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Post-Bubble-Bescheidenheit

Diskurs
Post-Bubble-Bescheidenheit

Architektur und Städtebau in Tokio: Während drei neue Museen ausgerechnet das ehemalige Rotlichtviertel Roppongi zum Kulturviertel der japanischen Hauptstadt aufwerten, erfindet sich die Ginza als Zentrum der Modestadt neu. Dass die neunziger Jahre in Japan als »verlorenes Jahrzehnt« galten, ist in Tokio nicht mehr spürbar.

~Ulf Meyer

Sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen, darin ist Tokio geübt: Die japanische Mega-Stadt, die schon beim Erdbeben 1923 und noch einmal im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört worden ist, will nach dem Platzen der Spekulationsblase der »Bubble Economy« die Neunziger vergessen und zur neuen Kunst- und Design-Metropole Ostasiens aufsteigen. Während an der Ginza immer neue Modehäuser immer extravagantere Neubauten beziehen, wurden im Stadtteil Roppongi gleich drei neue Museen eröffnet. Wie ein metropolitaner Totempfahl markiert das dicke Mori-Hochhaus schon seit 2003 das Stadtviertel Roppongi unübersehbar in der Skyline von Tokio. Im 53. Stock des Mega-Hochhauses thront das private »Mori Art Center«, das die Richtung für die Entwicklung Roppongis zum neuen Kulturviertel vorgab. Zu Füßen des silbernen Wolkenkratzers eröffnete Ende Januar 2007 das neue »National Art Center Tokio« (NACT), entworfen von dem berühmten Altmeister des japanischen Metabolismus’, Kisho Kurokawa. Zwei weitere Museen werden im März eröffnet.
Vom Rotlicht- zum Kulturviertel
Als Japans größtes Museum macht Kurokawas NACT das ehemalige Rotlichtviertel Roppongi schon jetzt zu Tokios aufregendstem Kunst- und Kulturviertel. Das 22 Meter hohe Atrium im Inneren der neuen Kunsthalle wird von einer konkav, konvex geschwungenen, grünlichen Glasfassade im Stadtraum markiert. Zwei große Betonkegel im Foyer, die wie versteinerte Tornados wirken, sehen aus, als hätten sie die Wellen in der Fassade generiert. Besucher sehen zunächst jedoch lediglich einen kreisrunden Pavillon, der nur eine Funktion hat: Hier kann der Gast an Regentagen ordentlich seinen Schirm einschließen, bevor er sich dem Kunstgenuss hingibt. Über 14 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche in stützenfreien, teilbaren Galerien, in die durch Oberlichter Tageslicht fällt, wollen vom Besucher erkundet werden. Fünf Galerien dienen Wechselausstellungen der japanischen Künstlerverbände, die hier ihre Jahresaustellungen veranstalten werden; die beiden höchsten Galerien jedoch, mit Deckenhöhen von über acht Metern, sind für Sonderausstellungen vorgesehen, die das NACT selbst organisiert. Über 19 Mio Euro hat sich das japanische Kulturministerium seinen Neubau auf einem ehemaligen Grundstück der Universität Tokio kosten lassen. Es ist die fünfte Kunstinstitution unter dem Dach der Nationalmuseen nach den Museen für Moderne Kunst in Tokio, Osaka und Kioto und dem Museum für westliche Kunst. Das NACT ist damit die erste staatliche Kunstinstitution ohne eigene Sammlung.
Der Gegensatz zwischen ostasiatischer Kunsttradition und dem westlichen Konzept öffentlicher Museen bestimmt Kurokawas Werk ebenso wie der Kontrast zwischen Ordnung und Natur – wie ihn ein orthogonal gepflanzter Bambusgarten symbolisieren soll – sowie die Kombination aus High-Tech und natürlichen Elementen.
