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Phänomen Serpentine Gallery Pavilion

Eine architektonische Erfolgsgeschichte
Phänomen Serpentine Gallery Pavilion

Im Jahr 2000 erhöhte die kleine Galerie für zeitgenössische Kunst ihren Bekanntheitsgrad schlagartig, als sie den Rasen vor dem Gebäude und damit sich selbst mit einem großen Namen der Architektur schmückte: Zaha Hadid baute den ersten Serpentine Gallery Pavilion. Weitere »Stars« folgten – aus der kleinen, temporären, aber stets neu gestellten Bauaufgabe wurde eine Institution, die jährlich Spannung und Neugierde erzeugt, manchmal enttäuscht, aber meistens positive Überraschungen hervorgebracht hat. Alles in allem eine Inszenierung von Architektur, bei der die Grenzen zwischen künstlerischem Konzept, gestalterischem Anspruch und schierem Kommerz verwischen.

~Christian Brensing

Die Idee, die zentral in Londons Kensington Gardens gelegene Serpentine Gallery im Jahr 2000 mittels eines temporären Sommerpavillons in das erweiterte Bewusstsein von Kunst- und Architekturliebhabern zu bringen, geht auf die nicht nur künstlerisch, sondern vor allem gesellschaftlich umtriebige Direktorin Julia Peyton-Jones zurück. Schon 1998 gelang es ihr, das kleine Teehaus aus dem Jahre 1934, welches seit 1970 als Galerie für zeitgenössische Kunst genutzt wird, mit Hilfe von Diana, Prinzessin von Wales, grundlegend zu sanieren. Damit begann die Etablierung der Serpentine Gallery als einer der ungewöhnlichsten und spektakulärsten Orte, an denen in Großbritannien der Öffentlichkeit unentgeltlich internationale wie zeitgenössische Kunst in ständig wechselnden Ausstellungen dargeboten wird.
Das Konzept, alljährlich für drei Monate einen Pavillon zu errichten, ist wohl ebenso dem Ideenreichtum der Direktorin geschuldet, wie dem Umstand, dass Zaha Hadid im Stiftungsrat der Serpentine Gallery saß und immer noch sitzt! Eindeutig fest steht jedenfalls, dass die Besucher begeistert auf den temporären Wetterschutz im Park vor der Galerie reagierten. Schließlich bot er der räumlich sehr begrenzten Galerie entsprechenden Raum für sommerliche Feste. Und so wurde die kommerzielle Nutzung der Pavillons als angesagte Londoner »location« ebenso ein Teil des Programms, wie auch der Verkauf nach Beendigung des sommerlichen Architektur-Intermezzos. Ausnahmslos sind bisher alle Bauwerke von einem Londoner Maklerbüro meistbietend versteigert worden. Genauso wie über die Hintergründe zur Entstehung und Weiterentwicklung des Konzepts, schweigt man sich auch über die genauen Kaufsummen und die Namen der Käufer aus – inoffiziell kursieren Preise von bis zu einer Mio. Pfund pro Pavillon. All das nährt geschickt den Mythos und trägt maßgeblich dazu bei, dass Jahr für Jahr Sponsoren – aufgefächert in Kategorien von Bronze bis Platin –, Mieter und Käufer die entsprechende finanzielle und materielle Unterstützung nicht versagen.
Zum Mythos gehört auch, dass sich das Schicksal dieser außergewöhnlichen Konstrukte in der Regel nach deren Verkauf verliert. Nur drei Pavillons sind seither wieder aufgebaut worden, die übrigen schlummern verpackt oder, wie im Fall von Oscar Niemeyers Stahlbetonkonstruktion, nur noch als Bauzeichnung konserviert, in irgendwelchen Privatsammlungen. Ausgerechnet dem ersten Pavillon widerfuhr ein gräuliches Schicksal. Nach einjähriger Standzeit als Veranstaltungszelt der Royal Shakespeare Company in Stratford-upon-Avon wurde er 2004 weiterverkauft. Seitdem fristet er, als mit grauen Planen verhangenes Zelt, von den Verwaltern nicht als ehemaliger Serpentine Gallery Pavilion ausgewiesen, ein kärgliches Dasein in einem südenglischen Vergnügungspark. Darüber waren nur noch den Pavillons von Daniel Libeskind – während des Kulturhauptstadtjahres im irischen Cork – und Toyo Ito eine anderweitige Nutzung vergönnt. Letzterer