charme, einer aufgeregt geschmäcklerischen Stahl-Glashalle, die zudem das erhaltene stadtseitige Vorempfangsgebäude optisch erdrückt.
Überhaupt scheint die DB AG seit dem viel beachteten Debakel um den auf höchste Weisung vereinfachten Berliner Hauptbahnhof (Fertigstellung 2006, siehe dazu db 6/2006) bei ihren Großprojekten etwas die Fortune abhanden zu kommen beziehungsweise sich der Spardruck mit dem Ziel »Börsenbahn« bemerkbar zu machen. So wurde jüngst der seit Jahren geplante Neubau des Essener Hauptbahnhofs durch Christoph Ingenhoven abgeblasen. An einem anderen Großprojekt hält die Bahn unterdessen fest: Stuttgart 21. Jetzt, wo die Realisierung in greifbare Nähe rückt, protestierten im vergangenen Oktober immerhin rund 4000 Stuttgarter gegen den damit verbundenen Teilabriss des einzigartigen Empfangsgebäudes von Paul Bonatz aus den Jahren 1924–28. Einer der engagierten Abrissgegner (www.hauptbahnhof-stuttgart.eu) ist der Stuttgarter Architekt Arno Lederer. Er sei nicht gegen das Durchgangsbahnhof-Konzept, führte er in der Stuttgarter Zeitung aus, er mahne nur die Einlösung von Forderungen der Wettbewerbsjury an – eben den gänzlichen Erhalt des historischen Bahnhofsgebäudes. Er kritisiert den »Maulkorb für die Denkmalpflege« und dass »die Stadt eines ihrer wichtigsten und berühmtesten Bauwerke amputiert und die Resthülle dem Präparator überlässt«.
… und Bauerbe als Ballast
So zutreffend Lederers Analyse ist, angesichts des Verhältnisses der Bahn zu ihrem historischen Baubestand ist die Verstümmelung des Bonatz-Baus kaum mehr als eine Fußnote. Denn die stadtbildprägende Wirkung der Bahn des 19. und 20. Jahrhunderts beruhte nicht zuletzt auf einer Vielzahl von Begleitbauten, die aufgrund heutiger Bahntechnik und Logistikstrukturen zunehmend nicht mehr benötigt werden – beispielsweise Güterbahnhofsgebäude, Bahnbetriebs- bzw. Ausbesserungswerke und Stellwerke (siehe db 2/2007). Sie alle sind im Begriff, vollständig zu verschwinden, gleiches gilt für historische Brücken und Viadukte, die jetzt zunehmend durch Neubauten ersetzt werden.
Doch leider sieht die Bahn nicht nur diese Bauwerke als unnötigen Ballast an, sondern – abseits der großen Fernverkehrsbahnhöfe mit ihren Vermarktungsmöglichkeiten als Ladenpassage – auch die Bahnhofsgebäude selbst. Hier droht eine dramatische Veränderung unserer Kulturlandschaft, denn schließlich bildet der Bahnhof immer noch einen zentralen Bezugspunkt im städtebaulichen Gefüge eines nahezu jeden Ortes, kaum anders als Rathaus und Kirche. Von insgesamt 2400 Empfangsgebäuden möchte man sich trennen. Ziel ist ein »Kernportfolio« von 600 Bahnhöfen, bei 1600 ist man schon angekommen. Vor acht Jahren, als die Verkaufswelle begann, waren es noch 3000. In Sachsen sollen gar von 523 historischen Bahnhofsgebäuden ganze zwanzig in Bahnbesitz bleiben. Überhaupt trifft es den Osten besonders hart. Vielerorts hat sich schon eine ärmliche Standardstation durchgesetzt: eine Art Nicht-Architektur mit Bahnsteigen aus Betonfertigteilen, ohne Dach, ohne Uhr, ohne ›
› Zugzielanzeiger. Daneben verrottet das alte Empfangsgebäude vor sich hin. Um wenigstens das Gebäude selbst zu erhalten, ist privates beziehungsweise kommunales Engagement gefragt. Vorbildlich erscheint hier etwa das Beispiel des 21 000 Einwohner-Städtchens Luckenwalde südlich von Berlin. Dort kaufte man der Bahn das stattliche Stationsgebäude von 1917 ab, das nun zusammen mit einem ambitionierten Anbau der Stadtbibliothek als Domizil dient (2008, Martina Wronna / raumbewegung und Ralf Fleckenstein, Katharina Feldhusen / ff-Architekten). Oft