1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Diskurs »

Isarphilharmonie – oder Lernen von Hamburg?

Diskurs
Isarphilharmonie – oder Lernen von Hamburg?

Kulturhungrige Einwohner verlassen Woche für Woche scharenweise die bayerische Landeshauptstadt, um andernorts ihren Bedarf an kon-

~Karl J. Habermann

zertanten Aufführungen auf Weltniveau zu befriedigen … Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man die nun bereits über Jahre hin in der örtlichen Tagespresse laufenden Kampagnen für einen neuen Konzertsaal verfolgt. Doch erst 1985 wurde der jetzige Konzertsaal im Kulturzentrum am Gasteig nach einem zweistufigen Wettbewerb in den Jahren 1972 und 1975 eröffnet. Dessen Akustik stand von Anfang an in der Kritik – ausgelöst vom arroganten Statement Leonard Bernsteins »burn it«. Dennoch ist der 2 400 Besucher fassende Konzertsaal laut offiziellen Angaben bis heute zu 90 % ausgelastet. Die Konzerte der Münchner Philharmoniker, des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks sowie zahlreicher gastierender Orchester wurden und werden national wie international beachtet. Die bedeutendsten Dirigenten der Welt geben sich den Taktstock in die Hand. Das Mäkeln an der Akustik ist aber zum festen Bestandteil in den Feuilletons geworden. Maßnahmen, die Akustik baulich zu verbessern, werden immer wieder erwogen, kalkuliert und auf die lange Bank geschoben.
Bereits Anfang 2002 macht sich ein Trio aus Politik, Musik- und Architekturszene mit Unterstützung der Lokalpresse auf den Weg, die Stadtführung das Fürchten zu lehren. Mit dem Argument, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – ein Klangkörper mit Weltgeltung – sei obdachlos und würde längst einen eigenen Saal benötigen, stellen Finanzminister Kurt Faltlhauser, Stardirigent Mariss Jansons und Architekt Stefan Braunfels ihre Idee für einen neuen Konzertsaal im Marstallgebäude Leo von Klenzes vor. Dazu gehen 2007 aus einem Ideenwettbewerb die Berliner Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank als Sieger hervor. In ihrem Entwurf bildet der Marstall lediglich das Foyer für den Konzertsaalneubau. Die Frage nach der Finanzierung bleibt ungelöst.
Der städtische Kulturreferent Hans-Georg Küppers äußert sich in der Süddeutschen Zeitung im Juni 2009: »Ich finde es relativ absurd, einen weiteren Saal in dieser Stadt zu bauen.« Die Stadt positioniert sich klar mit einem 70 Mio. Euro schweren Umbau der Philharmonie am Gasteig und versucht so, der drohenden Konkurrenz mit einem Angebot für eine gleichberechtigte Nutzung durch die beiden großen Orchester vor Ort entgegenzuwirken. 2010 entledigen sich die Befürworter des neuen Konzertsaals der Möglichkeit, am Marstall zu bauen, durch die Einholung eines Gutachtens: Der japanische Starakustiker Yasuhisa Toyota lässt als Weinberg-Fachmann kein gutes Haar am gewählten Schuhschachtelmodell.
Erst als die SZ als Sprachrohr der Befürworter im März 2011 zur obligatorischen Podiumsdiskussion einlädt, kommen die Dinge wieder in Gang. Nun vergeht kein Tag mehr ohne Beitrag zum Thema. Kunstminister Heubisch nimmt den Fehdehandschuh des Oberbürgermeisters Ude auf und dreht heftig am Standortkarussell. Die Konzertsaal-Diplomaten verhandeln hinter den Kulissen, nur gestört oder animiert von geschickt lancierten Ideen rühriger Architekten und Architekturstudenten. Roland Dieterle beeindruckt mit seinem absurden Weinglas auf der Sandbank inmitten der Isar immerhin Minister Heubisch und Berater Roland Berger. Ludwig Wappner lässt Studenten der Uni Karlsruhe an einem alten Parkhaus im Zentrum die Aufgabe Konzertsaal üben. Man erinnert sich an die Vorschläge von drei Studenten der TU München, die bereits 2009 dem ehemaligen Kongresssaal des Deutschen Museums ein strahlendes Konzerthaus nach Hamburger Vorbild aufgepfropft hatten. Schließlich sieht sich auch die Architekturabteilung der Hochschule München aufgefordert, alle Schranken fallen zu lassen und befreit von möglichen Zwängen des Denkmal- oder Naturschutzes, dem Vorbild Dieterles nacheifernd, auf unbebaubarem Gelände alle Leuchturmprojekte dieser Welt durchzuspielen.
Nachdem sich der denkmalgeschützte ehemalige Kongresssaal (1928-35) beim Deutschen Museum als möglicher Standort in der öffentlichen Diskussion verfestigt, ist man mit »geeigneten« Vorschlägen schnell bei der Hand. Die einst verfeindeten Parteien Stadt und Freistaat sind sich überraschend einig in der Reaktion pro Abbruch und möglichst spektakulärem Neubau. »Ich würde diesem Nazibau keine Träne nachweinen«, meint Christian Ude nicht eben sachkundig. Der Chef der Denkmalpflege in Bayern Egon Greipl erhält kaum die Möglichkeit zur Gegenrede, obwohl mit dem Erweiterungsbau des Deutschen Museums ein wichtiges Bauwerk German Bestelmeyers den Krieg in München überlebte und mit Fug und Recht unter Denkmalschutz steht. Auch das Innere des ehemaligen Kongresssaals ist im Original erhalten und schützenswert, sodass ein schlichtes Einpassen eines neuen Saals in eine Denkmalhülle zu keiner tragbaren Lösung führen kann.
Da dem Deutschen Museum eine mächtige Runderneuerung – es geht um etwa 500 Mio. Euro – bevorsteht, denkt auch Direktor Wolfgang Heckl weniger an verbaute Entwicklungsmöglichkeiten, sondern nur an schnell realisierbare Synergieeffekte. Seine Idee, den dann perfekten Konzertsaal mittels technischer Finessen eben mal zum Kongresssaal umzufunktionieren, muss sämtliche Alarmglocken schrillen lassen. War doch schon am Gasteig das Mehrzweckkriterium Ursache allen weiteren Übels.
Würde nun endlich umgehend mit der Sanierung am Gasteig begonnen, man hätte nicht nur eine zukunftsfähige Lösung, sondern auch von Hamburgs Debakel mit der Elbphilharmonie gelernt.
Der Autor ist Architekt und als freier Fachautor in München tätig.
Aktuelles Heft
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de