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Landschaft des Gedenkens

Erweiterung Gedenkstätte Berliner Mauer, Bernauer Strasse
Landschaft des Gedenkens

Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August dieses Jahres wurden zwei neue Bauabschnitte der Gedenkstätte Berliner Mauer eingeweiht. Auf dem ehemaligen Todesstreifen ist damit schon jetzt eine zwar von andauernden politischen Kontroversen begleitete, jedoch in weiten Teilen überzeugend gestaltete museale Gedenklandschaft entstanden.

~Carsten Sauerbrei

Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, dass der lange Streit um die richtige Form und den passenden Ort des Gedenkens an die Opfer der Berliner Mauer ein glückliches Ende nehmen würde? 15 Jahre mussten seit dem Mauerfall 1989 vergehen, bis die Entscheidung fiel, an der Bernauer Straße mit einer 1,4 km langen Ausstellungslandschaft über Geschichte und Hintergründe der Teilung Berlins aufzuklären und gleichzeitig an ihre Opfer zu erinnern. Ein 212 m langer, weitgehend original erhaltener Abschnitt des ehemaligen Grenzstreifens ist zwar schon 1990 unter Denkmalschutz gestellt worden, dennoch sollten nach dem damaligen Willen der Politik zunächst nur 70 m – heute als Gedenkstätte gestaltet – erhalten bleiben. Alle anderen Überreste wären somit der Rekonstruktion der stadträumlichen Situation vor dem Mauerbau zum Opfer gefallen. Erst nach dem Jahr 2000 und dem Verschwinden nahezu aller baulichen Reste des Todesstreifens wurde der Ruf nach anschaulicher Geschichtsvermittlung lauter und der Wert der Mauerreste an der Bernauer Straße erkannt. Mit dem durch den Berliner Senat bis zum Jahr 2006 erarbeiteten »Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer« wurde schließlich festgelegt, drei Abschnitte des ehemaligen Grenzstreifens entlang der Bernauer Straße vollständig unbebaut zu belassen und auf einem vierten einen schmalen Streifen entlang des ehemaligen Postenwegs als Ausstellungspfad freizuhalten. Grundlage für die Gestaltung der auf dieser Basis entstehenden Ausstellungs- und Erinnerungslandschaft ist ein im Jahr 2007 durchgeführter Wettbewerb, aus dem sinai. Faust. Schroll. Schwarz (Freiraumplanung) und ON architektur (Ausstellungsgestaltung) sowie Mola + Winkelmüller Architekten (Besucherzentrum) als Sieger hervorgingen.
Rekonstruktion oder Spurensicherung?
Den Auftakt der Gedenklandschaft bildet im Westen das 2009 eröffnete Besucherzentrum an der Bernauer Straße / Ecke Gartenstraße. Seine Fassade aus Cortenstahl zeigt bereits das auch für alle anderen Ausstellungselemente und die Gedenkorte verwendete Material. Dem Besucherzentrum gegenüber liegt der erste, im letzten Jahr fertiggestellte Erweiterungsabschnitt der Gedenkstätte zwischen Garten- und Ackerstraße. Dort sind die Elemente der einstigen Grenzanlagen am besten erhalten, allen voran der 212 m lange Mauerrest an der Bernauer Straße. Wo einzelne Elemente fehlen, sind sie aus Cortenstahl »nachgebildet« worden. Den ehemaligen Grenzverlauf kennzeichnen Rundstäbe in Mauerhöhe, die je nach Blickwinkel geschlossen oder offen erscheinen. Abrupt unterbrochen wird der ehemals durchgehend verlaufende Grenzstreifen durch eine hohe, rostrote Stahlwand, die das »Denkmal an die geteilte Stadt und die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft« begrenzt. So sehr diese Wand auch als störender Fremdkörper wirkt, durch sie, die Mauerreste und deren Nachzeichnung gelingt es im ersten Erweiterungsabschnitt, beim Besucher ein Gefühl des Eingeschlossenseins zu erzeugen und damit die Raumsituation des Todesstreifens durchaus überzeugend zu veranschaulichen.