genug jedoch möchte die Bahn den Kommunen ihre Bahnhofsgebäude gar nicht verkaufen, so beispielsweise in Paderborn, wo die Stadt seit Jahren vergeblich versucht, eine Renovierung zu erwirken oder den Bahnhof zu erwerben. Denn viel lieber verschachert die Bahn AG die ungeliebten Liegenschaften en bloc an Kapitalinvestoren: Fast 1000 Bahnhofsgebäude sicherte sich für einen lediglich zweistelligen Millionenbetrag (in Internetforen wird von 28 Millionen Euro gesprochen, also nur etwa 28 000 Euro »pro Stück«) ein Konsortium aus dem britischen Investor Patron Capital Partners und dem Hamburger Immobilienentwickler Procom. Presseanfragen, was mit dem Gebäudebestand geschehen solle, blieben unbeantwortet. Honi soit qui mal y pense: Es besteht zwar eine Investitionsverpflichtung über bescheidene 15 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre, allerdings gilt diese für den Gesamtbestand, so dass gezieltes Verfallenlassen einzelner Immobilien bis zur Abbruchreife möglich ist. Nur etwa 170 Bahnhofsgebäude wurden bislang an Kommunen oder Privatpersonen verkauft. Kein Wunder: Sie bekommen sie nicht mit Mengenrabatt, sondern zu »ortsüblichen Preisen«.
Problem Detailqualität
Doch auch dort, wo die Bahn bauliche Präsenz noch für nötig hält, ist fraglich, wie stark die Verankerung von Baukultur im Unternehmen wirklich ist. So versprach man zunächst anlässlich des Abbruchs eines historischen Viaduktes in Hamburg einen Architekturwettbewerb für den Neubau – der dann aber auf der Strecke blieb. Stattdessen errichtet man dort derzeit einen banalen Damm mit Spundwänden.
Außerdem lassen sich auch bei Renommé-Projekten immer wieder Schwachstellen erkennen, die von Ignoranz gegenüber dem historischen Erbe und Desinteresse an architektonischer Detailqualität zeugen. Beim Hamburger Dammtorbahnhof verschwanden bei der Sanierung Jugendstil-Geländer, andererseits wurden Ladeneinbauten der fünfziger Jahre vervielfältigt und auch dort eingebaut, wo sie früher nicht waren. Oder man wende im Dresdner Hauptbahnhof den Blick einmal von der spektakulären Dachkonstruktion und schaue sich die Seitenausgänge der Bahnsteighalle an: Anscheinend als eine Art Dauer-Provisorium vorgesehen, lassen unverkleidete Betonfertigteile nur einen niedrigen Durchschlupf, der zudem mit Schließfächern vollgerümpelt ist und von Neonröhren beleuchtet wird. Überhaupt breitet sich immer mehr eine Ästhetik des Nichtfertigen aus. Bereits vor Jahren demontierte man in Hamburg die Deckenpaneele der unterirdischen S-Bahn-Stationen (insgesamt sollen bundesweit 47 Stationen betroffen sein) – laut Auskunft der DB-Pressestelle um neuen Brandschutzauflagen Rechnung zu tragen und für mehr Verrauchungsvolumen zu sorgen. Seitdem blicken täglich zehntausende Fahrgäste auf Rohre und herabhängende Stromkabel unter einer schwarz gestrichenen Betondecke. Eine architektonische Lösung ist in weiter Ferne, man warte »auf neueste Untersuchungen von Bahn und Bundeseisenbahnamt«. Inzwischen gibt es auf diesen Stationen einen weiteren architektonischen Schildbürgerstreich zu bestaunen: Gipskarton-Einbauten an den Zugängen zu den unterirdischen Bahnsteigen, die als »Rauchschleppen« im Brandfall die Rauchentwicklung in den Zwischengeschossen verhindern sollen. Die einst bewusst sehr licht und gut einsehbar gestalteten Treppenanlagen wurden dadurch auf eine Durchgangshöhe reduziert, dass sich größer gewachsene Menschen den Kopf stoßen. Selbst wenn die Verhaue brandtechnisch notwendig sein sollten (was einige Fachleute bezweifeln), warum errichtete man nicht wenigstens gläserne Konstruktionen?
