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Reden, kochen und etwas bewegen

Der Architekturdiskurs in Köln
Reden, kochen und etwas bewegen

Alle sprechen über Architektur – und das nicht nur im Büro, denn der Kölner Architekturdiskurs findet überall statt: im Museum, auf der Straße, auf Firmenplattformen und im Netz. Weil alle gerne mitmachen, hat die Stadt eine in Baufragen außergewöhnlich gut informierte Öffentlichkeit. Das freut den Baudezernenten, auch wenn er dadurch keine Entscheidung einfach so und hinter verschlossenen Türen fällen kann.

~Uta Winterhager

»Liebe deine Stadt«, diese Aufforderung stammt von dem Kölner Künstler Merlin Bauer und steht seit 2007 auf einem Geschäftshaus hoch über der zentralen Nord-Süd-Achse. Von Mai 2005 bis Oktober 2007 zeichnete Bauers Kampagne neun herausragende Nachkriegsarchitekturen mit einer überdimensionierten roten Preisschleife aus und lud renommierte Redner ein, vor Ort eine Laudatio zu halten. Diese Synthese aus Aktionskunst und Baukultur war schräg genug, um viel Wind zu machen, fand aber tatsächlich auf solch einem hohen künstlerischen und intellektuellen Niveau statt, dass das Interesse an Baukultur in der Stadt einen enormen Impuls bekommen hat. Die Kampagne fiel in eine Zeit, in der die Kulturpolitik auf heftige Widerstände in der Öffentlichkeit stieß. Kunsthalle und Kunstverein waren abgerissen und auch das Riphahnsche Opern-Ensemble wackelte. Die daraufhin gegründeten Initiativen »Das Loch e.V.«, »Mut zu Kultur« und »Ihr seid Künstler und wir nicht« machten mit zahlreichen Protest-Aktionen viel Lärm aber auch konstruktive Vorschläge und erzwangen eine öffentliche Diskussion, der sich die Politik nicht mehr entziehen konnte. Dass das Schauspielhaus wie die Oper nun doch saniert wird, ist ein Erfolg dieses bürgerschaftlichen Engagements, das mit Karnevalswagen und Preisschleife auch mal auf kontextfremde aber traditionell kölsche Mittel setzte.
Selbst ist der Architekt
Das Kölner Stadtmodell im Maßstab 1:500 ist die physische Basis des Kölner Baudiskurses. Es dient den Bürgern, dem Rat, den Gremien und den Architekten der Stadt seit 20 Jahren als Gesprächs- und Entscheidungsgrundlage. Gegründet wurde die »Initiative Kölner Stadtmodell« von Architekten und dem BDA, sie wird von der Stadt unterstützt und von öffentlichen und privaten Spendern finanziert.
Damit das Interesse an der Initiative nicht erlahmt und das Modell weiter wachsen kann, planten der Kommunikationsdesigner Thomas B. Hebler und die Architekten Dörte Gatermann und Kaspar Kraemer ein virtuelles Architekturforum als ergänzendes gemeinnütziges Kulturprojekt. Im Herbst 2000 ging koelnarchitektur.de ins Netz und hat sich seitdem zu einer lebendigen Plattform für die Kölner Architektur und Stadtplanung mit mehr als 5 000 täglichen Seitenaufrufen entwickelt. Das Netzmedium kann schnell auf aktuelle Themen reagieren, archiviert und verknüpft seine Inhalte aber auch. So finden sich dort der virtuelle, auf Smartphones nutzbare Architekturführer »Bauwatch«, Essays- und Interviewsammlungen neben Dossiers zu den Dauerbrennpunkten wie dem Moscheebau und der Hochhausfrage. Die Architektin Barbara Schlei betreut das Angebot redaktionell und koordiniert die Beiträge der freien Autoren. Heute wird koelnarchitektur.de zwar von Partnern aus Architektur, Kultur und Stadtplanung, durch den Unterstützerverein koelnarchitektur e.v. und den Anbieter von Architekturführungen »ArchiPedes« unterstützt, ist dabei aber eine unabhängige und nicht-kommerzielle Initiative geblieben.
