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Neues aus dem Architekturzoo

Im Online-Zeitalter gedeiht in Korea eine Bücherstadt
Neues aus dem Architekturzoo

Zum Abgesang auf das gedruckte Buch mag die »Paju Book City« (PBC) nicht recht passen. Dennoch wächst das künstliche Konstrukt, das mehr einem architektonisch aufgehübschten Gewerbegebiet als einer lebendigen Stadt gleicht, weiter, zieht Aufmerksamkeit auf sich und v.a. weitere Unternehmen an. Neben lokalen Architekturgrößen durften auch bekannte »global players« hier ihre Duftmarken setzen.

~Ulf Meyer

Allenthalben ist die gestalterische Tristesse von Gewerbegebieten zu beklagen, architekturfreien Zonen, in die lieb- und planlos billige Kisten bezuglos hineingewürfelt werden. Eine löbliche Ausnahme von dieser Art des unnachhaltigen Instant-»Städtebaus« ist die Buchstadt in Paju in der Provinz Gyeonggi-do am Han-Fluss, eine knappe Stunde nördlich der südkoreanischen Hauptstadt Seoul gelegen. Während der im Koreakrieg gleich mehrmals überrollten und danach im Zeitraffertempo wieder aufgebauten Kapitale eine ausgeprägte bauliche Identität fehlt, hat man in Paju den Versuch unternommen, eine charakteristische Neustadt zu planen und einige der besten Architekten der Welt für die Teilnahme an der Gestaltung engagiert (vgl. db 10/2007, S. 36 und S. 52).
Das südkoreanische Kulturministerium hatte die Idee der »Book City« inspiriert vom walisischen »Bücherdorf« Hay-on-Wye aus den 60er Jahren einst auf den Weg gebracht. Nicht zufällig im unbeliebten Grenzgebiet zu Nordkorea installiert (im geteilten Deutschland hätte man das wohl Zonenrandförderung genannt), ist hier eine veritable Verlags- und Buchstadt herangewachsen, die weltweit einmalig ist. Sie ist eher Cluster als Stadt. Mittelalterliche Städte kannten die Massierung bestimmter Branchen auf engem Areal. Die Stadt-Soziologin Saskia Sassen hat nachgewiesen, dass auch die modernen Wirtschaftszweige wie die Banken- und Dienstleistungswirtschaft die räumliche Nähe suchen, sei es an der Wallstreet, im Westend oder in den Docklands.
Ausgerechnet die schon lange angezählte Buch-Branche soll im Online-Zeitalter zur Grundlage einer zukunftsträchtigen und vorbildhaften Stadtentwicklung aus der Retorte dienen? Nostalgie für das gedruckte Wort (und Bild) mag bei der Gründung der Buchstadt eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich ist das Buch als Medium – allen Unkenrufen zum Trotz – alles andere als tot.
Musterstädte wie Paju zeigen, wie sehr Architektenschaft und Stadtplaner die Prinzipien des Städtebaus vergessen haben, sie nicht mehr unterrichten, verstehen oder praktizieren. An die Stelle eines städtebaulichen »gemeinsamen Nenners« tritt oft die eitle Aneinanderreihung von Architekturen. Städtebau mit den Mitteln der Architektur(vorgaben) betreiben zu wollen, ist jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt. In der Paju Book City ist eine »Bauausstellung« entstanden, die zeigt, was architektonisch heutzutage möglich ist – und was städtebaulich fehlt: Wie in einem Architekturzoo (Eintritt frei!) stehen hier Werke der besten koreanischen und ausländischen Architekten nebeneinander.
Herz der Buchstadt ist das fünfgeschossige »Asia Publication and Culture Information Center«, entworfen von Kim Byung-yoon, das exemplarisch vorgemacht hat, wie man ein Gebäude im Kontext seiner Topografie (in diesem Fall im dichten Schilf eines Flusslaufs) platziert, ohne deswegen auf architektonische Präsenz verzichten zu müssen. Das Zentrum ist die zentrale Anlaufstelle der Paju Book City mit Café, Buchladen, Galerie, Restaurants und großen Veranstaltungsräumen. Lange, schmale Räume alternieren mit drei weitläufigen Freiräumen. Die Fassaden aus Corten-Stahl, Holz und Glas sind markant. Vorbildlich war hier auch die Vergabe über einen Wettbewerb. Ein als umständlich angesehenes Verfahren, das in der Folge in Paju nur noch vereinzelt angewandt wurde, allerdings mit großem Erfolg: Das gelungenste Gebäude in Paju, das Mimesis-Gebäude (Verlagssitz und Kunstmuseum zugleich), entworfen von Alvaro Siza, war ebenfalls das Ergebnis einer Konkurrenz. Das Mimesis Museum 2009 ist ein kleines Privatmuseum für moderne Kunst. Siza hat ihm fließende Sichtbetonformen mit zwei Flügeln gegeben, die auf einer Seite einen Hof umarmen. Das fensterlose Innere ist von weißen Wänden und Decken und Böden aus Holz und Marmor geprägt, Licht strömt durch Oberlichter ins Haus.
Wichtiger als architektonische Höhepunkte dieser Art ist im Städtebau die Masse der gewöhnlichen Gebäude, das »urban tissue«. Hier zeigt sich in Paju (wie überall sonst auf der Welt), dass es allzu vielen zeitgenössischen Architekten am gepflegten Understatement mangelt. Oft steht anstelle der Variation eines Themas die aufmerksamkeitsheischende Gestaltung im Vordergrund, die Verrenkung, der Solitär.
