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Arne Jacobsens Mainzer Rathaus drohen Bürgerentscheid und Abriss

Mainz närrisch
Dem Mainzer Rathaus drohen Bürgerentscheid und Abriss

Dem Mainzer Rathaus drohen Bürgerentscheid und Abriss
agn Niederberghaus & Partner
Als vor fünf Jahren die erste Kostenschätzung für eine unabwendbare Sanierung des Mainzer Rathauses bekannt wurde, gab es Stimmen, die laut den Abriss forderten.

~Ira Mazzoni

»Ein Haus über das nicht geredet wird, ist meist der Rede nicht wert«, erklärte Architekt Otto Weidling zur feierlichen Eröffnung des Mainzer Rathauses zu Beginn des Jahres 1974. Über das von Arne Jacobsen und Weitling entworfene Haus wurde und wird viel geredet – zu einem besseren Verständnis des einmaligen Bauwerks hat das nur bedingt beigetragen. Die Diffamierung als Beamtengefängnis hallt nach.

Dabei ist das seit 2006 eingetragene Baudenkmal so singulär, dass es über jeden Zweifel erhaben sein sollte: Es hat im Werk von Arne Jacobsen eine Ausnahmestellung, weil es ganz auf die Mainzer Situation am Rheinufer mit Blickbeziehungen zum Dom und zum kurfürstlichen Schloss zugeschnitten ist und bei aller Monumentalität auf städtebauliche Kontinuität und Vermittlung setzt. Beginnend bei dem leicht abgesenkten Cour d’honeur betritt der Bürger das Rathaus durch eine niedrige Pforte und wird überrascht durch ein sechsgeschossiges Entree mit umlaufenden Galerien, durch das zwei spacige Aufzugsröhren nach oben streben. Der barock inszenierte Weg zum Ratssaal führt weiter durch einen intimen runden Ausstellungsraum. Die Sitzungssäle sind gekonnt vom öffentlichen Durchgang abgeschirmt. Am Schluss der Enfilade befindet sich der harmonisch konzentrierte Ratssaal, der vom Rheinufer aus mit einer imperialen Trichtertreppe auch direkt erschlossen ist.

Es gibt im ganzen Haus von den honigfarbenen Wandpaneelen bis hin zu der Bestuhlung aller öffentlichen Räume keine Beliebigkeit, sondern nur vollendete Form. Das Mainzer Rathaus ist ein Gesamtkunstwerk.

Aber: Die dünnen, lichtgrauen norwegischen Sandsteinplatten der Fassade lösen sich aus den korrodierten Halterungen. Das Dach ist stellenweise undicht. Die Klimaanlage steht vor dem Kollaps. Energieeffizient ist der Bau genauso wenig wie barrierefrei. Dass etwas gemacht werden muss, ist seit Langem bekannt.

Doch die grob ermittelten Kosten von 50 Mio. Euro schockten die Öffentlichkeit. Um eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu erhalten und die hitzige Abriss-Debatte zu beenden, strengte der Stadtrat einen europaweiten offenen Ideenwettbewerb zur Entwicklung von Sanierungs- und Modernisierungskonzepten an. Jetzt liegen drei Planungsvarianten des 2016 beauftragten Generalplanungsbüros agn Niederberghaus & Partner vor. Das ernüchternde Ergebnis: Schon eine Instandsetzung mit Fassadenerneuerung und haustechnischer Ertüchtigung wird das festgesetzte Limit überschreiten. Allerdings wäre ein Neubau keine wirtschaftliche Alternative. Die Architekten empfehlen daher dringend die Sanierung des angestammten Hauses und werben mit zweigeschossigem, tageslichtem »Bürgerfoyer«, Dachterrasse, Rheinpromenaden-Gastronomie und verglasten Großraumbüros, sogenannten Open Spaces für ein angeblich preisgünstiges Facelifting des diskreditierten Denkmals.