diente für kurze Zeit als Verkaufs- und Präsentationsstand auf dem Gelände der Battersea Power Station und wurde kürzlich im Garten eines Hotels in Saint-Tropez als Restaurant des Beachclubs wieder aufgebaut. Dass keinem dieser Bauwerke eine adäquate und bessere Nachnutzung vergönnt ist, mag teilweise in den Entstehungsbedingungen begründet liegen und vorwiegend auf den engen Zeitrahmen zurückzuführen sein. Im Januar eines jeden Jahres wählen die »Trustees« der Serpentine Gallery unter dem Vorsitz des Projektentwicklers und Architekturliebhabers Lord Palumbo, den Künstler-Architekten des nächsten Pavillons. Es verbleiben dann knappe sechs Monate für den Entwurf, die Gewinnung von Sponsoren (Materialien und Finanzen) und den Aufbau an immer demselben Fleck direkt vor der Serpentine Gallery. Bei diesem inzwischen sehr professionalisierten Ablauf der Dinge spielen seit vielen Jahren das Ingenieurbüro Arup und das Projekt- und Baumanagement von Mace eine herausragende Rolle. Man könnte sagen, dass ohne das Know-how dieser beiden Londoner Firmen ausländischen Architekten die Umsetzung ihrer Entwürfe nur sehr schwer gelingt. Wie eng miteinander verzahnt Entwurf und Bauausführung sind, belegt die Nennung von Arup, und in zwei Fällen sogar des Ingenieurs Cecil Balmond, zusammen mit dem Architektennamen. Es erstaunt daher keineswegs, wenn man hört, dass das überaus ambitionierte Programm in manchem Jahr nur durch massive Kompromisse und kurzfristige Abwandlungen der jeweiligen Architektur gerettet werden konnte. 2004, als MVRDV die ehrwürdige Galerie unter einem Erdhügel begraben wollte, gelang dies jedoch nicht. Kurzfristiger Ersatz konnte nicht mehr beschafft werden und so ging das Marketing-Konzept für dieses Jahr nicht auf. Ebenfalls eine Notgeburt der späten Stunde war Zaha Hadids zweiter Pavillon-Anlauf. Da bautechnisch der »kleine Vulkan« des isländisch-norwegischen Gespanns aus dem Künstler Olafur Eliasson und dem Snøhetta-Begründer Kjetil Thorsen nicht termingerecht fertig wurde, sprang Zaha Hadid pflichtbewusst in die Bresche. Das Resultat »Lilas« war architektonisch wie anderweitig eine Notlösung, schützte aber die Londoner Gesellschaft bei Abendveranstaltungen vor den Unabwägbarkeiten des englischen Sommers. Gleichermaßen kompromissbereit ist die Galerie bei der Interpretation und Begründung ihrer Auswahl der, bis auf Zaha Hadid, ausnahmslos ausländischen Star-Architekten. Die Klausel »noch nie ein Bauwerk in Großbritannien« vollendet zu haben, konnte z. B. Frank Gehry nur knapp umschiffen, indem man den geografischen Radius vorübergehend enger fasste, Jean Nouvel (s. S. 6) konnte dieses Jahr noch schnell hineingrätschen, ehe sein Büro- und Shoppingkomplex »One New Change« im Herbst eröffnet.
Ohnehin scheint bei der Auswahl der Architekten weniger das architektonische Programm oder gar eine Mission eine Rolle zu spielen als vielmehr die Bekanntheit und somit der jeweilige Marktwert. In der Architekturdebatte stellen die Pavillons als höchst eigenwillige Manifestationen, mit zeitweilig skurrilen Ausprägungen, eher die Haute Couture der Branche, denn das Prêt-à-Porter dar. Sozusagen als Conférencier begleitet seit 2006 der Kunstexperte und Co-Director von Julia Peyton-Jones Hans Ulrich Obrist die Architektur mit seinen »Park Nights« – wo er u. a. ein 24-stündiges Interview-Marathon mit Rem Koolhaas zelebrierte.
Bei allen vermeintlichen Ungereimtheiten des Pavillon-Programms ist seine zehnjährige Geschichte eine beispiellose Erfolgsserie, die weltweit Ihresgleichen sucht. Auch zukünftig wird die Fachwelt neugierig und mit Spannung die Auswahl und Realisation der Pavillons verfolgen. Julia Peyton-Jones verwandelte die Wiese vor der Serpentine Gallery zum Laufsteg der Architektur-Avantgarde. •
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