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Jena – Phönix aus der Asche

Diskurs
Jena – Phönix aus der Asche

Während viele ostdeutsche Städte mit Wirtschaftskrise, Abwanderung und Wohnungsleerstand zu kämpfen haben und etliche Experten die Schrumpfung für unvermeidlich halten, herrscht in Jena Aufbruchstimmung. Die Stadt kann eine für ostdeutsche Verhältnisse niedrige Arbeitslosenquote von 8,9 Prozent, ein hohes Wirtschaftswachstum und wachsende Bevölkerungszahlen vorweisen. Auch deshalb erreichte Jena in einer Untersuchung der Basler Prognos AG über die Zukunftsfähigkeit von 439 deutschen Städten und Landkreisen Platz zwanzig. Was wurde hier also anders gemacht?

~Matthias Grünzig

Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, der stößt auf eine unkonventionelle Stadtentwicklungsstrategie, die das einstige Sorgenkind Jena in eine blühende Stadt verwandelt hat. Denn in den ersten Jahren nach der Wende war die Lage in Jena ebenso schwierig wie in vielen anderen ostdeutschen Städten. Das wichtigste Unternehmen der Stadt, das Kombinat Carl Zeiss Jena, wurde nach 1990 zu großen Teilen »abgewickelt«. Die Folge waren ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 15 Prozent, Abwanderung und wachsender Wohnungsleerstand.
Dass Jena dennoch gerettet werden konnte, ist vor allem zwei Weichenstellungen zu verdanken. Erstens entschied sich die Stadtverwaltung nach 1990 für eine klare Stadtentwicklungsstrategie, die den Ausbau der Stadt zu einem Technologiezentrum in den Mittelpunkt stellte. Traditionelle Kompetenzen auf den Gebieten Optik, Biomedizin und Mikroelektronik sollten zu einem Cluster aus Wissenschaft, Forschung und technologieorientierten Unternehmen weiterentwickelt werden. Der zweite Erfolgsfaktor war das starke Engagement der öffentlichen Hand. Die Stadtverwaltung von Jena hat im Gegensatz zu vielen anderen nicht auf private Immobilienentwickler, sondern auf überdurchschnittliche Investitionen der öffentlichen Hand und gezielte Branchenentwicklung gesetzt.
Die Stadt gründete die kommunale Entwicklungsgesellschaft JenA4 GmbH, die sich vor allem um die Entwicklung von Gewerbestandorten kümmerte. Ebenso wichtig war die enge Zusammenarbeit mit dem Freistaat Thüringen, der sich ebenfalls zum Ziel »Technologiezentrum Jena« bekannte und sich entsprechend engagierte. Dieser sorgte nicht nur für den Ausbau der Hochschul- und Forschungslandschaft, sondern betrieb auch den Aufbau von Technologieparks auf landeseigenen Flächen. Stadt und Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) erarbeiteten gemeinsam städtebauliche Rahmenpläne und Ansiedlungskonzepte. Zudem gründete der Freistaat Thüringen 1991 die landeseigene Jenoptik AG, die sich um den Aufbau von technologieorientierten Unternehmen, auch aus der Hinterlassenschaft des Kombinats Carl Zeiss Jena, kümmerte. Dank dieser Kooperation konnte eine sorgfältig geplante Mischung von Hochschuleinrichtungen, außeruniversitären Forschungsinstituten und Unternehmen geschaffen werden.
Das ehemalige Hauptwerk der Zeiss-Werke in der Innenstadt wurde zum Campus der Friedrich-Schiller-Universität ausgebaut (Planung: IFB Dr. Braschel GmbH, Stuttgart, 1996).
