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Museum Barberini in Potsdam – absurd, gedankenarm, mutlos

Das Museum Barberini in Potsdam: absurd, gedankenarm, mutlos
Rekonstruierter Spatz in der Hand

Rekonstruierter Spatz in der Hand
Stifter Hasso Plattner und Angela Merkel sonnen sich selig im Schein vergangener Epochen Foto: Museum Barberini, Potsdam
Die Kopie einer Kopie wird trotz hartnäckigen gegenteiligen Beteuerns nicht zum Original und selbst viele herausragende Bilder machen noch lange kein gutes Museum aus. Das beweist der neue mediale Superstar an Potsdams Rekonstruktionshimmel, das jüngst mit Kanzlerinnen Gnaden eröffnete Museum Barberini.

~Jürgen Tietz

Einst im Auftrag des Alten Fritz von Carl von Gontard nach Gian Lorenzo Berninis barockem römischen Vorbild als Palais entworfen, wurde es im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nun also feiert das verlorene Palais aus der Hand von Hilmer und Sattler, Albrecht Architekten und dank der Millionen des SAP Mitbegründers Hasso Plattner seine Wiederauferstehung als Museum – gleich gegenüber dem als Sitz des Landtags ebenfalls rekonstruierten Potsdamer Stadtschloss. Rekonstruktion um Rekonstruktion inszeniert die Brandenburgische Landeshauptstadt so energisch wie marktgängig ihr friderizianisches Idealbild und schert sich nicht um dessen militärische Kehrseite, die ebenso zur Geschichte der einstigen Garnisonsstadt gehört. Wie anders wäre es zu verstehen, dass sich das Rekonstruktions-Karussell mit einem durch den »Tag von Potsdam« derart kontaminierten Gebäude wie der Garnisonskirche gleich weiter drehen soll? Alles was nicht in das »Schema F(ritz)« passt, verschwindet über kurz oder lang aus dem Stadtbild. So stehen die Zeichen für die DDR-zeitliche Fachhochschule auf Abbruch, da sie sich derzeit noch in das rekonstruierte Tableau an Potsdams Altem Markt schiebt.
Unter der lärmenden Zustimmung der Besucher scheinen die Stimmen all jener ewigen Nörgler begraben zu werden, die sich beim Anblick von Dresdner Frauenkirche, Berliner Schloss und Frankfurter Altstadt betreten abwenden und von Fake-Architektur sprechen, von einer Architektur die Stadtgestalt und Geschichtsbild aus »alternativen« Fakten konstruiert. Gleich einem barocken Herrscherlob lesen sich dann auch die euphorischen Ergebenheitsergüsse in den feuilletonistischen Leitmedien. Dabei beweisen Stadtbausteine unterschiedlicher Größe und Körnung wie die Züricher Europaallee, die Wiedergeburt der Ulmer Innenstadt oder das Katharinenviertel in Hamburg, dass erfolgreiche Reparaturen städtebaulicher Fehlstellen keine mutlosen Rekonstruktionen benötigen, um auch die große Öffentlichkeit zu überzeugen. Selbst von Dortmunds Phönix-See könnte das in seiner pseudobarocken Selbstzufriedenheit ersaufende Potsdam in Sachen qualitätvollem Städtebau noch lernen. Doch in Potsdam vertraut man lieber dem rekonstruierten Spatz in der Hand als der Taube der Moderne auf dem Dach.
Das alles wäre weniger erschütternd, wäre hinter der rekonstruierten Fassade ein großartiges Museum entstanden. Am Museum Barberini jedoch ist alles so mutlos wie beige. Von der Sandsteinfassade bis zum Innenleben passt sich das Museum damit den Vorlieben seiner Primärzielgruppe an, der »Generation Silberlocke«, die mit bildungsbürgerlichem Heißhunger und Barberini-App auf dem Smartphone durch die beiden Eröffnungsausstellungen strömt, die den Impressionisten (Monet geht immer) und der »Klassischen Moderne« gewidmet sind. Selbst wenn einem das nicht wie eine geradezu obszöne Leichenfledderei an der einstigen Avantgarde erscheint, stellt sich zumindest die Frage, was das alles bitte mit Barberini zu tun hat oder gar mit Potsdam? War Monet je in Sanssouci? Die vorgebliche Rückgewinnung der Identität des Orts entlarvt sich selbst als laue Soße marktgängiger Beliebigkeit, die in einem historisierenden #Tutu daherkommt. In lahmer Konventionalität versinkt die Präsentation der hochkarätigen Leihgaben der meist anonymen Besitzer, die dadurch galant den Marktwert der eigenen Sammlung weiter steigern. Monet hin, Liebermann her, am aufregendsten ist im Museum Barberini die Alarmanlage, die alle paar Sekunden piepend anschlägt und aufgeregte rote Leuchtsignale unter den Fensterbrettern hervorsendet. Apropos Fenster: Wozu benötigt man in einem Museum Fenster, wenn sie, anstatt den optischen Dialog mit der Stadt aufzunehmen, größtenteils mit Stellwänden oder Rollos verschlossen sind? Man mag die rotzige Materialqualität im Innern der im vergangenen Sommer eröffneten Londoner Tate Modern Erweiterung von Herzog & de Meuron bemängeln. Aber was für ein großartiges Geschenk an die Stadt und ihre Besucher sind dort die Blickbeziehungen vom Museum in die Stadt! Ganz zu schweigen vom ambitionierten Begleitprogramm der Tate und ihren wunderbaren Ausstellungsräumen – und das sogar zum Nulltarif für die Besucher, wenn sie mit den museumseigenen Beständen Vorlieb nehmen. Der Vergleich mit London entlarvt die neureiche Potsdamer Geste endgültig als aufgesetztes Architektur- und Kunstgeblubber. Bedenklich nur, dass sich das Museum Barberini nahtlos in die deutsche Rekonstruktionsmanie fügt, die wie eine Art Baugeschichtspegida über das Land fegt und versucht, sich des (bau-)kulturellen Selbstverständnisses zu bemächtigen. Da wächst zusammen was nicht zusammen gehört, wenn sich ausgerechnet der Geldadel der Globalisierung- und Digitalisierungsgewinner von heute die feudale Stadt von gestern als Modell für die Zukunft inszeniert. Solch baukulturelle und historische Schizophrenie wird lediglich vom Deutschen Bundestag getoppt, der nach den Steuermillionen für das Berliner Schloss nun auch noch die Rekonstruktion der Bauakademie und sogar der einst für den Monarchen Kaiser Wilhelm errichteten Schloss-Kolonnaden anstößt. Geht’s noch?
Der Autor studierte Kunstgeschichte und arbeitet als Architekturkritiker und Buchautor in Berlin.

Bilder von den Bildern, den sonnenschutzverhängten Räumen, der rekonstruierten Stadtmitte und der »Generation Silberlocke« hält die Presseabteilung des Museums auf der » Website des Museums Barberini » vor.
 
 
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