Dieser erste Abschnitt heißt »Brutalität des Grenzregimes« und seine Auswirkungen auf die Menschen. Die Besucher können sich mithilfe der verschiedenen Ausstellungselemente über den ehemaligen Sophienfriedhof an dieser Stelle informieren wie auch über vom Grenzverlauf unterbrochene Straßen, Fluchtversuche und Todesschüsse. Dafür entwarfen die Planer »Ereignispunkte«, in den Boden eingelassene, kreisrunde Stahlplatten, »Vertiefungsstationen« aus jeweils fünf bis sieben multimedialen Informationssäulen und »archäologische Fenster«, von einem Stahlrahmen eingefasste Spuren freigelegter früherer Bauschichten. Das Ausstellungskonzept, Geschichte anhand der erhaltenen Spuren und an den authentischen Orten zu erzählen, geht in diesem Raumabschnitt hervorragend auf.
Neben der zurückhaltend informierenden Ausstellung sind es die Gedenkorte und die baulichen Zeugnisse der kontroversen Planungsgeschichte, die diesem ersten Abschnitt der Gedenklandschaft seine beeindruckende Dichte verleihen. Inmitten der Ausstellungslandschaft stehen 32 Mauersegmente, die 1997 wieder vom Friedhofsgelände entfernt und am Postenweg abgestellt wurden, nahebei finden sich einige Meter rekonstruierter Friedhofsmauer samt Eingangstor sowie Holzkreuze als Erinnerung an Massengräber aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und das »Fenster des Gedenkens« als Ort der Erinnerung an die Opfer der Berliner Teilung. Das »Fenster«, ein Kolumbarium mit Bildern der Mauertoten und deren Namen, Geburts- und Sterbedaten, gibt den Opfern ihre Individualität zurück und ist damit weitaus besser als Gedenkstätte geeignet als das bereits 1998 eingeweihte, von Kohlhoff & Kohlhoff gestaltete offizielle »Denkmal«. Vom Aussichtsturm des Dokumentationszentrums betrachtet, fügen dessen 70 m rekonstruierter, von Stahlwänden eingeschlossener Grenzstreifen jedoch dem Bild des Todesstreifens einen weiteren wichtigen Aspekt hinzu – den der steinernen und toten »verbotenen Zone«.
Stadtzerstörung, Neugestaltung, Transformation
Im zweiten, im August eingeweihten Ausstellungsabschnitt zwischen Acker- und Strelitzer Straße wird über die »Zerstörung der Stadt« als Folge des Mauerbaus, also den Abriss ganzer Häuserzeilen und die Sprengung der Versöhnungskirche informiert. Hier sind bis auf den gut erhaltenen Postenweg kaum Spuren der einstigen Grenzanlagen vorhanden. Das bedrückende Raumgefühl des ersten Abschnitts weicht damit dem Eindruck einer offenen Parklandschaft, auf der sich die Ausstellungselemente locker verteilen. Neben den Elementen des Grenzstreifens wurden hier auch die Grundrisse der ehemals vorhandenen Gebäude mit Stahlstreifen nachgezeichnet. Darüber hinaus markieren hintereinander als Band angeordnete Stahlplatten ehemalige Flucht- bzw. Stasi-Tunnel. Diese Elemente sind leider räumlich nur wenig wirksam und ohne Erläuterung kaum verständlich. Wesentlich anschaulicher sind die an einer Stelle freigelegten Kellerräume der früheren Wohnhäuser an der Bernauer Straße, die man sich jedoch in noch größerer Zahl gewünscht hätte. V. a. aber ist es das Grundstück der 1985 gesprengten Versöhnungskirche, auf dem das Thema Zerstörung und an die Geschichte anknüpfende Neugestaltung lebendig vermittelt werden. Den Umriss der alten Kirche zeichnen auch hier Stahlstreifen nach. Am Grundstückseingang sind die geretteten, alten Kirchenglocken aufgestellt. Das nach der Sprengung geborgene Turmkreuz steht verbogen, wie gerade herabgestürzt auf dem ehemaligen Postenweg. Die neue, im Jahr 2000 eingeweihte, wesentlich kleinere Kapelle ist über den Fundamenten des alten Chorraums errichtet worden. In ihrem Innern befindet sich der historische, schwer beschädigte Altar. Eine in den Boden eingelassene Glasscheibe zeigt die freigelegte Kellertreppe und eine 1961 mit Hohlblocksteinen zugemauerte Eingangstür. Auch der von Peter Sassenroth und Rudolf Reitermann entworfene neue Baukörper erinnert an die alte Kirche. Seinen Stampflehmwänden wurde Ziegelsplitt aus den Trümmern der alten Kirchenmauern beigemengt – ein überzeugendes Sinnbild für die Verbindung des Neuen mit dem Alten. Die in Cortenstahl ›
› nachgezeichnete Kubatur eines Wachturms an der Strelitzer Straße markiert den Abschluss dieses Ausstellungsabschnitts, auf dem sich mit den neu errichteten Stadthäusern der »Strelitzer Gärten« (s. db 8/2011, S. 28-37) auch ein Zeugnis der in den 90er Jahren noch anders gesetzten Planungsziele befindet.