Weitere Neubauten waren die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek am Fürstengraben (Heckmann, Kristel, Jung Architekten, Stuttgart, 2001), das Theoretikum der Medizinischen Fakultät an der Kollegiengasse (Gerber Architekten, Dortmund, 2003) und der Neubau des Instituts für Erziehungswissenschaft Am Planetarium (PL Bau- und Projektkoordination GmbH, Hannover, 2007). Eine besonders umfangreiche Investition war der Neubau des Universitätsklinikums in Lobeda. Der erste Bauabschnitt konnte 2004 eingeweiht werden (WPA – Worschech Partner Architekten, Erfurt, mit medplan as arkitekter, Oslo; HWP Planungsgesellschaft, Stuttgart), das Laborzentrum folgte 2008 (ebenfalls WPA). Ergänzt wurde der Ausbau der Universität durch den Aufbau der Fachhochschule Jena, die ihr Domizil im ehemaligen Zeiss-Südwerk an der Carl-Zeiss-Promenade erhielt. (mpw multiplan weimar Bauplanungsgesellschaft, 1996–2008).
Parallel zum Hochschulausbau erfolgte der Aufbau von Technologieparks. Zum wichtigsten Technologiestandort entwickelte sich der Campus Beutenberg. Das rund 15 Hektar große Gelände im Süden der Stadt, das bis 1990 als Zentralinstitut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie (ZIMET) diente, wurde zu einem Technologiecampus umgenutzt. Unter Federführung der LEG wurde ein städtebaulicher Rahmenplan für das Gelände erarbeitet, der 1997 vom Jenaer Stadtrat beschlossen wurde. In den Folgejahren erfolgte die Ansiedlung von mehreren Instituten der Universität, sechs außeruniversitären Instituten, zwei Technologie- und Gründerzentren sowie einem Firmengebäude der Wacker AG. Als Mittelpunkt wurde das Abbe-Zentrum mit einer Kantine, einer Bibliothek, Konferenzräumen und Dienstleistungsangeboten errichtet (von Gerkan, Marg und Partner, Berlin, 2006).
Ein mehr produktionsorientierter Technologiestandort entstand in Göschwitz. Das Kernstück dieses Gebietes bildete ein während der DDR-Zeit errichtetes Werk des Kombinats Carl-Zeiss-Jena, das nach 1990 zum Hauptwerk der Jenoptik AG umprofiliert wurde und in dessen Umkreis sich weitere Unternehmen ansiedelten. Ein anderes Gewerbegebiet wurde in Lobeda Süd erschlossen. Hier sind in jüngster Zeit Industriegebäude entstanden, die durch eine markante Architektur auffallen. Beispiele sind das Werk der Asclepion Laser Technologies GmbH (Schettler & Wittenberg Architekten, Weimar, 2008) oder das Werk der DAKO Firmengruppe (Trzebowski Schiffel Architekten, Jena, 2008).
Diese Anstrengungen zahlten sich schließlich aus. Die Stadt erreichte nicht nur ein Wirtschaftswachstum und eine sinkende Arbeitslosenquote, sondern auch einen Zuzug von Studenten und Fachkräften, der zu einem Rückgang
des Wohnungsleerstandes führte – vor allem in den Großsiedlungen Lobeda und Winzerla. Der Wohnungsleerstand in Lobeda sank von zwölf (2003) auf unter ein Prozent. Dieser Boom zwang auch zur Revision von Abrissplanungen. Noch 2002 war ein Kommunales Stadtentwicklungskonzept Wohnungswirtschaft verabschiedet worden, das den Abriss von 3000 bis 4000 Wohnungen in Lobeda und Winzerla vorsah. Doch 2005, nach dem Rückbau von 1200 Wohnungen, stellte sich heraus, dass in der Realität 1000 Wohnungen fehlten. Der Rückbau wurde unverzüglich gestoppt. Mittlerweile werden die Abrisse allgemein bereut.
Im Kampf um qualifizierte Fachkräfte und Studenten spielt die Stärkung der weichen Standortfaktoren eine zunehmend bedeutende Rolle für die Stadtentwicklung. Eine besonders drängende Herausforderung ist dabei der Neubau von Wohnungen, die ebenfalls durch ungewöhnliche Strategien bewältigt wird. Denn der Wohnungsneubau wird in Jena nicht dem Zufall und erst recht nicht privaten Investoren überlassen, sondern in enger Kooperation zwischen der Stadtverwaltung, der städtischen Wohnungsgesellschaft »jenawohnen«, den Wohnungsgenossenschaften und dem Freistaat Thüringen durchgeführt. Eine Arbeitsgemeinschaft aus Vertretern der Stadtverwaltung, der Wohnungsunternehmen und der LEG sorgt dafür, dass der Wohnungsbau an stadtstrukturell sinnvollen, gut erschlossenen Standorten realisiert wird.
