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Inkompatibel

Qualifizierungsverfahren Universität und Paulinerkirche Leipzig
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Bemerkenswert rege erscheint das Interesse der Öffentlichkeit an dem Qualifizierungsverfahren, das sich der Neugestaltung der Leipziger Universität und ihrer ehemaligen Kirche widmet. Nach der abschließenden Juryentscheidung präsentierten die Auslober die Entwürfe an renommierter Stelle im Gewandhaus am Augustusplatz. Vor den Exponaten hatte man im Foyer ein Infotischchen installiert, an dem der Besucher seriöse Informationen zu erhalten glaubte. Er bekam ein Hochglanzblättchen und einen Reklamestift überreicht mit dem Slogan: Paulinerkirche jetzt!

Statt der erhofften Sachlichkeit also auch hier der Auftritt des Paulinervereins, der sich mit seinen missionarisch vorgetragenen Forderungen zur Kirchenrekonstruktion in Szene setzt. Bisher war die Beharrlichkeit von einem gewissen Erfolg gekrönt, wenngleich der vom Verein favorisierte Vorschlag, den Hans Kollhoff mit einem originalgetreuen Wiederaufbau der Kirche unterbreitete, bei der Jury in der ersten Phase durchfiel. Vier Teilnehmern gab man die Möglichkeit zur Ausarbeitung ihrer Entwürfe. Dabei fällt auf, dass die Rekonstruktionswünsche der Paulinerlobby nicht ohne Einfluss auf die Weiterarbeit geblieben sind.
Eine kurze Rekapitulation der Vorgeschichte: 2001 wurde nach intensiver Vorbereitung der Wettbewerb zur Neugestaltung des Universitätscampus durchgeführt. Als Gewinner gingen daraus die jungen münsteraner Architekten Behet Bondzio Lin hervor, deren Entwurf Tradition nicht als etwas Eingefrorenes, sondern Lebendiges versteht. Noch während des Wettbewerbs hatte der Paulinerverein mit seinem frisch gewählten Vorsitzenden Günter Blobel moniert, dass die Ausschreibung keine konkreten Vorgaben zum Wiederaufbau der 1968 gesprengten Universitätskirche enthalte. Nach der Entscheidung für den Entwurf von Behet Bondzio Lin wurde der Verein von der lokalen Presse so lanciert, dass die Entscheidungsträger sich gegen die Ausführung des Siegerbeitrags aussprachen. Daraufhin trat Universitätsrektor Bigl von seinem Amt zurück. Im Herbst 2003 erfolgte eine erneute Auslobung, zu der zehn Architekturbüros eingeladen wurden, unter ihnen auch die Preisträger Behet Bondzio Lin.
Für ihren neuen Entwurf erhielten die Münsteraner den dritten Preis, doch scheint das vormals stimmige Konzept durch die Berücksichtigung zu vieler, widersprüchlicher Ansprüche verunklart. Während die Baukörper von Kirche und Universität ursprünglich als ein Ensemble behandelt wurden, führte der Versuch einer konkreten Gestaltung der Kirche zu einer eher disparaten Gesamterscheinung. Anstelle der früheren feinen Zeichnung des Kirchenraums auf einer transluzenten Marmorhaut wird eine zwar gläserne, doch detaillierte Ansicht des neogotischen Giebels vorgeschlagen. Die Großform wirkt insgesamt unruhig und die Front behauptet sich nicht ausreichend am Augustusplatz.
Der zweitplatzierte Entwurf stellt die architektonische Idee in einer kompromisslosen Rationalität dar. Peter Kulka, der vor einigen Jahren erst die Fassade des ehemaligen Universitätshochhauses neu gestaltete, schlägt eine betont ruhige Form für die Platzfront vor. Die Silhouette der Universitätskirche manifestiert sich als abstrakter Körper, der als selbstverständliches Element der Gesamtanlage erscheint. Hinter der Glasfassade, die durch eine Zeichnung der Paulinerkirche die Historie adäquat einbezieht, erstreckt sich der großzügige Raum einer funktionalen Aula. Hier wird der Verzicht auf formalistische Detail-Applikationen formuliert, um Ausdruck und Klarheit der Architektur zu steigern. Kulka sucht mit seinem Entwurf eine Antwort, die Unwiederbringliches nicht durch bloßes, materielles Wiedererrichten dem heutigen Bürger als Scheinhistorie vorsetzt.
Der prämierte Beitrag Erick van Egeraats möchte es allen recht machen und setzte sich damit durch. Über einer frei nachempfundenen Kirchenfassade erhebt sich die Dachlandschaft als hohe expressive Skulptur, die sich bis über die Universitätsbauten erstreckt. Die Kirche erscheint als dominante Figur, aus der sich die angrenzenden Bauten als Seitenflügel entwickeln. Die deutliche Symbolik des zentralen Baukörpers lässt daher kaum auf einen Universitätsbau schließen. Außen vermeintlich modern und innen die Rekonstruktion der neogotischen Hallenkirche – dieses inkompatible Prinzip der Trennung von Innen und Außen wird von den Stadtvätern gelobt. Mit der äußeren Erscheinung fügt man sich dem Willen der Öffentlichkeit, die einer Rekonstruktion skeptisch gegenübersteht, während man im Innern die Interessen der Pauliner befriedigt. Proteste der Studentenschaft bleiben folgenlos, zumal sie in fünf Jahren durch eine andere Generation ersetzt sein wird. Die Hochschulleitung möchte 2009 den 600. Geburtstag der Universität in einem neuen Gebäude feiern und den gegenwärtigen Status hinter sich lassen. Dieser ist vor allem durch den Verfall jener Substanz der DDR-Moderne gekennzeichnet, deren geschichtliche Bedeutung wahre Tradition einzubeziehen hätte. Annette Menting
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