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Koblenzer Position

Von der Buga zum Masterplan
Koblenzer Position

Mit der Bundesgartenschau 2011 unternahm Koblenz einen ersten Schritt, um nach Jahren der städtebaulichen Stagnation neue Wege zu beschreiten und die Stadt für Einheimische und Besucher attraktiver zu gestalten. Der neuen Uferpromenade an Rhein und Deutschem Eck sowie der Seilbahn zur instandgesetzten Festung Ehrenbreitstein folgt nun als nächste Etappe die Eröffnung einer neuen Stadtmitte mit »Forum Confluentes« und »Forum Mittelrhein« am Zentralplatz. Die beiden Neubauten erweisen sich als wichtige Marksteine auf dem Weg zu einem Masterplan für Koblenz, welcher 2014 verabschiedet werden soll.

~Jürgen Tietz

Was ist Koblenz? Eine touristische Destination für Rheinromantiker oder eine ewig dröge westdeutsche Verwaltungsstadt, die vom nervtötenden Bahnlärm der Rheintrasse umbraust wird? Trotz seiner prominenten Lage an Rhein und Mosel gilt Koblenz eher als graue Maus unter den Rheinstädten. Umgeben von eindrucksvollen Festungsbauten früherer Jahrhunderte, hat die Stadt in ihrer Geschichte oftmals nur den Zipfel der Wurst ergattert: Kaum hatte der Trierer Erzbischof und Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Sachsen 1793 hier sein klassizistisches Schloss in schönster Rheinlage errichtet, da musste er auch schon vor den französischen Revolutionstruppen fliehen. Und auch der Zweite Weltkrieg meinte es nicht gut mit der Stadt, die zu fast 90 % zerstört wurde. Heute ist das auf römische Wurzeln zurückgehende Koblenz in weiten Teilen eine Stadt der Nachkriegsmoderne. Doch deren Qualitäten erschließen sich derzeit erst auf den zweiten oder gar auf den dritten Blick. Koblenz – ein hoffnungsloser Fall? Keineswegs.
Mit der Aufwertung des oberen Mittelrheintals zur Welterbestätte 2002 hat sich zwar nicht schlagartig alles geändert, aber es ist Bewegung in die Region gekommen. Zwar fehlt es weiterhin an ausreichend hochwertiger Hotellerie für die Welterbe-Touristen und Teile der Koblenzer Rheinfront erinnern eher an die gruselige Architektur eines westdeutschen Ostseebads der 70er Jahre, doch spätestens mit der Bundesgartenschau 2011 hat Koblenz bewiesen, dass die Stadt auch anders kann. Mit Grünanlagen anstelle von Parkplätzen eroberte sie ihre Flusskante für Einheimische und Touristen zurück. Eine Seilbahn, deren Talstation nach Entwurf von Werner Sobek entstand, verkürzt nicht nur den Weg hoch zur Festung Ehrenbreitstein, für die HG Merz ein neues Eingangsbauwerk schuf, sondern holte die Festung gleichsam in die Stadt. Folgerichtig entschied jüngst die UNESCO Welterbekommission, dass die Seilbahn bis 2026 weiterlaufen darf, obwohl die Denkmalpfleger sie lieber heute als morgen verschwinden sähen, da sie die »visuelle Integrität« der Welterbestätte störe.
Die Messlatte hoch gelegt
Doch nicht nur am Rhein kommen die Dinge in Koblenz baukulturell in Bewegung. Auch auf dem innerstädtischen Zentralplatz, einer Brache der Nachkriegsmoderne und städtebaulichem Sorgenkind mit hohem Handlungsbedarf, sind »Forum Mittelrhein« und »Forum Confluentes« neu entstanden. Entworfen wurde das Ensemble vom niederländischen Architekturbüro Benthem Crouwel. Die beiden geschwungenen Baukörper aus Glas schaffen eine dynamische stadträumliche Situation: Die weite Platzfront verjüngt sich zwischen den beiden Baukörpern zu einer geschwungenen Gasse. Von einem abstrakten grünen Weinlaub-Ornament aus Aluminium bekrönt, dient das Forum Mittelrhein als ECE-Shopping-Mall. Angenehm luftig im Innern, erweist es sich als Einkaufswelt mit architektonischem Anspruch. Gleich daneben steht das Forum Confluentes, der neue Kulturbau der Stadt mit bedruckter Glasfassade. Dort haben in den OGs Bibliothek und Mittelrhein-Museum ihr neues Domizil gefunden. In EG und UG residiert die Touristeninformation als innerstädtischer Anlaufpunkt für Welterbe-Besucher. Erschlossen werden die einzelnen Institutionen vom großzügigen gemeinsamen Foyer aus.
