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»Heute schippen. Morgen shoppen«

Diskurs
»Heute schippen. Morgen shoppen«

Jedes neue Immobilienprojekt braucht heute eine »Story« für das Marketing – kurze, einprägsame Sätzesind gefordert. Das mit dem

~Christian Marquart

Schippen und Shoppen haben wir als Kalauer im Gedächtnis behalten. Am Bauzaun steht jetzt nur noch: »Hier wächst das Gerber in die Höhe. Und Stuttgart weiter zusammen.« War hier eine Stadtbrache, die wir übersehen haben? Fast ein ganzer Häuserblock wurde abgerissen für ein neues Gebäude – der Block zur Parzelle. Einen Steinwurf entfernt die nächste Baustelle. Das Projekt »Caleido« ist gerade aus der Grube herausgewachsen. Die Story am Zaun ist auch kurz: »Work Life Balance«, heißt es, und »Arbeiten, Shoppen, Freizeit«. Verlockend. Verlockend? Wir gehen um die Zäune herum, hüpfen zwischen Autos von Verkehrsinsel zu Verkehrsinsel und lesen den Werbespruch, der die Triple-A-Lage des Projekts dramatisiert: »Sehen und gesehen werden – 260 000 Fahrzeuge pro Tag.« Toll! Wohnen, arbeiten, shoppen, Freizeit ganz zentral, mitten im Verkehr! »Raum für Weiterdenker« entstehe da, lesen wir. Die Krankenkasse im kläglich postmodernen Bürohaus gegenüber ist gerade umgezogen. Vielleicht fand die Belegschaft es nicht mehr chic, täglich von den Insassen der 260 000 vorbeirauschenden Autos gesehen zu werden.
Ein anderes Großprojekt in Stuttgarts City, das »Dorotheenquartier«, existiert derzeit erst als (überarbeiteter) Entwurf des Büros Behnisch. Von einem überregionalen Blatt wurde es als neuer Versuch nach »Stuttgart 21« abqualifiziert, das Stadtbild zu ruinieren. Empathie und Emphase des Frankfurter Kritikers sind erfreulich; aber vielleicht hätte er seine Argumente besser an aktuelle Projekte adressiert, welche die Reflexe der Immobilienwirtschaft und ihre oft unterkomplexen »Konzepte« drastischer repräsentieren als das »Dorotheen«-Projekt, das durch einen Bestandsbau mit NS-Geschichte historisch »kontaminiert« ist (s. db 6/2010, S. 3).
Um das Storytelling im Immobilienmarketing steht es nicht gut. Die »Claims« der Investoren erweisen sich oft als semantische Stolperfallen, wenn gebaute Realität mit Werbe-Lyrik kollidiert. Betriebswirtschaftliche Logik ist in diesem Marktsegment die dominierende Kraft. Planer, Städtebauer, Architekten, die Bürger haben geringere Chancen als das Investkapital, die Spielregeln der Stadtentwicklung mitzubestimmen. Das ist bekannt. Weil wir uns aber mit Gründen, die immer besser werden, weil sie Nachhaltigkeit versprechen, nicht vom Leitbild der lebendigen, dichten, urbanen Stadt mit ihrer einstigen Vielfalt verabschieden wollen, wird diese Asymmetrie der Kräfteverhältnisse immer ärgerlicher. Projektentwickler und Kapitalgesellschaften, die großmaßstäblich in städtische Immobilien investieren, haben dazugelernt, schneller als die Bauverwaltungen. Sie veranstalten Wettbewerbe, beauftragen gute Architekten, errichten Informationsbüros und Aussichtsplattformen über den Baugruben. Sie versprechen »Urbanität«, aber die Parzellen ihrer Bauprojekte werden immer noch größer; die simulierte »Vielfalt« der architektonischen Gesten dagegen fragwürdiger; die Nutzungsstrukturen der Großprojekte gleichförmiger. Ein gebäudetechnisches Öko-Siegel und ein halbes Dutzend Wohnungen »mit Loft-Charakter« über einem dicken Klops aus Einzelhandel mit Kettenläden, Systemgastronomie und Büros für »Weiterdenker« in zentraler Lage – ist das wirklich alles, was wir nach vier Jahrzehnten Diskussion über die Unwirtlichkeit der Städte und deren Überwindung erreicht haben?
Warum werden kleinteilige Strukturen in der Stadt von Investoren immer nur als ärgerliches Hindernis wahrgenommen? Warum sind Abriss und Neubau rentabler als die Ertüchtigung und Umnutzung alter Bürobauten, für die es als solche keinen Markt mehr gibt? Wenn irgendwo mal ein Verwaltungsgebäude der 60er Jahre in ein manierliches Wohngebäude verwandelt wird, feiern Fachgazetten dies als glückliche Fügung. Dabei könnten die Finanzminister mit revidierten Gesetzen und Verordnungen dafür sorgen, solche Konversionsstrategien rentierlich zu machen. Auch das Baugesetzbuch hält Steuerungsinstrumente bereit, die in der Behördenpraxis nicht energisch genug durchgesetzt werden.
Die Immobilienwirtschaft ist nicht auf den Büromarkt und den Einzelhandel fixiert. Aber sie nutzt wie andere Wirtschaftszweige auch »Skaleneffekte«, um Kosten zu mindern und Renditen zu erhöhen. »Größe« ist das Zauberwort: Die Produktion eines Wirtschaftsguts wird mit größeren Stückzahlen bzw. bei wachsendem Produktionsvolumen günstiger. Dieser Mechanismus zeichnet sich natürlich auch im Bild der Städte ab, erklärt uns Johann Jessen, Professor für Orts- und Regionalplanung an der Universität Stuttgart; der Trend zu größeren Einheiten und dichteren Strukturen in der Stadt sei deshalb nur schwer zu durchbrechen. Es käme also darauf an, die Spielregeln für die Konversion von Bestandsbauten und für die Errichtung und den Betrieb von »Mixed-Use-Immobilien« (so heißt das heute!) ein wenig zu modifizieren. Johann Jessen favorisiert das systemverträgliche Prinzip der Mischkalkulation: hochrentable Nutzungen könnten weniger einträgliche quersubventionieren – eben zugunsten städtischer Strukturen, die wir nun mal als »urban« verstehen. Voraussetzung für solche Strategien der Planung wäre, so Jessen, eine vorausschauende Bodenvorratspolitik der Kommunen – wenn sie denn dafür finanziell gerüstet sind.
Ohne politischen Willen, das nach wie vor attraktive Leitbild urbaner Vielfalt, Dichte und Lebendigkeit durchzusetzen – endlich durchzusetzen –, geht es also nicht. Auch nicht ohne Geduld. Aber dieser Einsatz würde sich lohnen.
Der Autor ist freier Publizist und Herausgeber der Zeitschrift »Kultur«; des Weiteren Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Er lebt in Stuttgart.
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