Der BDA Köln ist mit 190 Mitgliedern nicht nur eine der größten Bezirksgruppen innerhalb des BDA, sondern auch eine der aktivsten. Seit vielen Jahren führt er regelmäßig öffentliche Veranstaltungen durch; insbesondere die zehnmal jährlich stattfindenden BDA-Montagsgespräche zu aktuellen Themen stoßen auf großes Interesse von Öffentlichkeit, Verwaltung und Politik. Darüber hinaus engagiert sich der BDA Köln u. a. mit offenen Briefen, runden Tischen, Kooperationen, als Mitorganisator des im dreijährigen Rhythmus vergebenen Kölner Architekturpreises kap und aktiver Teilnehmer in städtebaulichen Planungsprozessen.
Das hdak (Haus der Architektur Köln, Verein zur Förderung von Architektur und Städtebau e. V.) wurde im März 2005 als bürgerschaftliche Initiative von BDA-Mitgliedern und anderen Interessierten gegründet, um der lokalen Baukulturdebatte einen Ort zu geben. Dieser ist vorerst noch provisorischer Natur in Gestalt eines Kubus‘ aus Holzwerkstoffplatten, der im Josef-Haubrich-Hof steht. Der gemeinnützige Verein finanziert sich über Spenden und Projektpatenschaften und aus öffentlichen Mitteln. Im Gegenzug steht das hdak der Stadt in Fachfragen zur Verfügung – zur Moderation bei Entscheidungsfindungsprozessen, als Berater beim »Masterplan Innenstadt«, dem Leitbild Köln 2020, und im Wohnungsbauforum der Stadt.
  • 40 mal im Jahr findet am Mittwochabend im Holzkubus kostenlos und öffentlich »eine Stunde Baukultur« statt – zu aktuellen Kölner Themen, Wettbewerbsentscheiden oder Langzeitkrisen. Das hdak sieht sich in der Rolle des Moderators, der die Themen setzt, aber andere diskutieren lässt. Mit viel Idealismus und Tatkraft haben sich der Geschäftsführer Christian Wendling sowie rund 15 ehrenamtliche Mitarbeiter dem Ziel verschrieben, Baukultur in Köln auch den Laien näherzubringen. Die wöchentlichen Veranstaltungen werden überwiegend von Fachfremden besucht, während die einmal jährlich stattfindenden Symposien die Fachleute ansprechen sollen. Praktisch für alle Orientierung Suchenden im Architekturdiskurs ist der hdak-Baukulturkalender, der alle Veranstaltungen in der Stadt auflistet. Honoriert wird die Arbeit durch hohe öffentliche Anerkennung. So wurde das hdak in den Konvent der Stiftung Baukultur berufen und mit dem nationalen Preis »Stadt bauen. Stadt leben« ausgezeichnet.
  • Mit dem Geld der Industrie
  • 2004 gründete Andreas Grosz, ehemaliger Gründungsgeschäftsführer der Expo 2000, mit sieben design- und architekturorientierten Unternehmen das KAP Forum als Netzwerk und Kommunikationsplattform für Architektur, Technologie und Design. KAP steht in diesem Fall für die exponierte Position am Südkai des Rheinauhafens, wo Grosz sich als einer der Ersten niederließ. Er hätte, so Grosz, mit seiner Idee auch nach Berlin oder München gehen können. Köln sei zwar keine Vorzeigestadt, verfüge aber neben seiner zentralen Lage und den zahlreichen Messen über eine sehr lebendige und streitbare Architekturszene. In acht Jahren hat Andreas Grosz mit dem KAP Forum über 400 Veranstaltungen organisiert und dafür nationale und internationale Größen und Themen der Architekturszene nach Köln geholt. Finanziert werden die anspruchsvollen und immer gut frequentierten Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen und Workshops von den Unternehmen; für die Besucher sind sie kostenlos. Besonders herausgehoben sei die Reihe »Die Zukunft der europäischen Stadt«, die im siebten Jahr läuft und inzwischen über 30 Städte thematisiert hat. Auch wenn das KAP mit der lokalen Architekturszene gut vernetzt ist, mischt Grosz sich nicht aktiv in die lokale Baukulturdebatte ein, sondern sorgt für nationalen und internationalen Input in der Kölner Selbstgenügsamkeit.