Doch auch die private Hand zieht nach, um Roppongi aufzuwerten: Nur einen Steinwurf vom NACT entfernt wird das neue Suntory Kunstmuseum, das Kengo Kuma entworfen hat, zusammen mit dem »21_21 Design Sight« eröffnet, das wiederum von Kumas noch berühmterem Architekten-Kollegen Tadao Ando stammt. Das neue »Suntory Museum of Art« hat eine auffällige vertikale Stäbchen-Fassade aus weißer Keramik und eine Hauptgalerie, die maisonetteartig über die dritte und vierte Etage reicht. Im sechsten, obersten Stockwerk, ist ein exklusiver gläserner Salon mit hölzerner Terrasse und Blick auf die 36-Millionen-Stadt für ausgewählte Connaisseure reserviert. Selbst einen Raum für die traditionelle japanische Teezeremonie hat Kuma in dem Kunstzentrum vorgesehen, »Wie eine Kunstoase« soll sein Neubau »Frieden und Würde für die Kunst ermöglichen in einer gänzlich ruhelosen Stadt«. Der Gründer des Getränkekonzerns Suntory und Stifter des Museums, Shinjiro Torii, hatte als Grundsatz ausgerufen, dass ein Drittel der Profite seiner Firma an die Gesellschaft zurückgegeben werden sollen. Dass Philanthropie und Geschäft im neuen Tokio nah beieinander liegen, beweist auch das neue japanische Designzentrum mit dem sperrigen Namen »21_21 Design Sight«, das nebenan auf einem ehemaligen Militärgelände eröffnet wird. Seine Kuratoren, die Issey Miyake Stiftung und die Industrie-Design-Organisation von Japan verstehen den Bau in Form eines einprägsamen eingeschossigen Betonsegels »weniger als Museum denn als Forschungszentrum für Design, weil Japan immer weniger von der Produktion und immer mehr von guter Gestaltung abhängt«. Zusammen bilden die drei unterschiedlichen neuen Kulturinstitutionen ein starkes Kunstdreieck, das Tokios Kulturleben neuen Schwung geben und das Amüsierviertel Roppongi zum Epizentrum einer neuen japanischen Kunstszene umdeuten soll.
Die Mini-Hochhäuser der »Ginza«
Roppongi ist derzeit jedoch nicht das einzige »neue« Stadtviertel in Tokio. Während in den letzten Jahrzehnten Shinjuku, Shibuya und Ikebukuro, allesamt an der westlichen Ringbahn gelegen, boomten, schwingt das Pendel nun zurück nach Osten, wo in der Nähe des Kaiserpalastes und des Hauptbahnhofs der kometenhafte Aufstieg Tokios zur heute größten Agglomeration der entwickelten Welt ihren Anfang nahm. Die »Ginza«, auch vielen Europäern als Synonym für japanisches Luxus-Shopping ein Begriff, konkurriert erfolgreich mit der Omotesando, der »Straße der Markennamen«, an der in den letzten Jahren fast alle großen Luxuskonzerne gebaut und so eine einmalige architektonische Perlenkette hinterlassen haben: Von Kazuyo Sejima und Kengo Kuma über Altmeister Kenzo Tange bis zu Jun Aoki und Toyo Ito sind hier alle großen Namen der zeitgenössischen Baukunst in Japan mit sehenswerten Werken vertreten. Das konnte das angestammte Luxus-Einkaufsviertel rund um die Ginza nicht auf sich sitzen lassen. Der Hermès-Turm von Renzo Piano machte vor, welche Architekturjuwelen sich selbst auf den schmalsten Tokioter Grundstücken verwirklichen lassen: 15 Stockwerke türmt er hinter seiner Fassade aus 13 000 Glasbausteinen auf, die abends wie eine japanische Laterne magisch glüht. Als »typisch europäisch« wurde Pianos Respekt vor der Architektur der Nachbarschaft gewertet. Höhe und Proportion von Pianos Hermès-Turm ähneln dem benachbarten Sony-Building, das Ashihara Yoshinobu 1966 entworfen hat und das als Ikone des aufkommenden Metabolismus’ gilt.
