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Machen Bauschäden klug?

Diskurs
Machen Bauschäden klug?

Nach dem Unglück von Bad Reichenhall und etlichen weniger spektakulären Einstürzen wurde in großer Hektik die Überprüfung des baulichen Zustands und der

~Josef Steiner

Standsicherheit von vielen Gebäuden, insbesondere von weit gespannten Dachkonstruktionen, veranlasst. Dabei hat sich gezeigt, dass nur wenige Eigentümer und Betreiber ihrer im BGB und in den Landesbauordnungen festgehaltenen Verpflichtung nachkommen und dafür sorgen, dass bauliche Anlagen so kontrolliert, gewartet und instandgehalten werden, dass sie während der gesamten Nutzungsdauer nicht zur Gefahr für Nutzer und für die Öffentlichkeit werden.
In Bad Reichenhall löste der Schnee zwar den Einsturz des Hallendachs aus, Ursache für das Versagen der Konstruktion waren jedoch eine ganze Reihe von Mängeln. Ihre Bandbreite reicht vom Berechnungsfehler über die Verwendung ungeeigneter Baustoffkomponenten und das Fehlen der bautechnischen Prüfung bis hin zur ungenügenden Wartung und der damit verbundenen schleichenden Verringerung der Standsicherheit. In ihrer Summe führten diese Mängel dazu, dass der nach Normen berücksichtigte Sicherheitsvorrat im Lauf der Jahre aufgezehrt worden war (s. db 12/2006, S. 74 ff.) und die noch planmäßige Schneelast zum Einsturz geführt hat.
Die Bundesregierung hat 1984, 1988 und letztmals 1995 insgesamt drei Bauschadensberichte herausgegeben. Darin wurden u. a. die fortwährende Wiederholung der immer gleichen Fehler sowie unterlassene Gebäudewartung und Instandsetzung beklagt. Im Bericht von 1995 werden unter den Schlussfolgerungen dringend Initiativen angemahnt, »die in der Praxis zu einer systematischen Instandhaltungsplanung führen, da vor allem bei der öffentlichen Hand und im Bereich der Baudenkmäler die Instandsetzung und die Instandhaltung überwiegend nicht systematisch erfolgen«. Den Architekten- und Ingenieurverbänden wurde 1994 vom Bundesbauministerium der Entwurf einer »Richtlinie für die ingenieurtechnische Überwachung baulicher Anlagen« (RTÜ) zur Stellungnahme vorgelegt. Dieser Entwurf verschwand allerdings wieder in der Versenkung und zwar bis zum Einsturz in Bad Reichenhall. Danach wurde das Papier kurzfristig umgearbeitet und im September 2006 vom Bundesbauministerium herausgegeben als »Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von baulichen Anlagen durch den Eigentümer/Verfügungsberechtigten«.
Insofern lässt sich die Frage, ob Bauschäden klug machen, sicher bejahen: Es scheint aber immer ein größeres Unglück erforderlich zu sein, um Mahnungen (Bauschadensbericht) und richtige Ansätze (RTÜ) in die Tat umzusetzen.
In der Zwischenzeit wurden wertvolle Hinweise für Bauherren und Eigentümer zur Unterhaltung ihrer Gebäude und von etlichen Verbänden ähnliche Richtlinien mit Checklisten zur Führung eines Bauwerksbuches herausgegeben. Ganz neu ist die VDI-Richtlinie »Standsicherheit von Bauwerken, regelmäßige Überprüfung« in der Endfassung vom Februar 2010.
Nach wie vor werden aber immer wieder die gleichen Fehler gemacht, beim Planen und auch beim Bauen. Es gibt Bauweisen, die aufgrund unzureichender Robustheit, aber auch wegen des Diktats der Vergabe nach dem niedrigsten Angebot und letztlich auch als Folge gesunkener Qualität des Baustellenpersonals besonders fehleranfällig sind. Da aber in keiner Berechnungsnorm ein Teilsicherheitsbeiwert für menschliche Fehlleistungen enthalten ist – er wäre gar nicht quantifizierbar –, lassen sich Planungs- und Ausführungsfehler nur durch präventive Kontrollen aufdecken und vermeiden.
Demnach ist es nicht besonders klug, immer mehr Gebäude von der bautechnischen Prüfung zu befreien, wenn man ernsthaft daran interessiert ist, die Zahl und den Umfang von Bauschäden zu verringern. Es bedarf auch offensichtlich einer verordneten Verpflichtung und einer entsprechenden Bescheinigung, um zu erreichen, dass in die Jahre gekommene und der Witterung ausgesetzte Gebäude mit ihren Abnutzungen nicht zur Gefahr für Bewohner, Nutzer und die Allgemeinheit werden.
Es ist auch nicht besonders klug, die Bauverwaltungen in den Bundesländern teilweise zu privatisieren und/oder die bisher qualitativ hochwertig besetzten Baurechtsbehörden personell immer weiter auszudünnen – so lange, bis eines Tages der technische Sachverstand für die in Anbetracht der Deregulierungsschritte der letzten Jahre immer notwendigeren Mindestkontrollen nicht mehr ausreichend vorhanden ist. Es muss vielmehr das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass es der falsche Weg ist, Regeln, die sich über lange Zeit bewährt haben, abzuschaffen – nur um eines nebulösen Fortschritts willen, der tatsächlich nur Aktionismus ist. Kluge Bauherren und Investoren müssen begreifen, dass sie die billigste Planung und die billigste Ausführung meistens teuer zu stehen kommen.
Es müssen auch jetzt die Weichen so gestellt werden, dass in einigen Jahren den Ingenieurbüros wieder einfache und praxisgerechte Normen zur Verfügung stehen. Die Obersten Baurechtsbehörden müssen einsehen, welch hohe Bedeutung die bautechnische Prüfung für den Sicherheitsstandard unserer Gebäude hat. Deregulierung im Bauwesen muss dort enden, wo die Sicherheit beeinträchtigt wird. Die über viele Jahrzehnte bewährte bautechnische Prüfung durch unabhängige, hoheitlich tätige Prüfingenieure muss aufrecht erhalten bleiben, wobei darauf zu achten ist, dass die Überwachung der Bauarbeiten obligatorischer Bestandteil des Prüfauftrags ist. Insofern bietet die U-Bahn-Baustelle in Köln die nächste Gelegenheit, aus einem Schaden Lehren zu ziehen. Prüfingenieure handeln als Beliehene anstelle der Unteren Baurechtsbehörden, sie sind ein hervorragendes Beispiel für geglückte Deregulierung.
Der Autor ist Beratender Ingenieur, Prüfingenieur für Baustatik und Partner der Ingenieurgruppe Bauen, Karlsruhe/Mannheim/Berlin/Freiburg.
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