Eine gelungene Wohnanlage ist die Siedlung »Nordlichter« an der Merseburger Straße. Auf diesem Areal befand sich bis 1992 eine Kaserne der sowjetischen Armee, die später von der LEG übernommen und für den Wohnungsbau erschlossen wurde. Anschließend wurden die Baugrundstücke von der Wohnungsgenossenschaft »Carl Zeiss« erworben und bebaut. Eine Besonderheit dieses Projektes war, dass die Wohnungsgenossenschaft bereits während der Planungsphase eine umfangreiche Bürgerbeteiligung praktizierte. Das Resultat ist eine klare, funktionale Architektur, die nicht durch ästhetische Spielereien, sondern durch konkrete Wohnqualitäten überzeugt. Die Wohnanlage bietet 130 großzügige, gut belichtete und ruhige Wohnungen mit großen Balkonen oder Terrassen, die zudem hervorragend an das Straßenbahnnetz angeschlossen sind (pbs architekten Gerlach Krings Böhning, Aachen/Leipzig, 2008).
Neben dem Neubau wird die Aufwertung der Großsiedlungen Lobeda und Winzerla vorangetrieben. Hier werden Wohnblöcke saniert und grundlegend umgestaltet. Ungünstig geschnittene Plattenbauwohnungen erhalten großzügigere Grundrisse, einige Blöcke werden um Penthäuser und Dachterrassen ergänzt. Ein Beispiel ist das Hochhaus Ernst-Schneller-Straße 1 der kommunalen Wohnungsgesellschaft »jenawohnen«, das nicht nur umgebaut, sondern auch um zwei Penthauswohnungen erweitert ›
› werden konnte (Delta-Plan GmbH, Jena, 2008). Ein weiteres Umbauprojekt plant die Wohnungsgenossenschaft »Carl Zeiss« unter dem Namen »Südlichter« in Lobeda.
Zudem wird viel Geld in gute Kindergärten und Schulen investiert. Bereits 2008 konnte im Gewerbegebiet Göschwitz ein Kindergarten eröffnet werden (Sittig Architekten, Jena), 2009 soll ein Kindergarten auf dem Campus Beutenberg entstehen. Der kulturellen Aufwertung der Stadt dienen Projekte wie die Umnutzung des ehemaligen Volksbades zum Kulturzentrum (BfB Büro für Baukonstruktionen, Karlsruhe, 2007). Allerdings musste Jena auch Misserfolge hinnehmen. Bei der Altstadtsanierung etwa hatte Jena anfangs stark auf private Investoren gesetzt, die dann in der Praxis aber oft genug ihre Häuser verfallen ließen. Zu einem besonders traurigen Beispiel entwickelte sich das 1370 erbaute »Haus zur Sonne« am Markt, das von einem Münchner Privateigentümer jahrelang dem Leerstand und Verfall überlassen wurde. Doch jetzt wird auch dieses Sorgenkind angepackt. Ende 2007 wurde das »Haus zur Sonne« von der Wohnungsgenossenschaft »Carl Zeiss« übernommen, die das Baudenkmal bis 2013 sanieren wird (Sanierung: Rittmannsperger und Partner, Erfurt).
Die Erfolge Jenas strafen all jene Lügen, die eine Schrumpfung der ostdeutschen Städte für unvermeidlich halten. Jena hat bewiesen, dass die Schrumpfung kein Schicksal ist, sondern durch eine gute Stadtentwicklungspolitik überwunden werden kann. Andernorts fehlen zwar die Voraussetzungen für diese konkreten Branchenschwerpunkte, es dürfte aber auch in anderen Städten möglich sein, eine ähnlich durchdachte Wirtschaftsentwicklungsstrategie mit anderen Branchen zu entwickeln und diese dann auch konsequent umzusetzen. •
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