Abseits der Renommier-Stationen überwiegt oft der Eindruck, hier habe der Hausmeister gebastelt – von einer zentralen architektonischen Steuerung der baulichen Weiterentwicklung keine Spur. Und so erodieren auch ehedem anspruchsvolle Ausstattungen rasch dahin, indem etwa individuelle Farbkonzepte einer bundesweiten silbergrauen Einheitsbepinselung weichen oder individuelles Bahnsteigmobiliar zugunsten des gerade aktuellen Einheitsmodells ersetzt wird. Bei letzterem muss der Bahn allerdings das massive Vandalismusproblem zugute gehalten werden und es fehlt hier auch nicht an Versuchen zum Gegensteuern bis hin zur Nanobeschichtung gegen Graffiti.
Endstation Baukultur?
Die Bahn hat seit 1994 etwa 7,5 Milliarden Euro in die Erneuerung ihrer Bahnhöfe investiert (genauso viel soll übrigens auch das Gesamtprojekt Stuttgart 21 kosten). Das architektonische Bild der Großbahnhöfe ist damit überwiegend auf ein ansprechendes Level gebracht worden. Doch verpufft dieser positive Eindruck über die bauliche Vernachlässigung in der Fläche: Einigen Dutzend architektonischen Aushängeschildern stehen Tausende von Fällen entgegen, in denen die Bahn auf die Selbstdarstellung durch Architektur vollkommen verzichtet. Selbst wenn es im besten Fall den Kommunen oder Privatleuten gelingt, das ehemalige Bahnhofsgebäude als wichtiges Zeugnis der lokalen Geschichte und Identität zu retten, kann das nur eine Teillösung sein; die einst im Bahnhof angebotenen Dienstleistungen werden vom Reisenden schmerzlich vermisst. Warum bietet jede Provinztankstelle Café und Supermarkt, mitunter aber nicht einmal der Bahnhof einer Kreisstadt? Die Post hat vorgemacht, wie man ein Minimalangebot über Schalter in Privatgeschäften aufrechterhalten kann. Die architektonische Nulllösung sollte auch im eigenen Interesse der Bahn nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Zu wünschen wäre auch, dass es dem Ende 2008 gegründeten bahneigenen Architekturbüro gelingt, laufende Erhaltungsmaßnahmen auf ein höheres Qualitätsniveau zu heben und dass es denkmalpflegerische Forderungen als Chance für die Marke Deutsche Bahn und nicht nur als Ballast begreift. Damit nicht eine Befürchtung wahr wird, die manche Brandingexperten schon heute hegen. Denn, so meinte vor Kurzem der Leiter des Rats für Formgebung, Andrej Kupetz: »Es sieht jetzt so aus, als fehle es der Bahnführung an kultureller Verantwortung und am Bewusstsein, welcher Imagefaktor für die Marke Bahn in ihren Bauten steckt. Und es ist zu befürchten, dass dieses Bewusstsein nach einem Börsengang nicht wachsen wird. So manche Marke ist bereits für ein kurzfristiges Renditeziel unter die Räder geraten.« •
Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift Design Report. Er publiziert außerdem zu Architekturthemen mit den Schwerpunkten Bahnbauten und Denkmalpflege.
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