Natürlich könnte man sich als Architekturkritiker nun darüber auslassen, dass der Bauköper des Forum Confluentes all zu mächtig geraten ist, dass der Platz zwischen kommerziellem und städtischem Forum all zu offen wirkt. Man könnte daran zweifeln, wie einladend die bedruckte Glasfassade des Kulturbaus wirklich ist, die ja nur in dunklen Stunden von innen heraus leuchtet. Und man könnte fragen, ob schwarze Gläser wirklich der architektonischen Weisheit letzter Schluss sind, um als Sichtschutz das Museum im OG zum Foyer hin abzuschotten. Andererseits könnte man sich an den Raumstrukturen im Innern des Kulturbaus ergötzen, die sich auf gelungene Weise piranesihaft miteinander verschränken.
Doch es stellt sich die Frage, ob man damit dem Ensemble und seiner Bedeutung für die Innenstadt nur ansatzweise gerecht wird. Zwar gilt auch in Koblenz, dass das Gute der Feind des Besseren ist. Doch alles architekturkritische Gemecker verliert an Schlagkraft, wenn man sich auf die Dachterrasse des neuen Koblenzer Stadtkerns begibt und den Blick über die Dächer der Altstadt zur Festung Ehrenbreitstein wandern lässt. Spätestens dann wird nämlich klar, dass das neue Doppel-Forum mehr ist als das Haus selbst. Es stellt nach der Buga einen weiteren Impuls für Koblenz dar, sich baulich selbst zu finden und neu zu definieren. Der Weg, den die Stadt dafür gewählt hat, bietet eine anspruchsvolle zeitgenössische Architektur. Damit bezieht Koblenz klar Position, anstatt sich dem aalglatten bundesdeutschen Architekturmainstream aus Natursteinfassaden mit einer Prise Rekonstruktionssehnsucht anzuschließen. Allein das verdient Respekt.
Städtisches Selbstverständnis
Kulturbau und Mall – dieses ungleiche Doppel ist zwar keine Koblenzer Erfindung. Doch hier erweisen sie sich als eine bewusste Setzung. Der Kulturbau wird nicht wie andernorts hinter einer pseudohistorischen Fassade versteckt oder gar verschämt in die schwerer zu vermietenden Teile des Hauses verbannt. Stattdessen überragt die Kultur mit breiter Brust das Einkaufszentrum. So veranschaulicht schon die unterschiedliche Kubatur der Bauvolumen auch optisch das neu erwachte städtische Selbstbewusstsein.
Mit den neuen Forumsbauten auf dem Zentralplatz hat sich die Stadt die Latte für ihre künftigen Projekte selbst hoch gelegt. Und sie formuliert neue Fragestellungen: Wie etwa kann verhindert werden, dass das Erbe der Nachkriegsmoderne vom Glanz des Neuen überstrahlt und dadurch weiter entwertet wird? Welche Chancen gibt es, die Zeugnisse dieser für Koblenz prägenden Epoche zu erhalten und zu qualifizieren? Keine leichte Aufgabe. Nicht weniger spannend ist die Frage nach der Qualitätssicherung. Denn ein städtischer Transformationsprozess, wie er in Koblenz gerade angestoßen wird, bedarf dringend einer externen Absicherung, etwa durch einen Gestaltungsbeirat.
Das alles sind Forderungen an die Stadt, mit denen der Prozess der städtischen und architektonischen Qualitätsbildung weiterentwickelt werden kann. Um das Behagen der Bewohner in ihrer Stadt langfristig zu steigern, sind nicht nur die Bürger und die Stadtverwaltung gefordert, sondern auch die Bundespolitik: Nur wenn es gelingt, dass die unerträglich lärmende Bahntrasse endlich in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird, um sie aus dem Rheintal auf eine neue Trasse zu verbannen, wie es derzeit im Gespräch ist, dann kann auch in Koblenz wirklich alles gut werden. •
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