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Geschichtscollage im Freien

Betonzeitschiene – ein Freiluftmuseum für den Plattenbau in Dresden
Geschichtscollage im Freien

Das kürzlich mit einer Lichtinstallation des irischen Architekten Ruari O`Brian eröffnete Freiluftmuseum für den Plattenbau ist kein Museum im üblichen Sinne. Neben dem Erich Kästner Museum in der Villa Augustin, ebenfalls in Dresden (db11/02), ist dies nun sein zweites Micromuseums-Projekt. Diesmal »begnügt« er sich mit einem schmalen Grundstück von 1500 qm. Das Gelände in der Johannstadt wird auf der einen Seite durch die alte Mauer des Trinitasfriedhofs begrenzt, auf der anderen Seite stellen Hochhäuser und Wohnblöcke in Großplattenbauweise eine gigantische Kulisse im Maßstab 1 : 1 dar.

Alles begann mit dem Ende eines Plattenwerks. Zusammen mit der Interessengemeinschaft Platte konnte O`Brian zwar den Abriss nicht mehr verhindern, jedoch noch einiges retten: das Pförtnerhäuschen, eine Werkslampe, das Kiessilo und etwa 50 Tonnen Baumaterial: Ziegelsplitt, Stahlrahmen, Bewehrungsmatten, bunte Fliesen, Außenwandplatten und Formsteine. Der neue Grundstückseigentümer erklärte sich bereit, einen winzigen Streifen von 100 m Länge und 15 m Breite des ehemals 70 ha großen Werksgeländes den Museumsmachern zur Verfügung zu stellen.
So konnte O`Brian das Konzept des Mikromuseums erstmals in ein Freilichtmuseum umsetzen. Das Konzept bedeutet, keine vollständige Sammlung zu einem Thema oder einer Epoche anzulegen oder chronologisch zu präsentieren. Es soll dagegen wie eine Datenbank funktionieren, in der man sich aus dem Puzzle an Informationen sein eigenes Bild zusammenträgt, so wie im Erich Kästner Museum: Von O` Brian entworfene Schrankmöbel gruppieren sich um einen Multimediakern. Der Besucher zieht Schubladen mit verschiedenen Inhalten auf und stellt sich auf diese Weise sein sehr persönliches Kästnerbild zusammen.
Ähnlich funktioniert es im neuen Freiluftmuseum: ein zickzackartiger Weg aus Platten gelegt, die mit Jahreszahlen versehen sind, führt durch den schmalen Geländestreifen, vorbei an mehreren historischen Stationen. Diese erkennt man an den dreieckigen Holzrahmen auf ehemaligen Betonprüfsteinen des Plattenwerks, gefüllt mit Fundstücken und Fragmenten aus dem Grundstück. Der Weg endet schließlich an dem ausgedienten Schüttgutsilo, in dem die verschiedenen Sand- und Kiessorten aufbewahrt wurden. Dahinter wuchert der »Einheitsgarten«, ein nach der Wende wild gewachsenes Gehölz, als Sinnbild für die überwuchernde Natur. Memory-Säulen aus Beton erläutern mit kurzen Textbeiträgen die einzelnen Stationen. In der Mitte des schmalen Grundstückstreifens steht das einzige dreidimensionale Objekt, das Pförtnerhäuschen, das mit einfachen Mittel wiederhergestellt ist und als Medienzentrum einmal ausgebaut werden soll.
Beeindruckend sind die Produktionsfragmente. Das VEB Werk Johannstadt produzierte von 1958 – 91 ohne Unterbrechung vor allem Außenwandplatten und hatte für Dresden besondere Bedeutung. Als eines der ersten Plattenwerke der DDR recycelte es am Anfang die riesigen Trümmerberge, die sich nach dem Krieg angehäuft hatten: Der Ziegel wurde zu Split gemahlen, mit Beton gemischt und anschließend zu Blocksteinen und Platten gepresst. So stand das Plattenwerk als Sinnbild einer Epoche: von der Trümmerberäumung bis zum industriellen Bauen.
Übereinander gestapelt liegen jetzt die Reste aus verschiedenen Produktionsphasen mit so karg klingenden Kürzeln wie »WBS 70« (Wohnbauserie 70) oder »WHH 15« (Wohnhochhaus 15; 15 gibt die Anzahl der Stockwerke an). Übereinander gestapelt liegt hier auch ein Stück Utopie einer ganzen Generation im Osten und erzählt Geschichten, vom Glauben an das industrielle Bauen, vom neuen sozialistischen Menschen, vom fast schon tragischen Versuch, die zunehmende Monotonie der »Arbeiterschließfächer« oder des »Wohnklo mit Kochnische«, wie die Platte auch kritisch genannt wurde, mit bunten Kacheln auf der Außenwand aufzubrechen.
Was bedeutet nun ein solcher Ort für eine Stadt mit so berühmten Bauten wie die Frauenkirche und ebenso bekannten Museen? Ruari O`Brian, dem Architekt, Generalist und Künstler ist es zum zweiten Mal gelungen, in Dresden ein Stück vergessene oder auch verdrängte Geschichte wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Mit dem Low-Budget-Projekt zeigt er eindrucksvoll, wie Ressource schonend, recycelnd, mit Engagement und Eigeninitiative Stadtkultur mitgestaltet werden kann. Mehr noch als in einem wohl sortierten Museum regt der temporär gestaltete Ort gerade durch die Vielschichtigkeit und die Brüche, die auf diesem winzigen Grundstück »lasten« zum Nachdenken an. Zu wünschen ist, dass von hier Initialzündungen ausgehen, die Industrialisierung des Bauens und die Bauten der Ostmoderne als Teil von Dresden neu wahrzunehmen. Sibylle Becker-Kilian
Sibylle Becker-Kilian arbeitet als Architektin im Büro Kilianarchitekten in Dresden und ist freie Autorin.
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