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Für die Entkafkaeskierung des behördlichen Bauwesens

Diskurs
Für die Entkafkaeskierung des behördlichen Bauwesens

Es gibt Zusammenhänge, die treiben einem die Zornesröte ins Gesicht. Weil sie so offensichtlich unsinnig sind und offenbar kein Kraut dagegen gewachsen ist.

~Falk Jaeger

Diejenigen, die ein primäres Interesse an Änderungen hätten, stehen ohnmächtig den Verhältnissen gegenüber und diejenigen, die die Macht hätten, tun nichts, weil sie es gewohnt sind, defensive Entscheidungen zu treffen und von einer Wendung ins Positive nicht direkt und persönlich profitieren würden.
Die Rede ist vom Vergabewesen für Bauleistungen. Jeder Architekt kennt Baufirmen, mit denen sich gut zusammenarbeiten lässt. Solche Firmen zu beauftragen, zahlt sich aus, was das termin- und kostengerechte Bauen betrifft. Doch den Auftrag bekommt ein anderer, nämlich jener, der auf die obligatorische Ausschreibung das billigste Angebot abgegeben hat. Spielräume bei der Vergabe gibt es kaum. Gleiches gilt analog für alle anderen Leistungen im Bauprozess.
Das Problem ist so alt wie das Ausschreibungswesen und deshalb allbekannt: Es gibt immer Firmen, die gerade Kapazitäten frei haben, ums Überleben kämpfen oder aus geschicktem Kalkül oder sonstigen Gründen zu Dumpingmargen anbieten. Die »Tendenz zum unauskömmlichen Preis«, wie das der Berliner Architekt Eike Becker kürzlich in einem Kommentar in der Zeitschrift »Immobilienwirtschaft« genannt hat, ist diesem System immanent. Die Folge ist so logisch wie unausweichlich. Es gibt so gut wie kein größeres Bauvorhaben mehr, bei dessen Realisierung nicht mindestens eine Firma in die Insolvenz geht. Mit entsprechenden Konsequenzen für das Projekt natürlich, mit Kostensteigerungen und Bauverzögerungen. Das betrifft v. a. öffentliche Bauvorhaben, die »ohne Ausnahme eine Schleifspur an Insolvenzen hinter sich herziehen«, so der Inhaber eines namhaften, international agierenden Architekturbüros, der zahllose haarstäubende Geschichten zu diesem Thema zu erzählen hat.
Die unauskömmlichen Preise, die durch die Ausschreibungsverfahren zustande kommen, sind ein Faktor, die skandalös zu nennenden Praktiken der Öffentlichen Hand der zweite. Zahlungsverzug, Nachforderungen ohne Augenmaß, Abwälzen von Verantwortlichkeiten auf Unbeteiligte (denen es natürlich offen steht, sich juristisch zu wehren – wenn sie den langen Atem haben) treibt viele am Bau Beteiligten in den Ruin. Verzögerungen gehen immer zulasten der Planer und Firmen, die Personal vorhalten müssen, was ihnen niemand vergütet.
Bauämter sind mit sicheren Planstellen besetzt; die Beamten haben jede Zeit der Welt, die Auftragnehmer zu kujonieren – und das tun sie denn auch, manchmal mit Lust, so der Eindruck. Auf Behördenseite herrscht das Prinzip der defensiven Entscheidung. Jeder entscheidet so, dass es ihm persönlich nicht schadet. Es geht ihm um seine Position, nicht um die Sache. Sich abzusichern, genießt höchste Priorität. So sind die Entscheidungsstrukturen zwischen freier Wirtschaft und Behörden prinzipiell inkompatibel.
Wenn sich die freie Wirtschaft ebenso absichert, bekommt die Termin- und Kostenspirale weiteren Antrieb. Geschickte Firmen steigen mit niedrigen Preisen ein und werfen ihr »Nachtragsmanagement« an. Da hierzu höchster juristischer Sachverstand vonnöten ist, steigert sich der Aufwand für Dokumentation und Schriftverkehr bei allen Beteiligten ins Unermessliche und viel Kommunikation läuft über die Schreibtische von Anwälten. Es ergibt sich der merkwürdige Effekt der Angleichung der Risikovermeidungsstrategien, der Bürokratisierung der Wirtschaft. Die Wirtschaft, prinzipiell auf Effektivität, d. h. auf Minimierung von Aufwand und Komplikationen getrimmt, sieht sich gezwungen, das Prinzip der aktiven, risikofreudigen, erfolgversprechenden Entscheidungen durch das juristenlastige passive Entscheidungsprinzip zu ersetzen.
Die Risikovermeidungsstrategie zieht auch veränderte Geschäftsmodelle nach sich. So delegieren Firmen Teil- und Unteraufträge und damit Verantwortlichkeiten an ganze Kaskaden von Unterauftragnehmern. Die Bauleistungsaufträge werden atomisiert, das Controlling wird immer aufwendiger, die Qualität sinkt, und Kleinfirmen begeben sich ihrerseits in einen ruinösen Wettbewerb und gehen reihenweise in den Konkurs – persönliche Katastrophen im Kleinen, aber Kollateralschäden, die niemanden groß aufregen.
Was tun? Gibt es, für das Ausschreibungswesen wenigstens, die geniale Lösung, wie sie aus der Schweiz berichtet wird? Dass nämlich nicht der günstigste, sondern der zweitgünstigste Anbieter den Zuschlag bekommt? Die simple Lösung hätte den Charme, dass sie sich auf allen Ebenen auch ganz (oder sagen wir: verhältnismäßig) einfach verwirklichen ließe. Dann endlich hätten unauskömmliche Dumpingangebote keinen Sinn. Es würde sich ein realistisches Preisniveau einpegeln, es gäbe weniger Insolvenzen, weniger Verzögerungen, weniger Ärger, weniger skandalöse Baukostensteigerungen, weniger Juristerei, das Bauen wäre wieder eine Lust …
Und dann könnte man die nächsten Aufgaben angehen, die Reformierung und Qualifizierung (Entkafkaeskierung) der öffentlichen Bauverwaltungen, die Entschlackung und Vereinheitlichung der länderspezifischen Vorschriften usw. Es gibt viel zu tun, meine Damen und Herren Bauminister in Bund und Ländern. Tun Sie sich zusammen (erste Hürde), lernen Sie aus den Baudesastern der jüngsten Zeit (zweite Hürde) und betrachten Sie die (Bau-)Welt mal nicht aus der Ecke der Politiker, Juristen, Kameralisten, sondern aus der Perspektive der Wertschöpfenden.
Der Autor ist apl. Professor für Architekturtheorie der TU Dresden und lebt als Publizist und freier Architekturkritiker in Berlin.
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