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Lasst uns endlich wieder über Architektur sprechen

Diskurs
Lasst uns endlich wieder über Architektur sprechen

Wer heute über die architektonische Qualität eines Bauprojekts diskutieren will, muss sich zunehmend auf die Belehrung einstellen, dass es darauf ja wohl

~Arnold Bartetzky

nicht wirklich ankomme. Denn die Aufgabe moderner Stadtplanung, so ist immer wieder zu hören, bestehe nicht in erster Linie in der Hervorbringung guter Architektur, sondern in der Gewährleistung politisch korrekter Planungsprozesse – samt Wettbewerb, transparentem Vergabeverfahren und Bürgerbeteiligung sowie Einhaltung der Regelwerke und Umsetzung der neuesten EnEV. Und überhaupt: Gute Architektur – was soll das denn eigentlich sein? So vielfältig wie unsere Gesellschaft sei, ließe sich darüber doch sowieso keine Einigkeit erzielen. Und schließlich dürfe man doch den Leuten nicht vorschreiben, was sie gut zu finden hätten.
Es sind nicht mehr nur Baupolitiker und Stadttheoretiker, die mit solchen Scheinargumenten Diskussionen über Gestaltungsfragen abwürgen. Auch Architekten verfallen zunehmend in dieses Denkmuster. Das mussten kürzlich die Veranstalter der »5. Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt« in Düsseldorf erleben. Ihre Aufforderung, anhand konkreter, an die Wand projizierter Beispiele über die Gestaltung von Bauten und Stadträumen zu sprechen, wurde nahezu sabotiert. Schließlich wolle man sich nicht, spöttelte ein Teilnehmer, mit Bossierungen, Kanneluren und dergleichen Schischi aufhalten. Mit umso größerer Verve diskutierte man dafür über die »Produktionsbedingungen« und sozialen Aufgaben von Architektur.
Unsere Städte sollen, um einige inflationäre Schlagworte der aktuellen Debatten anzuführen, sozial, integrativ, interaktiv, barrierefrei, ökologisch, klimafreundlich, gerne experimentell und, ach ja, natürlich nachhaltig sein. Wie aber sieht die Architektur aus, die wir brauchen? Darüber wird heute erstaunlich wenig geredet. So ging es auch bei den letzten Bauausstellungen um verschiedene Aspekte des Planens und Bauens, aber kaum noch darum, gute Architektur zu präsentieren. Waren die Interbau 1957 und sogar noch die IBA 1984 in West-Berlin nicht nur mit neuen Konzepten von Stadt, sondern auch mit einer Reihe von Bauten angetreten, die ihrem Anspruch nach baukünstlerische Standards setzen sollten, wurde die Frage der architektonischen Qualität auf der IBA Sachsen-Anhalt 2010 oder auf der IBA Hamburg 2013 zu einer Marginalie.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist selbstverständlich, dass sich Architektur nicht vom Planungsprozess und anderen Produktionsbedingungen isoliert betrachten lässt, dass sie auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren muss, dass sie soziale Aufgaben zu erfüllen und ökologische Verantwortung zu übernehmen hat. Deshalb muss auch die Reflexion über Architektur diese Themen einschließen. Die zunehmende Enthaltsamkeit der Debatten gegenüber Gestaltungsfragen befördert aber die tagtäglich fortschreitende Produktion von architektonischem Müll. Die guten Ausnahmebauten, von denen Fachzeitschriften und Feuilletons berichten, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass v. a. die Alltagsarchitektur, die das Gros der gebauten Umwelt ausmacht, in freiem Fall begriffen ist. Die Masse der Wohn- und Büroneubauten etwa übt sich geradezu in Gestaltungstotalverweigerung. Gerade ihre Erdgeschossfassaden, einst Visitenkarte des Hauses, zeigen der Öffentlichkeit immer häufiger die kalte Schulter, indem sie nur blickdichte Mauern und Garageneinfahrten darbieten. Ein Großteil der neuen Kindergärten und Schulen ist nicht nur von öder Gestalt, von der penetrante Farben ablenken sollen, sondern auch von einer Dysfunktionalität, die nur mit grober Missachtung elementarer Nutzerbedürfnisse zu erklären ist. Statt Bezüge zu schaffen, demonstrieren die meisten Neubauten eine autistische Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Nachbarschaft. Bei Details wie Türen, Fenstern, Treppengeländern, Brüstungen hat sich eine wohl noch nie dagewesene Schäbigkeit als Standard durchgesetzt. Und die Gebäudehüllen bestehen inzwischen meist aus Styropor, das keinen Fußtritt aushält und Sondermüllberge von morgen produziert. Zu den vielen kleinen Katastrophen der Alltagsarchitektur kommen Großattacken auf die Baukultur hinzu, allen voran in Form riesiger Einkaufszentren, die nicht nur jeden stadtverträglichen Maßstab sprengen, sondern auch neue Dimensionen gestalterischer Plumpheit erreichen. Dass einige dieser Stadtraumkiller das Ergebnis hochkarätig besetzter Wettbewerbe sind und von renommierten Büros entworfen wurden, beweist einmal mehr, dass auch bei ambitionierten Verfahren architektonische Desaster möglich sind.
Können wir uns denn wirklich nicht darauf einigen, dass hier etwas gründlich schief geht?
Nun wird man einwenden, dass die Architekten nicht allein für die Misere verantwortlich seien, und auf alle möglichen Sachzwänge wie kontraproduktive Bauordnungen, kleinkarierte DIN-Normen, enge Kostenrahmen, zügelloses Profitstreben und Beratungsresistenz der Investoren verweisen. Selbst wenn man all diese mildernden Umstände gelten lässt, kann man allerdings nicht die Augen vor dem Niedergang ästhetischer Bildung und gestalterischer Fertigkeiten – von der Schule bis zur Architektenausbildung – verschließen.
Deshalb ist es umso wichtiger, wieder eine Diskussionskultur über Gestaltung zu entwickeln. Wir sollten wieder über Maßstab und Proportion, über Material und Detail, über Einzelbau und Ensemble, über Straße und Platz sprechen. Es wäre wohl der beste Beitrag zur Nachhaltigkeit der Städte, wenn es uns gelänge, etwas mehr Klarheit darüber zu schaffen, was an schlechter Architektur schlecht ist, und wie sie besser werden könnte.
Der Autor arbeitet als Kunsthistoriker und Architekturkritiker in Leipzig.
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