  • 700 Leute an einem Abend mit einem Architekturthema anzulocken, gelang Anfang dieses Jahres dem AIT Salon (Galerie für Architektur Innenarchitektur und Produktdesign) mit Zaha Hadid als Zugpferd. Zur Eröffnung ihrer Ausstellung »Parametric Tower Research« kamen mehr Besucher als die Ausstellungsräume im Ehrenfelder Barthonia Forum, der ehemaligen 4711-Fabrik, fassen konnten. Der im Oktober 2010 eröffnete Salon wird von der Industrie finanziert und spricht die Besucher mit kostenlosen »lifestyligen« Veranstaltungsformaten wie Architektenlunchs, Salsa- oder Kochkursen und Workshops für Architektenkinder auf einer sehr persönlichen Ebene an.
  • 1999 waren Sabine Voggenreiter und Kay von Keitz die ersten, die Architektur zu einem großen öffentlichen Thema in Köln machten. Seitdem wehen ›
› in jedem Jahr in der letzten Septemberwoche an rund 50 Veranstaltungsorten im Stadtgebiet die gelben Fahnen des »plan-projects« und laden zu Ausstellungen, Diskussionen und Exkursionen ein. Begonnen hat die »plan – Forum aktueller Architektur in Köln« auf lokaler Ebene. Kölner Büros stellten alte und neue Projekte zur Diskussion oder probierten sich an der Schnittstelle von Kunst und Architektur aus. 13 Jahre später hat sich die plan von der lokalen Architekturszene weitgehend gelöst. Mit aktuellen und weltweit diskutierten Themen wie »Architektur Stadt Künste« oder »Urbanismus«, einem nationalen und internationalen Teilnehmerfeld sowie mit einem erheblich erweiterten Architekturbegriff ist die plan inzwischen weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Auch der plan liegt ein kommerzielles Geschäftsmodell zugrunde, das Fördermittel von Stadt und Land mit Geldern freier Sponsoren und Teilnehmerbeiträgen mischt. Der Architekturparcours durch die Stadt ist öffentlich und so ist auch das Publikum aus Fachleuten und Passanten bunt gemischt. Kaum kann man sich den zahlreichen Interventionen entziehen, die mal auf den Bürgersteig schabloniert oder aus dem Fenster gehängt werden, in Museen und Galerien und nie ohne geselliges Rahmenprogramm stattfinden. Ab 2012 wird die plan als Biennale weitergeführt, das ambitionierte Thema für diesen September ist »Szenario lebenswerte Stadt – intelligente Konzepte für Mobilität, Klimaschutz und Gestaltung«.
Dass in einer Stadt wie Köln das Interesse an der Baukultur so groß ist, dass es zwei einander ähnliche Geschäftsmodelle wie den AIT-Salon und das Kap Forum plus die im nun zweijährigen Turnus veranstaltete plan tragen kann, spricht für die sehr lebendige Architekturszene. Diese üppigen kommerziellen Angebote werfen allerdings die Frage auf, ob die gemeinnützigen und öffentlichen Institutionen da noch mithalten können.