Bei solch einem »Jahrmarkt der Eitelkeiten« wird die Rolle der Freiraumgestaltung wichtig: In Paju haben die Landschaftsplaner vom Büro Architecture Research Unit versucht, einen stabilen Masterplan zu erstellen, der verschiedene Architekturen (v)ertragen kann. Alle Bauherren und Architekten unterzeichnen in Paju zwar eine Selbstverpflichtung zur Umsetzung der städtebaulichen Ziele, aber nicht jeder Bauherr und Architekt hält sich dann im Detail an diese »volonté générale«. Das Konzept sah vor, erst die räumlichen Bezüge und Freiraumnutzungen festzulegen und dann die Gebäude darum herum zu gruppieren. Und in der Tat sind Städtebau und Außenraumplanung im Schnitt stärker ausgefallen als die Hochbauten.
Die Architekten Min Hyun-Shik und Seung H-Sang haben als »Koordinatoren« zusammen mit Florian Beigel von der University of North London den Rahmenplan entworfen. Die Stadt, deren Grundriss einer Miniaturversion des Stadtgrundrisses von Manhattan entspricht (es gibt zwei gegeneinander verschobene Raster) ist in fünf verschiedene »Sektoren« eingeteilt, die jeweils von einem Architekten koordiniert werden.
Nicht nur an der breiten Hauptstraße zeigt sich, dass die Planung einseitig auto-orientiert ist. Im Zentrum der PBC gibt es unnötigerweise eine große Shopping Mall nach amerikanischem Muster, die mit ihren Skywalks Passanten vom Trottoir saugt und so zur Verödung des Straßenlebens beiträgt. Gemessen an einem gewöhnlichen ›
› Gewerbepark ist die PBC erfolgreich, gemessen an einer gewachsenen Stadt ein Flop. Es fehlt an Einwohnern und an der ÖPNV-Anbindung: Es gibt zwar eine Wohnsiedlung, doch die meisten Mitarbeiter der Verlage (müssen) pendeln. In letzter Zeit sind in Paju Bücherläden, Cafés, Kunstgalerien, ein Gästehaus und ein Kindergarten (siehe S. 72) hinzugekommen; aber eine echte Nutzungsmischung war nie Ziel der Planung.
Neue Architektur
Die Proportionen des »WAM House of open Books« von Suh Hailim + Kim Junsung in der »Bookshelf Unit« waren vom Städtebau vorgegeben. Die Architekten haben den Riegel in verschiedene Schichten aus Glas und Sichtbeton aufgelöst, die wie aufgefaltet wirken.
Das »Dulnyouk Publishers Building« von Foreign Office Architects aus London, musste denselben Vorgaben und Dimensionen genügen und bietet deshalb einen interessanten Vergleich: Die komplexe, mit Holz beplankte Fassade erinnert hier stark an FOAs Fährterminal in Yokohama (s. db 4/2003, S. 54-61). Die »harte« Nordfassade besteht aus Beton und die Südfassade aus »weichem« Holz. Einschnitte in den Geschossebenen öffnen das Haus vertikal.
Das »Kyobo Book Centre« von Iroje architects bietet Lagerflächen, Büros und eine Galerie. Der städtebaulichen Vorgabe, große Gebäudemassen, die den Blick auf Fluss und Berge verstellen, zu vermeiden, wurde hier durch ein Gebäude entsprochen, das in kleinere Einheiten aufgelöst wurde.
Die untere Fassade ist aus Glas, um die Basaltfassaden darüber »leicht und schwebend« erscheinen zu lassen.
Das »ThinkBig Woongjin Office« von Kim-in Cheurl/Archium zeigt die neue Generation von Verlagsgebäuden in Paju, die größer und freier in der Form sind als im ersten Bauabschnitt: Im Grundriss wie ein Pantoffeltierchen geformt hat es innen einen rechteckig ausgeschnittenen Innenhof. Alle Büros sind nach innen zu diesem »Madang« (Hof) orientiert. Die Ganzglas-Fassade mit Holzlamellen ist eine Metapher für Bücherregale.
Mehr als 250 Verlage haben hier in der PBC, die heute aus 160 Gebäuden von 35 Architekten aus aller Welt besteht, ihren Sitz. Fast alle großen koreanischen Verlage sind in Paju präsent. Heute gibt es einen »Paju-Buchpreis«, ein internationales Buchfestival im Frühjahr und ein Kinderbuchfest im Herbst, zu dem eine halbe Million Besucher strömen. Die Buchstadt wird bald auf mehr als das Doppelte ihrer bisherigen Größe anschwellen: 300 weitere Verlage wollen einziehen. Die ersten Pläne waren 1989 entstanden, als eine Gruppe von Verlegern ihre »Modell-Stadt« erträumten, in der »das Allgemeinwohl über Egoismus gestellt wird« und die in Harmonie mit der umgebenden Natur entstehen sollte. Sollte Korea eines Tages wiedervereinigt werden, würde sich die Lagegunst Pajus schlagartig dramatisch verbessern: Die Buchstadt wäre plötzlich Mittelpunkt einer aufstrebenden Wirtschaftsmacht in Nordostasien. •
  • Der Autor ist Architekturjournalist, -kurator, -dozent, und -guide in Berlin. Der Fernost-Experte führte im April eine Architekturreise durch Korea.
  • 1 Mimesis Museum (Alvaro Siza Vieira) 2 Kyobo Book Centre (Iroje architects) 3 Wohngebiet 4 Shopping Mall 5 Dulnyouk Publishers Building (Foreign Office Architects) 6 WAM House of open Books (Suh Hailim und Kim Junsung) 7 Asia Publication and Culture Information Center (Kim Byung-yoon) 8 Kindergarten (Unsangdong Architects) 9 Dongnyok Publishers (SANAA)
  • 10 ThinkBig Woongjin Office (Kim-in Cheurl/Archium) 11 Fluss
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