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Juwel der fünfziger Jahre in Berlin

Die Galerie Bremer mit Scharouns Cocktailbar hat wieder geöffnet
Juwel der fünfziger Jahre in Berlin

Juwel der fünfziger Jahre in Berlin
Anja Bremer, 1901 in Ostpreußen geboren, hatte sich nie zuvor professionell mit Kunst beschäftigt. Doch nach Ende des Krieges spürte sie, dass die lange Jahre unterdrückte Kunst helfen könne, Wege aus der Agonie der Niederlage und der Not zu weisen. Am 13. Oktober 1946 gründete sie eine Galerie, zunächst in ihrer Wohnung am Südwestcorso, in der viele Berliner eine Wiederbegegnung mit der klassischen Moderne erlebten, viele aber auch zum ersten Mal mit der Kunst von Barlach, Feininger, Kirchner, Nolde, Schmidt-Rottluff und anderen bekannt wurden. Gleichzeitig gab sie zeitgenössischen Künstlern die Gelegenheit zur Präsentation, wie Hans Uhlmann, Bernhard Heiliger und Alexander Camaro. Sie schaffte es, viele Werke aus den westlichen Besatzungszonen nach Berlin zu holen – was zu Blockadezeiten in Westdeutschland mit hohem Risiko behaftet war.

Einen großen Coup konnte Anja Bremer 1955 landen, als sie in der Fasanenstraße Nummer 37, in einem ehemaligen Laden, neue Galerieräume bezog. Ein Clubraum wurde im Hinterzimmer eingerichtet, eine Cocktailbar, in der ihr Mann Rudolf van der Lak, ein Surinamer, hinter dem Tresen stand. »Ich möchte, dass die Persönlichkeiten der verschiedenen Gruppen – Architektur, Musik, Literatur, Theater, Kabarett – sich im Gespräch kennen lernen und gegenseitig Anregungen geben«, wünschte sie sich, und dass »mancher Freund für die moderne Kunst gewonnen wird«. Das ist der charismatischen Galeristin und ihrem allzeit sprichwörtlich gut gelaunten Barkeeper zweifellos gelungen. Die Galerie Bremer mit ihrer Cocktailbar entwickelte sich zum Szenetreff mit bald internationalem Ruf und im Gästebuch stehen Namen wie Tony Curtis, Ella Fitzgerald, Lionel Hampton, Romy Schneider, Billy Wilder, Walter Scheel, Steffi Graf und und und …
Aber auch viele Architekturfreunde schauten auf ein Glas vorbei, denn gestaltet hat die schummerige Hinterzimmerbar kein geringerer als Hans Scharoun, der zum Freundeskreis Anja Bremers gehörte. Zierliche Fünfzigerjahre-Sesselchen, Nierentische, grün gestrichene Wände und rote Sitzpolster versetzen den Gast in die Zeit des Wirtschaftswunders. Der Tresen mit dem ordentlichen Griffrohr für guten Halt auch bei »schwankendem Barhocker« schiebt sich mit elegantem Schwung in den Raum. Ein besonderes Designkunststück hängt an dünnen Drähten über dem Tresen: ein schwebendes Flaschenregal aus Industriemetallprofilen kunstvoll gefügt. Erstaunlicherweise hat Scharoun die Decke nicht abgehängt, sondern die historistische Stuckwute als stilistischen Kontrast beibehalten – eine überraschend moderne Haltung im Umgang mit der Baugeschichte. Auch der weiße Kachelofen blieb erhalten, auf dem noch Spolien, ein Puttenkopf und Stuckrelikte liegen, so wie sie Scharoun damals hat demonstrativ liegen lassen.
»Rudi« van der Lak, der die Galerie nach dem Tod Anja Bremers 1985 erfolgreich weiterführte und sich erst im vergangenen Jahr im Alter von 84 Jahren zurückzog, gelang es, einen Nachfolger zu finden, der die Tradition in Ehren hält. Der Kunstagent Rolf Rohlow hat die Galerie vor Kurzem unter altem Namen wieder eröffnet – derzeit mit einer respektablen Ausstellung des Max Kaus-Schülers Volkmar Haase – und er betreibt auch wieder die Cocktailbar.
Erstaunlicherweise ist das Interieur bis heute vollständig erhalten, wahrlich ein seltener Glücksfall. Natürlich hängen in der Bar wechselnde Bildprogramme, die auch angemessener Spotbeleuchtung bedürfen, doch ansonsten achtet Rohlow auf Authentizität, bis hin zu den Salzstangen als Knabbergebäck. Sogar die berühmten bauchigen Whisky-Flaschen mit dem Label VAT 69 hat er besorgt und als Tropfkerzenhalter auf den Tischen platziert. So kann man also einen Abend in Scharouns Philharmonie wieder stilgerecht in Scharouns Cocktailbar ausklingen lassen. Falk Jaeger
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