Einen Namen gemacht
Für Petra Hesse, seit März 2010 Leiterin des MAKK, des einzigen Museums für angewandte Kunst in NRW, nimmt die Baukunst eine so herausragende Stellung unter den angewandten Künsten ein, dass sie 2012 zum Architekturjahr erklärte. Mit fünf Sonderausstellungen und einem vielfältigen Rahmenprogramm sollen Architekturthemen mit Kunst, mit Design oder mit Fotografie verknüpft werden und – gemäß dem Bildungsauftrag des Museums – ein breites Publikum ansprechen. Das MAKK mit seinem außergewöhnlichen Bau von Rudolf Schwarz ist ohnehin ein Architekturjuwel, der Schwerpunkt der Sammlungen aber liegt nicht auf der Baukunst. Die finanziellen Eigenmittel sind knapp, dass etwa 75 % der Kosten für Ausstellungen und Veranstaltungen aus Drittmitteln aufgebracht werden müssen, und dies, ohne dass die Ausstellungsfläche als Werbefläche angeboten werden kann. Positiv betrachtet könnte man sagen, dass die gute Vernetzung des Museums mit der gesamten Kölner Architekturszene eine Folge davon ist, dass es sich keinen eigenen Architekturhistoriker leisten kann, und sich das Expertenwissen demzufolge in wechselnden Kooperationen erwerben muss. So wird das MAKK seit Jahrzehnten auch überregional als Institution und Ort für die Baukunst wahrgenommen.
Im beschaulichen Müngersdorf baute Oswald Matthias Ungers 1958/59 sein Wohn- und Bürohaus. Schon zu Lebzeiten war dieses Backsteinhaus ein Manifest und heute, da niemand mehr dort wohnt, wohl aber arbeitet, ist es zum Museum seiner selbst geworden. Ungers und seine Frau Liselotte hatten jahrzehntelang Bücher über Architektur gesammelt und in einer einmaligen Sammlung über 600 Jahre Architekturgeschichte zusammengeführt. Heute betreut Sofia Ungers den Nachlass ihres Vaters und möchte das UAA (Ungers Archiv für Architektur) in eine der Öffentlichkeit zugängliche Institution verwandeln, die nicht nur die Architekturwissenschaft fördert, sondern darüber hinaus mit Ausstellungen und Symposien einen breiten internationalen Diskurs anstößt. Die Schriften von Vitruv, Palladio, Alberti, Dürer, der russischen Avantgarde, des Bauhauses und von Le Corbusier, die Ungers größtenteils in Erstausgaben erstand, sollen auch in Zukunft zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden können. Sofia Ungers strebt daher dringend die Zusammenarbeit mit einer renommierten finanzkräftigen Forschungs- oder Kultureinrichtung an. Ihre Bedingung wäre jedoch, das Haus mitsamt Bibliothek und Nachlass als lebendiges Denkmal zu installieren, ohne dass der Geist O. M. Ungers dabei verloren geht.
Der Baudezernent Bernd Streitberger ist stolz darauf, dass der Architekturdiskurs in Köln überhaupt, auf vielen verschiedenen Ebenen und auch mit verschiedenen Zielen geführt wird. Die außergewöhnlich gut informierte Öffentlichkeit schaffe eine positive Grunddisposition in der Baukulturdebatte, die auch dazu beitragen konnte, dass das generelle Misstrauen gegen die Verwaltung graduell abgebaut wurde und Debatten durchaus konstruktiv geführt werden können.
In Köln kann man tanzen, essen, lernen, Kontakte knüpfen und etwas bewegen, alles auch im Sinne der Architektur. Es geht um die Sache, um Qualität, um Wissen, aber auch ums Verkaufen, um Geld und Kontakte, sei es nun eine Geschäftsidee, engagierte Lobbyarbeit oder Ehrenamt. Allerdings braucht alles, was nicht von Industriepartnern oder privaten Sponsoren gefördert wird, öffentliches Geld und persönliches Engagement – zwei knappe Güter. Umso erfreulicher, dass gerade die gemeinnützigen Initiativen trotz ihrer finanziellen Benachteiligung in erheblichem Maße dazu beitragen können, dass sich in Köln etwas bewegt.
Wer am Kölner Architekturdiskurs teilhaben möchte, muss auch nach Büroschluss nie lange suchen, irgendwo ist immer etwas los: Montaggespräch, Architectual Tuesday, eine Stunde Baukultur am Mittwoch, am Donnerstag ein Architektenlunch, Freitag Vernissage und am Wochenende unbedingt weiter netzwerken. •
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