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Missbrauch eines Labels?

Diskurs
Missbrauch eines Labels?

»Ein bisschen Fürst muss sein« – dieser sonnige Werbeslogan einer südwestdeutschen Bierbrauerei ließe sich jetzt auch für das aktuelle Stuttgarter Immobilienmarketing adaptieren.

~Christian Marquart

Dort hat sich nämlich der Salzburger Projektentwickler Franz Fürst mit Geduld und Hartnäckigkeit am noblen Killesberg – wenige Meter entfernt von der legendären Weißenhofsiedlung – ein paar üppig dimensionierte Filetgrundstücke gesichert. Sie sollen im Zuge eines Konversionsprojekts, an der weltweiten Immobilienkrise vorbei, neu bebaut werden. Wo sich einst die inzwischen an den Flughafen verlegte Messe ausbreitete, werden nun Luxus- und Atelierwohnungen entstehen, eine »Fashion Mall« (wo der Einzelhandel über kurze Wege seine Klamotten ordert) mit flankierenden Kreativbüros und schließlich ein Stadtteilzentrum mit Läden, Praxen und etwas profaneren Büroflächen. Noch vor fünf Jahren war der Ehrgeiz der Stuttgarter größer; damals sollte die alte Messe in einen »Ort des Wissens und der Kultur« verwandelt werden. Entsprechend war auch das Briefing für einen Wettbewerb verfasst, von dessen Siegerentwurf wenig geblieben ist. Von Beginn an kalkulierte die Kommune mit satten Erlösen für das aufgelassene Messegelände, denn sie wusste von vornherein, dass der erträumte Ort des Wissens und der Kultur sich hier nicht rechnen – und dass die Stadt selbst sich dort nicht kulturell engagieren würde.
»Unser Maßstab ist die Weißenhofsiedlung« verkündete Fürst kürzlich in der Lokalpresse, »wir verwirklichen alles aus einer Hand.« So wie der Werkbund, der 1927 die Avantgarde der europäischen Architekten nach Stuttgart an den Weißenhof rief? Nun, der Werkbund trat damals nicht als Developer mit hohen Renditeerwartungen auf, sondern als ideell gestimmter Motor für architektonische Innovation. Fürst dagegen ist ein routinierter Projektentwickler, der seine Immobilien schnell wieder profitabel veräußern will; und er weiß, dass das heute nur funktioniert mit »gebrandeter« Architektur: in bester Lage, gebaut von namhaften Architekten, aber bloß nicht gewöhnungsbedürftig. Die Lage am Killesberg spricht in der Tat für sich, und die beauftragten Architekten sind ebenso renommiert wie pragmatisch: David Chipperfield, Baumschlager Eberle, Ortner & Ortner, Kees Christiaanse, Barkow Leibinger. Besonders innovativ oder gar experimentell, wie einst der Weißenhof konzipiert war, wirkt folglich keines der geplanten Gebäude. Den ersten im Internet publizierten Werbeprospekten zufolge ist städtebaulich nicht entschieden, ob es hier urban oder vorstädtisch zugehen soll, und die Architektur folgt allzu brav dem aktuellen Mainstream. Von Lust auf Zukunft ist hier wenig zu spüren. Fürsts Claim, hier habe sich der »Neue Werkbund Killesberg« formiert, wirkt deshalb reichlich kühn.
Die Geschichte dieser Planung bestätigt die Szenarien aus einem »Drehbuch«, das die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung sich selbst schrieb, um 2008 Gesprächsstoff für eine Jahrestagung mit dem Titel »Geld und Stadt« zu haben. In diesem Reader wird ausführlich (und sehr selbstkritisch aus Planerperspektive) beschrieben, wie die Gestaltungskraft von Politik und planender Verwaltung nachgelassen hat, die der Investoren dagegen gewachsen ist. Letztere und ihre Hausbanken betreiben »schnellen« Städtebau mit großen Projekten und großem Geld, während sich für kleinteilige Projekte von lokalen Akteuren mit bescheidenen Renditeerwartungen kaum noch Kredite auftreiben lassen. In den Papieren und Debatten der Mitglieder der Akademie wurden interessante Fragen diskutiert: Sind Planer vielleicht gegenüber den »bösen« Investoren bisher zu selbstgerecht aufgetreten? Reicht es künftig, Vorhaben zu »legalisieren« oder bedarf es wohlwollender Moderation? Und wenn ja, wie bekommt man es hin, noch verständnisvoller auf die Interessen von Investoren einzugehen, ohne dabei den Kern kommunaler Planziele und -inhalte preiszugeben? Man bekommt es kaum hin. In Stuttgart sorgt Oberbürgermeister Wolfgang Schuster regelmäßig und wider besseres Wissen dafür, am Gemeinderat und seinem Baubürgermeister vorbei Städtebau und Stadtentwicklung zu betreiben. So wurde beispielsweise eines der Filetgrundstücke am Killesberg nicht wie beschlossen mit pfiffigem Wohnungsbau besetzt, sondern von einem Betreiber luxuriöser Altersheime. Dass statt eines Kultur- und Wissenschaftszentrums nun Franz Fürsts »Fashion Mall« realisiert wird (inzwischen allerdings deutlich abgespeckt unter dem Titel »Scenario«), ist ebenfalls Folge eigenmächtiger Entscheidungen der Verwaltungsspitze. Dafür spendiert der Investor der benachbarten Kunstakademie ein paar Räume – im Gegenzug gibt es einen netten Preisabschlag beim Grundstückserwerb.
»Wir brauchen keine zweite Weißenhofsiedlung«, hatte der OB vor drei Jahren dekretiert. Dieser agiere notorisch »hinter verschlossenen Türen«, klagte hilflos die SPD-Fraktion, während die Grünen dem Stadtoberhaupt gleich ein »erbärmliches Demokratieverständnis« attestierten.
Mit einer solchen Planungspraxis verpasst Stuttgart jedenfalls die Entwicklung einer gedeihlichen Baukultur. Die hat sie dringend nötig, wenn das Großvorhaben »Stuttgart 21« konkret ansteht – die Entwicklung einer zweiten City auf altem Bahngelände.
Für die Stadt, die stets unterschwellig an Minderwertigkeitskomplexen leidet, wäre eine »zweite Weißenhofsiedlung«, sprich: ein spektakuläres, richtungsweisendes Projekt nachhaltigen, explizit städtischen Wohnungsbaus ein tolles Stück Stadtmarketing, in das zu investieren sich gelohnt hätte. Erst recht, wenn es in einem seriösen, demokratisch transparenten Prozess entwickelt worden wäre, der Ideenspielräume nicht verengt, sondern erweitert: genau das Gegenteil des Prinzips »Alles aus einer Hand«.
Der Autor ist freier Publizist und Herausgeber der Zeitschrift »Kultur«. Er lebt in Stuttgart.
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