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Hamburger Bürgersinn

Diskurs
Hamburger Bürgersinn

Nachdem wir im letzten Jahr den Bogen von Nord nach Süd gespannt haben und jeweils die Galerieszene von Berlin und München beleuchteten, richten wir nun den Blick auf Hamburg und darauf, wie in der vitalen Elbmetropole Architekturthemen vermittelt und in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden. Politik und Lokalpresse üben sich dabei in vornehmer Zurückhaltung – unabhängige Instanzen und private Initiativen versuchen nach Kräften, diese Lücke zu schließen.

~Claas Gefroi

Als Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee auf einem Empfang im hiesigen Rathaus Hamburg als die deutsche Architekturmetropole bezeichnete, musste man dahinter die bei einer solchen Veranstaltung übliche Höflichkeitsfloskel vermuten. Das dazugehörige Augenzwinkern übersah das Publikum geflissentlich, bestätigte das Kompliment doch die eigene Einschätzung: Die Zeiten, da man neidisch auf Berlin und seinen Bauboom in den neunziger Jahren schaute, sind endgültig passé; die Planungs- und Bautätigkeit in der Elbmetropole ist selbst in Zeiten der Wirtschaftskrise beeindruckend. Architektonische und städtebauliche Großprojekte wie die HafenCity oder die Kombination von Internationaler Bauausstellung (IBA 2013) und Internationaler Gartenschau (igs 2013) auf der Elbinsel in Wilhelmsburg/Veddel, aber auch Zukunftsszenarien wie die Verlagerung der Hamburger Universität auf den Kleinen Grasbrook im Freihafen oder die Weiterentwicklung Altonas auf riesigen brachliegenden Bahnflächen stehen stellvertretend für eine große Dynamik, die derzeit die Stadt prägt.
Doch überraschenderweise findet diese Geschäftigkeit keine Entsprechung in einem kontinuierlichen städtischen Dialog über Architektur und Stadtplanung. Die schiere Fülle der Aufgaben und Möglichkeiten (ver)führt zu hektischer Aktivität, die eine Debatte über die Ziele der Stadtentwicklung und den Sinn von Bauprojekten entbehrlich erscheinen lässt. Bezeichnend ist, was der Leiter des Bezirksamts Mitte anlässlich der Vorstellung eines weiteren Bauprojekts auf dem Kiez von St. Pauli der Bild-Zeitung sagte: »Warum nicht mal ausführlich planen und sinnvoll umsetzen, als nachher wieder einen hässlichen Glasklotz ohne Verwendung irgendwo stehen zu haben?«
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine funktionierende Baukultur ist die unabhängige, kenntnisreiche, aber allgemein verständliche Darstellung von Architektur und Stadtplanung in der Presse. Doch obgleich Hamburg eine bedeutende Pressestadt ist, bleibt das Niveau der Berichterstattung und Diskussion über diese Themen in den dominierenden Lokalblättern weit unter dem Niveau von Frankfurt oder Berlin. Dies ist umso bedauerlicher, als die rasanten Veränderungen Fragen aufwerfen und viele Bürger verunsichern.
Die Rolle der Stadt
War früher die Stadtentwicklungsbehörde mit ihren Bauforen und Workshops ein starker Katalysator von Diskussionen, so kam von dieser Seite in den letzten Jahren zu wenig Engagement. Populismus ersetzte manches Mal Bürgernähe. So initiierte die Behörde eine Reihe von Internetdiskussionsforen zu ausgewählten Stadtentwicklungs- und Bauprojekten (»Living Bridge«, »Domplatz«, Komplettumzug der Universität auf die Elbinsel). Doch wie zu erwarten war, nahm vorwiegend die Fachwelt dieses Dialogangebot an; für die meisten Bürger ist diese Form der Online-Demokratie zu kompliziert und zeitraubend. Auch die Verknüpfung mit Online-Abstimmungen und deren politische Instrumentalisierung bleibt fragwürdig. Richtungweisend hingegen erscheint, wie die Internationale Bauausstellung (IBA Hamburg 2013) sich ins Spiel bringt. Diese »IBA neuen Typs« möchte mehr sein als eine Architekturausstellung. Sie will nach eigener Aussage »gesellschaftliche Entwürfe zur Diskussion stellen und Antworten geben auf soziale Probleme nicht nur in der Gestaltung von Gebäuden, sondern auch in neuen Formen der Aneignung städtischer Räume«. Dafür wurde eine Reihe von Dialogforen etabliert: Orte des experimentellen Denkens sind die vornehmlich für das Fachpublikum interessanten »IBA-Labore«, die regelmäßig zu allen Themen veranstaltet werden, die für die Elbinsel mit den wirtschaftlich und sozial benachteiligten Stadtteilen Wilhelmsburg und Veddel von Bedeutung sind: Von »interkulturellen öffentlichen Räumen« über die »Klimafolgenmanagement« bis zu »Kreativen Ökonomien« reicht das Spektrum der mehrtägigen Veranstaltungen, die jeweils aus einer Konferenz und einem anschließenden Workshop bestehen.