Gleich nebenan hat nun auch die italienische Modefirma Gucci ein neues Luxuskaufhaus der Superlative eingeweiht. Ihr »nur« achtstöckiger Glasbau bietet auf vier Etagen Verkaufsfläche und darüber eine Galerie, Büros und ein Café in dem Kobe-Beef-Carpaccio serviert wird. Es ist schon der 54. Gucci-Laden in Japan und der 14. im kaufkraftstarken Tokio. Die Innenräume in warmen Silber- und Kakaofarben mit Regalen aus Rosenholz, Polstermöbeln aus Mohair und Böden aus Marmor. Auch an spezielle Sitze für die mitgebrachten Hündchen der Kundinnen wurde gedacht. Der amerikanische Architekt James Carpenter hat die Fassaden des Gucci-Turms aus zwei Lagen Glas gestaltet. Die innere ist klar, die äußere prismatisch und bronzefarben. Nachts wird der Turm zusätzlich von einer Lichtinstallation von Shozo Toyohisa eindrucksvoll illuminiert. ›
› Die Modehäuser der Ginza werden zu Architekturdestinationen ersten Ranges: Ricardo Bofills Gebäude für Shiseido, das Chanel Gebäude von Peter Marino und der »Opaque«-Laden von Kazuyo Sejima/SANAA. Zu der Reihe gehört auch das pinkfarbene Mikimoto-Building von Toyo Ito mit den unregelmäßigen Fenstern, die an Blasen erinnern, wie sie beim Perlentauchen aufsteigen. Denn der Bauherr, die Firma Mikimoto, gilt als Erfinder der Zuchtperle. Tagsüber sieht die Fassade wie ein blasses Leopardenfell aus, aber abends leuchten die ovalen Öffnungen in verschiedenen Farben und der schmale Turm spiegelt sich eitel in seiner gläsernen Nachbarbebauung. Die weichen Manga-Formen der Fassaden kaschieren einen technisch und statisch durchaus anspruchsvollen Bau. Anders als bei seinem Vorläuferbau, Itos »Tod’s-Building« an der Omotesando, der von einem Astwerk aus Beton getragen wird, wurde die Schweizer Riesenkäse-Fassade des Perlenzüchters aus nur 12 mm dünnen Stahlplatten zusammengeschweißt, »Japanische Baufirmen lieben solche schwierigen, scheinbar unlösbaren Aufgaben. Gerade weil die Ginza sehr fein ist, wollte ich ein ganz einfach wirkendes Gebäude«, erklärt Ito. »Ich habe keinen besonderen Geschmack was Damenmode betrifft, aber ich sehe mir gerne Mode an, denn es ist wohl der Bereich, in dem unsere Moderne am sensibelsten und aufmerksamsten agiert.«
Unweit von Ito auf der Hauptstraße der Ginza baut der als Papierarchitekt weltberühmt gewordene Shigeru Ban für den Schweizer Uhrenkonzern Swatch ein nicht minder spektakuläres Mini-Hochhaus. Das Raumprogramm umfasst eine Ausstellung im Erdgeschoss sowie diverse Geschäfte für die Schweizer Luxus-Uhren, die ebenfalls zur Swatch-Gruppe gehören. Das »Nicolas G. Hayek Center« genannte Gebäude ist nichts weiter als eine Stapelung von sieben zur Straße hin offenen Showrooms mit Glaswänden, je einem für jede Marke des Konzerns.
Eingerahmt wird die neue Brennstufe der »Tokyo Decadence« entlang der Ginza von den neuen Hochhausvierteln in Nihonbashi im Norden und Shinagawa im Süden. Der 39 Stockwerke hohe »Mitsui-Tower« von Cesar Pelli (New Haven) ist ein typisches Beispiel für die neuen, gemischt genutzten Business-Türme, die Hotels, Läden, Restaurants und Büros hinter gleichmäßig eleganten Glasfassaden vereinen und Tokio damit dem Traum der vertikalen Stadt ein Stück näher bringen.
Die ArchitektenSzene
Die Jahre der Wirtschaftsblase erlaubten es jungen architektonischen Talenten in Tokio über Nacht zum Star zu werden. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. Aber auch der neuen Ära können Kenner etwas Gutes abgewinnen. Die derzeitige »Post-Bubble-Bescheidenheit« hat zu innovativen Lösungen in der Baukunst, weg von den »genialen Egoismen« geführt. Die Tokioter Architekten haben die Flaute für Aufträge im Ausland, speziell im boomenden China, genutzt. So baut Shin Takamatsu beispielsweise das neue Museum in Tianjin und Riken Yamamoto hat mit seinen SOHO-Häusern in Peking neue Maßstäbe im städtischen Wohnen gesetzt. Aber nicht nur im Reich der Mitte sind japanische Baukünstler erfolgreich, auch in Europa und den USA wie Yoshio Taniguchis MoMA und Shigeru Bans Nomadic Museum in New York beweisen. Fumihiko Maki baut nicht nur am Ground Zero, sondern auch für die Vereinten Nationen in New York neue Wolkenkratzer in seinem typischen Stil des »Cool Minimalism«. Und Sejima hat bekanntlich selbst im klammen Deutschland zwei große Aufträge an Land ziehen können.
Die Metropole Tokio, die trotz schrumpfender Bevölkerung massiv expandiert, will ihren neuen Optimismus mit einem Prestigeprojekt der Superlative manifestieren. Ein gigantischer Sendeturm, der schon 2010 eingeweiht werden soll, wird auf dem Bahngelände der Privatbahn Tobu in Sumida gebaut. Er ist nur nötig geworden, weil der liebenswerte rot-weiße »Tokyo-Tower« aus den fünfziger Jahren, auf dem bisher die Antennen der Radio- und Fernsehsender in Tokio stehen, von immer mehr Hochhäusern umstellt wird, die sich den Signalen in den Weg stellen.
Der Autor ist freier Architekturkritiker und schreibt für verschiedene Fach- und Tages- zeitungen.
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