Und wieder werden nur Zahlen diskutiert. Und wieder drückt sich die Politik vor einer klaren Entscheidung. In der nächsten Stadtratssitzung sollen die gewählten Vertreter der Bürger (eine Ampelkoalition) darüber abstimmen, ob es zur Sache einen Bürgerentscheid geben soll. Das klingt basisdemokratisch. Aber worüber sollen die Bürger entscheiden? Was ihnen das Denkmal wert ist? Ob ihnen die Sanierungsentwürfe mit beliebig glasigen Flairlockungen mehr Wert sind als das Gesamtkunstwerk? Oder ob sie gar auf ein eigenes Rathaus verzichten wollen? Dass der Ruf nach einem Bürgerentscheid unseriös ist, scheint in der Weihnachtspause allen Parteien im Stadtrat klar geworden zu sein. Eine politische Entscheidung zeichnet sich ab. Es bleibt zu hoffen, dass es im Februar endlich ein klares Bekenntnis zu dem singulären Gesamtkunstwerk und zum Baudenkmal gibt.

Denn der vom Oberbürgermeister Michael Ebling zur Diskussion gestellte Ankauf einer nahen gläsernen Bankimmobilie erweist sich als völlig indiskutabel. Diese bietet weder Platz für einen Plenarsaal noch für Ausstellungen und Veranstaltungen. Selbst Büros gibt es zu wenige. Als zukünftigen Plenarsaal hat der OB den während des Landtagumbaus provisorisch im Landesmuseum eingerichteten Versammlungsraum im Blick. Andere sehen den Stadtrat schon in einem Seitenflügel des Schlosses residieren. Sowohl in der Bank als auch im Schloss wären Umbauten nötig mit unwägbaren Risiken, da auch dort Bauunterhalt und Haustechnik im Rückstand sind. Und das schöne, maßgeschneiderte Rathaus am Rhein stünde, von schützenden Gerüsten umstellt, leer. Bis zum Verkauf müsste es weiter unterhalten werden und verlöre dann mit seiner Funktion auch den architektonischen Sinn.

Vieles an dem angeblich so bürgerfreundlichen und zeitgemäßen Entwurf des Generalplaners agn muss nicht nur in Bezug auf den technischen und finanziellen Aufwand, sondern auch in Bezug auf die ästhetische Qualität und den Nutzen hinterfragt werden: Wieso muss der Bürger dem Rathaus aufs Dach steigen können? Ist doch der Vorplatz des Rathauses schon eine große Rheinterrasse mit Skulpturen, Brunnenanlagen, Lauben und sogar einem Café – der allerdings seiner Revitalisierung harrt. Wieso muss der Korpus von Rats- und Vortragssaal an der Rheinpromenade gastronomisch geöffnet werden, wenn Hochwasser dem Bau jetzt schon zusetzt?

Wieso meint man, das Rathaus-Foyer würde bürgerfreundlicher, wenn die Decke herausgerissen und ein Galeriegeschoss mit Glasdecke draufgesetzt wird? Statt einem Einsäulensaal mit komfortabler Vintage-Design Sitzgruppe von Jacobsen bekäme man einen Mall-Touch. Auch die Open Spaces der Verwaltung scheinen mehr einer Mode als einer funktionalen Notwendigkeit zu folgen. Der Stadtrat sollte also nicht nur auf eine genaue Kostenermittlung pochen, sondern auch gewissenhaft die Qualitätsfrage stellen. Maßstab muss das architektonische Vermächtnis von Arne Jacobsen und Otto Weidling sein. Beliebigkeit ist im Gesamtkunstwerk fehl am Platz.

Die Autorin arbeitet als freie Fachjournalistin und Architekturkritikerin.

aktuelle Anmerkung der Redaktion:
Der Stadtrat sprach sich am 7. Februar 2018 mehrheitlich für die Sanierung des Rathauses aus (TOP 39):
Tagesordnung mit Beschlussvorlagen »
Von einem Bürgerentscheid war nicht mehr die Rede.
Mit der Formulierung »Die frühzeitige und ständige Einbindung des Denkmalschutzes soll gewährleistet werden« bleibt der Stadtrat schwammig und hält sich Optionen auf verschiedenerlei Änderungen (z.B. Einrichtung einer Dachterrasse, Öffnung zum Rhein hin) offen.

  • Das Thema schwelte schon eine ganze Weile. Bereits Anfang 2013 hat Werner Durth dezidiert den dringenden Handlungsbedarf angemahnt und für die Vermittlung der architektonischen Qualitäten plädiert:
    Ungewisse Zukunft (db 3/2013) »
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