Mit Werkstattgesprächen, den sogenannten »Bürgerdialogen«, wendet sich die IBA auch an die Elbinsel-Bewohner selbst, um sie an den Planungsprozessen zu beteiligen. Damit versucht die IBA etwas für Hamburg gänzlich Neues: Veränderungen im Konsens und unter Mitwirkung der betroffenen Bürger. Die neue grüne Stadtentwicklungssenatorin unterstützt augenscheinlich diesen Prozess und nimmt daran aktiv teil.
Hamburger Bürgersinn: Mach es selbst
Da Presse und Politik die wichtigen Fragen nur unzureichend wahrnehmen und aufgreifen, wird der Meinungsbildungsprozess eher durch privates Engagement forciert. Zahlreiche Gruppen und Initiativen haben Themen gesetzt und konkrete Veränderungen bewirkt, vorzugsweise in Stadtteilen mit einer künstlerischen Subkultur. Als Beispiele seien nur die Initiative Park Fiction genannt (Verhinderung eines Bürogebäudes an der Hafenkante und Bau eines Parks) oder der aktuelle Dokumentarfilm »Empire St. Pauli« über Gentrification-Prozesse in Hamburgs ärmsten Stadtteil. Es sind solche Eigeninitiativen von Architekten, Künstlern und interessierten Laien, die Anstöße liefern und den Diskurs in Gang halten. Finanzielle Unterstützung durch die Stadt finden sie zumeist nicht, und so ist jeder Veranstalter selbst in der Pflicht, Sponsoren und Mäzene für seine Vorhaben zu finden. Das hat Tradition in einer Stadt, in der, wie der stets magere Kulturetat offenbart, noch immer die Pfeffersackmentalität vorherrscht – doch werden so immerhin die Abhängigkeiten und Verstrickungen des üblichen kulturellen Subventionsbetriebs vermieden. Wozu privates Engagement fähig ist, zeigt alle drei Jahre der Hamburger Architektur Sommer, der auf eine Initiative von Architekten, Galeristen und Museumsleuten zurückgeht. Zwar unterstützt die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt diese Architekturtriennale finanziell, doch ohne den privaten Verein als Initiator, Sponsoren als ›
› Finanziers und der hiesigen Architektenkammer als Organisator gäbe es diesen Großevent nicht. 2009 wird der sechste Architektursommer mit 230 Veranstaltungen von Juni bis September die Stadt in ein deutschlandweit einzigartiges Architekturmekka verwandeln.
dritter Versuch: Architekturgalerie
Dies kann nicht überdecken, dass seit Jahren eine angemessene Infrastruktur von Architekturgalerien oder Baukultur-Institutionen fehlt, die als reflexive Ebene fungieren könnten.
So gibt es schon seit längerer Zeit keinen permanenten Ort mehr für Ausstellungen und Diskussionen über Architektur. Die Galerie Renate Kammer am Münzplatz zeigt zwar seit vielen Jahren auch Architekturausstellungen, ist aber vom Ansatz her eine Kunstgalerie. Der »salon blauraum« von blauraum architekten, in dem kleine Ausstellungen von interessanten jungen Architekturbüros aus ganz Europa gezeigt wurden, ist schon lange Vergangenheit. Ein weiterer Treffpunkt, das Institute for Cultural Policy (ICP), schloss trotz oder wegen seines ambitionierten Programms aufgrund mangelnden Publikumsinteresses recht schnell wieder seine Pforten. Beiden Galerien war gemein, dass sie sich weniger an die Allgemeinheit denn an das Fachpublikum wandten – die Szene blieb unter sich. Doch Rettung naht nun ausgerechnet aus dem Schwabenland: Dieser Tage eröffnet der AIT Architektursalon Hamburg (Bei den Mühren 70). Er wird betrieben von einem Tochterunternehmen der Fachzeitschrift AIT. Man kann den Machern nur einen langen Atem wünschen für ihr Ziel, eine »Architekturgalerie für die permanente Auseinandersetzung mit Gestaltungsfragen« dauerhaft in Hamburg zu etablieren. Auffällig ist die Zurückhaltung der großen Hamburger Museen: Mit Ausnahme des hamburgmuseums zeigen sie seit Jahren keine größeren Architekturausstellungen mehr. Dies hängt vor allem zusammen mit einer von der Politik erzwungenen Reduktion ihres Ausstellungsspektrums auf das, was man heute Kernkompetenzen nennt: Kunst, Fotografie, Handwerk und so weiter. Wer jedoch eine kleine Landpartie nicht scheut, findet immer wieder gute Architekturausstellungen im Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe – diesen Sommer beispielsweise eine Schau zum Moscheenbau in Deutschland.
