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Hauptsache repräsentativ: Luxuswohnen im Nazi-Bau

Diskurs
Hauptsache repräsentativ: Luxuswohnen im Nazi-Bau

Solle niemand sagen, die Hamburger kümmerten sich nicht um ihr bauliches Erbe: Die Speicherstadt

~Claas Gefroi

soll Unesco-Weltkulturerbe werden, Michel und St. Katharinen sind vorbildlich saniert und das historische Gängeviertel wird nicht abgerissen sondern instand gesetzt. Bei weniger wohlgelittenen Denkmälern hält sich das Interesse freilich in überschaubaren Grenzen. Für den Erhalt von Bauten beispielsweise der Nachkriegsmoderne oder gar aus nationalsozialistischer Zeit setzen sich nur einige Fachleute ein – in der Regel mit wenig Erfolg. Ein ums andere Mal werden bauliche Zeugen dieser Zeiten abgerissen oder entstellt – und niemanden, ob in Politik, Verwaltung oder Presse kümmert es. Selbst massive Kritik von außen richtet nichts gegen die Ignoranz und das Desinteresse aus.
Jüngstes Beispiel ist das Schicksal des wichtigsten Hamburger Baudenkmals aus dem Nationalsozialismus: des Generalkommando des X. Armeekorps der Architekten Distel & Grubitz (mit Heeresbauamt II sowie Regierungsbaumeister Stubenrauch). Der Architekturkritiker Gerhard Matzig machte jüngst in der Süddeutschen Zeitung publik, wie still und leise an dessen Totalumbau und damit weitgehender Vernichtung gearbeitet wird. 1937 fiel der monumentale Wehrmachtsbau brachial in das kleinteilige, feine Villenviertel Harvestehude links der Außenalster ein und sprengte dort jeden Maßstab. Die Dreiflügelanlage mit ihren Muschelkalkfronten, dem von wuchtigen Pfeilern gegliederten Mittelteil und der stoischen Gliederung ist ein in Hamburg sonst nirgends anzutreffendes Beispiel für die reduziert-klassizistische Herrschaftsarchitektur der NS-Zeit. Doch nicht nur bauhistorisch, auch zeitgeschichtlich war das Gebäude von Bedeutung: Von hier aus wurden die Invasion Englands und die Besetzung Norwegens geplant.
Nach dem Kriege bezog der britische Geheimdienst hier Quartier, bis schließlich die Bundeswehr das graue Gemäuer viele Jahre als Standortverwaltung nutzte. Als sie es aufgab, veräußerte der Bund das weitläufige Grundstück mitsamt der Immobilie in einem Höchstgebotsverfahren an den Projektentwickler Frankonia; 2003 fertigten MRLV Architekten ein städtebauliches Gutachten an, das 2006 die Grundlage für einen Realisierungswettbewerb für die insgesamt fünf Teilflächen (inklusive des Wehrmachts-Gebäudes) bildete. Der damalige Baudezernent des Bezirks Eimsbüttel Reinhard Buff schildert freimütig, dass die teilweise prominenten, in jedem Falle aber über großen Einfluss verfügenden Anwohner angesichts von Umnutzung und Neubebauung des Militärareals zusätzlichen Verkehr und damit um die Ruhe in ihrem noblen Viertel fürchteten und deshalb öffentlich und nichtöffentlich immensen Druck auf Politik und Verwaltung ausübten. Sie verhinderten so die für das Baudenkmal bekömmlichste Nutzung als Verwaltungs-, Hochschul- oder Schulgebäude.
Stattdessen wurde ein exklusives Wohnquartier mit Parkvillen und Stadthäusern geplant – mit der Konsequenz, dass auch die alte Kommandantur nach Plänen von KSG Architekten für 105 Luxuswohnungen mit (von Karl Lagerfeld gestalteter Lobby, Club-Lounge und einem Spa) umgebaut wird. Der soeben pensionierte Leiter des Denkmalschutzamts Frank P. Hesse hält eine solche, mit Geist und Struktur des Gebäudes nicht zu vereinbarende Konversion für »absoluten Schwachsinn«, den er aber gleichwohl nicht verhindern konnte. Für den Entwurf von KSG habe er im Preisgericht dennoch gestimmt, weil dieser noch am ehesten das Denkmal geschont habe. So wurde ein Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende der fast vollständige Verlust dieses in Hamburg einzigartigen Baudokuments steht. Damit die »Palaiswohnungen« und »Panorama-Penthouses« großzügig und lichtdurchflutet erscheinen, wird die Südfassade für eine Glashaut mit vorgesetzten Balkonen und Terrassen abgerissen. An den Seitenfassaden werden Balkone angebracht und das Dach wird für Fensteröffnungen aufgerissen. Ob der Denkmalschutz freiwillig all die Zugeständnisse machte, ist schwer nachvollziehbar – Matzig jedenfalls zitiert einen Denkmalschutzmitarbeiter, der von Drohungen, Einschüchterungen und politischem Druck spricht. Der eigentliche Todesstoß war jedoch die (spät gewonnene) Erkenntnis, dass die dünnen Deckenplatten keinen ausreichenden Schallschutz für die Bewohner böten, weshalb das Innere völlig neu aufgebaut werden müsse. Erhalten bleiben Haupttreppenhaus und Vorderfassade. Die Frankonia nennt das eine »behutsame Sanierung«.
Besonders abstoßend ist bei alledem, wie Geschichte umgedeutet wird. Zwar behauptet die Frankonia, sie würde auf die Vergangenheit hinweisen, doch bereits der Name »Sophienpalais« ist ein Euphemismus sondergleichen. Um Kaufinteressenten nicht abzuschrecken, lässt man in den Werbetexten die nationalsozialistische Vergangenheit außer Acht und bezeichnet das Gebäude als »denkmalgeschützte Bundeswehr-Kommandantur«, und aus der Herrschaftsarchitektur von einst wird ein »herrschaftliches Gebäude«, als wäre dies ein ehemaliger Adelssitz. Noch nicht einmal eine Dokumentation wird – in Berlin und anderswo selbstverständlich bei Gebäuden dieses Kalibers – an die Geschichte des Hauses erinnern. Wer meint, die giftigen Kommentare in überregionalen Medien wie der Süddeutschen Zeitung oder dem Deutschlandradio führten nun in Hamburg zu einer breiten Diskussion, sieht sich getäuscht. Es herrscht Schweigen in Presse und Politik – nicht aus Kalkül, sondern schlichtweg aus Desinteresse. Ein oller, unsympathischer Nazibau taugt nicht als Streitobjekt. Vielmehr freut man sich, so scheint es, dass die wenigen dunklen Flecken im Antlitz der »schönsten Stadt der Welt« bald verschwunden sind.
Der Autor ist u. a. als Architekturkritiker sowie Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hamburgischen Architektenkammer tätig.
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