Vergebene Chancen der Wiederbelebung und Anwohnerprotest
Was auf den ersten beiden Abschnitten weitgehend beispielhaft und überzeugend gelingt – Geschichte an authentischen Orten und mit architektonischen Mitteln erlebbar werden zu lassen –, misslingt leider im sich anschließenden dritten Abschnitt zwischen Strelitzer und Brunnenstraße. An seinem Beginn versperrt ein in den 90er Jahren errichtetes Wohnhaus Weg und Blick in den ehemaligen Grenzstreifen. Der einstige Postenweg, der als zentrale Bewegungsachse auf der gesamten Länge die Ausstellung erschließen soll, kann hier nicht benutzt werden. Ein schmaler Streifen an der Bernauer Straße bleibt, um das private Grundstück zu umgehen. Das Thema dieses Ausstellungsabschnitts ist der »Ausbau der Grenzanlagen«. Die vor Ort vorhandenen historischen Spuren reichen für eine anschauliche Vermittlung jedoch nicht aus. Lediglich ein archäologisches Fenster zeigt wenig aussagekräftige Betonflächen als Reste ehemaliger Fahrzeugsperren. Die Vertiefungsstationen, die über die Baugeschichte der Mauer informieren, sind nicht zwingend an diesen Ort gebunden. Um dem Abschnitt einen eigenen Charakter zu geben, sind die Reste der Hinterlandmauer und die Nachzeichnung des Mauerverlaufs allein zu schwache Mittel der Gestaltung. Deswegen muss die Entscheidung, an dieser Stelle auf eine Wiederbebauung des ehemaligen Grenzstreifens und damit auf die dringend notwendige Belebung der Bernauer Straße zu verzichten, infrage gestellt werden. Mit dem weitgehenden Fehlen von Informationsangeboten entlang der Bernauer Straße wurde leider eine weitere Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, vergeben.
Eine Stadtreparatur durch Neubebauung ist dagegen für den vierten und letzten Abschnitt des ehemaligen Grenzstreifens von der Brunnenstraße bis zum Mauerpark vorgesehen. Nur ein schmaler Streifen um den ehemaligen Postenweg herum soll für die Fortführung der Ausstellung freigehalten werden. Um Bebauung und Ausstellungspfad, dessen Fertigstellung für das kommende Jahr geplant ist, gibt es jedoch Streit mit Grundstückseigentümern und Anwohnern. Einige Mauergrundstücke, auf denen sich der Postenweg befindet, sind an die ehemaligen Eigentümer zurückgegeben worden. Sie werden von den Bewohnern der angrenzenden Altbauten wieder als Hofraum mit Grünflächen und Spielplatz genutzt. Diese protestieren gegen die ihrer Meinung nach zu hohe und dichte Neubebauung und fühlen sich bei der Planung übergangen. Und einiges erscheint an dem bisherigen Konzept tatsächlich fragwürdig – das Zurücksetzen der Bebauungslinie an der Bernauer Straße, das Überschreiten der Altbauhöhe um 3 m und die hohe Verdichtung der Neubebauung. Bisher zeichnet sich kein Kompromiss ab zwischen der Position der Anwohner, die sich eine Reduzierung der Bebauungshöhe auf 22 m und den Verzicht auf Seitenflügel wünschen, und dem Berliner Senat, der weder vom Gedenkstättenkonzept noch vom gültigen Bebauungsplan abweichen will. Die bisherige Planungsgeschichte der Gedenklandschaft hat jedoch gezeigt, dass der Dialog mit Anwohnern und Eigentümern Voraussetzung für deren Erfolg ist. Der von der Berliner Senatsbaudirektorin eingeschlagene Weg, mit einem Mediationsverfahren nach einem für alle Beteiligten tragfähigen Kompromiss zu suchen, ist daher uneingeschränkt zu begrüßen. •
Der Autor studierte Stadtplanung und Architektur und ist in Berlin als Architekturführer und freier Architekturjournalist tätig.
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