Öffentliche Wohnzimmer / Ideenlabore
Ein für Hamburger Verhältnisse überaus lebendiger, manchmal geradezu turbulenter Ort war bis vor Kurzem das Kultwerk West, das selbsternannte »öffentliche Wohnzimmer Altonas«. Als Zwischennutzer einer großen Ladenfläche in der zum Sanierungsfall geratenen Fußgängerzone Große Bergstraße lockte das Kultwerk-Team mit interdisziplinären Diskussionen zu heißen Themen wie Gentrification oder Kommerzialisierung des städtischen Raums, die sonst niemand anfassen wollte. Dabei gelang es trotz kleinen Etats, Koryphäen wie Jens Dangschat oder Dieter Läpple aufs Podium zu holen. Leider stehen die Räumlichkeiten nicht mehr zur Verfügung und die Betreiber müssen sich einen neuen Ort suchen. Eine der letzten Veranstaltungen vor der Schließung war der Workshop »Better Cities – Entwerfen Sie das Hamburg von morgen«, bei der sich jedermann, nicht nur die Fachwelt, an einem »Zukunftsideen-Speeddating« mit eigenen Ideen beteiligen konnte. Die Idee stammt von »Nexthamburg«, einem »offenen und unabhängigen Zukunftslabor für die Stadt von morgen«, das von einem Team um den Stadtplaner Julian Petrin vor allem über das Internet betrieben wird. Mit welcher Durchschlagskraft, muss sich noch erweisen.
Unabhängige Instanzen
Die Hamburgische Architektenkammer (HAK) ist mit zahlreichen Veranstaltungen und Veröffentlichungen eine treibende Kraft des Architekturdiskurses. Architekten-Werkberichte, Ausstellungen, Exkursionen, Konferenzen, aber auch Diskussionen zu aktuellen Themen gehören zum festen Programm. Als einzige deutsche Architektenkammer gibt sie zudem bereits seit zwanzig Jahren ein von einer unabhängigen Redaktion konzipiertes Architektur-Jahrbuch heraus, das nicht nur alle wichtigen Neubauten kritisch unter die Lupe nimmt, sondern mit seinen Texten zur Hamburger Baugeschichte, zur Stadtentwicklung und vielen aktuellen Themen alljährlich viel Diskussionsstoff liefert. Dabei scheuen Redaktion und Autoren im Einzelfall nicht den Konflikt mit Politik und Verwaltung, wenn es darum geht, Missstände zu benennen oder unangenehme Fragen zu stellen. Zusätzlich ist die Kammer als Betreiber des bundesweit einzigartigen Hamburgischen Architekturarchivs und als Herausgeber der dazugehörigen »Schriftenreihe« seit Jahrzehnten um die Sammlung, Aufarbeitung und Veröffentlichung von Materialien zur Hamburger Baugeschichte bemüht. Auch der Hamburger BDA ist Teil der lokalen Architekturszene. Viele seiner Vorträge und Diskussionen finden jedoch hinter verschlossenen Türen statt. So auch der nur Mitgliedern sowie handverlesenen Gästen offen stehende »Architektur Club«, in dem »gesellschaftliche Bedeutungsträger« aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft Vorträge halten und mit dem Publikum diskutieren.
Die vor einigen Jahren aus der Zusammenlegung mehrerer Studiengänge verschiedener Hochschulen entstandene und noch heute auf mehrere Standorte verteilte »HafenCity Universität – Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung« wendet sich mit Vortragsreihen zu allen Aspekten des Planens und Bauens nicht nur an die Studierenden sondern auch an die interessierte Fachöffentlichkeit. Was der Hochschule derzeit fehlt, ist ein zentraler Veranstaltungs- und Ausstellungsort. Vom 16. bis zum 22. Juli zeigen die Studenten ihre Arbeiten auf der diesjährigen Jahresausstellung (Zentrum für Projektarbeit, Averhoffstraße 38).
Und noch eine weitere Schule macht auf sich aufmerksam: Die aac – Academy for Architectural Culture, gegründet von Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg als erste deutsche Privatlehranstalt für Architektur, bietet parallel zum Lehrbetrieb auch öffentliche Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen mit bekannten Architekten und Stadtplanern an.
Einen guten Überblick über das Baugeschehen bietet das eindrucksvolle und laufend aktualisierte »Stadtmodell«, ein über hundert Quadratmeter großes Holzmodell der Hamburger Innenstadt im Maßstab 1:500 (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Wexstraße 7).
Wenn man sieht, wie schnell in diesem Modell alte Klötzchen verschwinden und neue implantiert werden, wie sich Stadtteile binnen weniger Jahre komplett verändern, kann man sich nur einen starken und breiten Architekturdiskurs wünschen, bei dem die Planer nicht unter sich bleiben. Dafür in der Verantwortung stehen viele: Politik, Verwaltung, Presse, Kulturinstitutionen, aber auch die Architekten selbst. Die Themen liegen, besser: stehen auf der Straße.
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