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Franco Stella – Versuch einer Annäherung

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Franco Stella – Versuch einer Annäherung

Die Entscheidung für das Humboldt-Forum ist gefallen, der »unbekannte Architekt« Franco Stella längst kein Unbekannter mehr, die Kommentare sind geschrieben – und glücklich mit der Wahl ist kaum einer; außer Stella und, von Amts wegen, Bundesbauminister Tiefensee. Eine Reise nach Vicenza sollte ein wenig mehr Klarheit bringen über das, was, nicht immer schmeichel- und vorteilhaft, über und von Stella zu hören und zu lesen gewesen war.

~Claudius Ziehr

Vicenza ist eine hübsche, aufgeräumte Provinzstadt auf halbem Weg zwischen dem Gardasee und Venedig. Es gibt kaum Arbeitslosigkeit, mittelständische Unternehmen erwirtschaften eines der höchsten Bruttosozialprodukte Europas. Die Lokalzeitung berichtet gerade über eine Studie, die den Lebensstandard italienischer Provinzen verglich, und spitzt es in der Überschrift zu: »Vicenza ist reich, aber unglücklich.« Da drängt sich sofort »arm, aber sexy« auf, wie Berlins Regierender Bürgermeister seine Stadt, durch deren Stadtschlossentwurf Stella überhaupt ins Interesse der Allgemeinheit rückte, gern bezeichnet. Gegensätze könnten sich ja befruchten.
Vicenza, das ist vorrangig die Stadt Palladios. Sei es das nach ihm benannte Einkaufszentrum an der Autobahn oder die Hauptstraße, der Corso Palladio, an Andrea Palladio – dessen 500. Geburtstag gerade gefeiert wurde – kommt man nirgends vorbei. Seine Säulenloggien bestimmen das Bild der Stadt, seine Villen das Umland. Es gibt wohl wenige Städte, die so ausschließlich von einem Baumeister geprägt sind. Wer als Architekt, wie Franco Stella, in dieser Umgebung geboren und in Vicenza tätig ist, dem bleibt wohl keine Wahl, als Palladio als Vorbild zu betrachten, als welches auch Stella ihn immer wieder zitiert. Und man würde sich für Berlin ja einen neuen Palladio wünschen, einen mit Blick von außen, der die von Symbolik, Ideologie und Geschichte überfrachtete Schlossdiskussion auf den Punkt brächte. Ein bisschen italienische Leichtigkeit täte der von Wilhelminismus und Sozialismus geprägten Mitte Berlins sicher gut. Palladio hat sich Zeit seines Lebens mit der Vergangenheit auseinandergesetzt, die antiken Ruinen in Rom studiert. Doch nie hat er rekonstruiert oder kopiert, sondern die Prinzipien antiker Architektur in seine Zeit übersetzt. So schuf er, für öffentliche Gebäude ebenso wie für Villen auf dem Land, eine neue Formensprache, die bis heute modern wirkt. Doch wo weht in Stellas Wettbewerbsbeitrag auf dem Berliner Schlossplatz der palladianische Geist?
Sein Entwurf ist in der Tages- und Fachpresse nicht gut weggekommen. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Mehrheit der Fachwelt der Architekten und Architekturkritiker der Schlossrekonstruktion generell sehr kritisch gegenüberstand und -steht. Erste Interviews in mehreren Zeitungen ließen dann auch eher das Bild eines älteren Architekten und Architekturprofessors aufkommen, der seine späte Entdeckung als eine längst (über)fällige Würdigung seines Könnens empfand, sich der Stimmann‘schen Sehnsucht nach einem reaktionär historisierten Berlin verbunden wusste und keine Scheu hatte, sich in eine Reihe mit Palladio, Schlüter und Stüler zu stellen. Deren sehr unterschiedliche eigene Entwurfs- und Denkweisen ignorierend – die Namen zählten.
Den Anspruch auf die direkte Nachfolge der palladianischen Kunst mag man dem bei Vicenza Geborenen vielleicht noch als eine der Wahlheimatstadt geschuldete Anmaßung nachsehen. Der Anspruch auf die Nachfolge der späteren beiden Baumeister aber will nicht recht einleuchten. Nicht zu vergessen der Bezug auf Vasari, den er – weil findige, kunsthistorisch versierte Kritiker in seinem Entwurf Bezüge zum Architekten der Uffizien sahen – nun auch noch bei jeder (un)passenden Gelegenheit aufgreift.
Nicht weit vom Büro von Franco Stella steht der Palazzo Thiene, von Palladio zwar nicht vollendet, gilt er doch als Meisterwerk des Architekten. Friedrich der Große ließ sich eine Kopie des Bauwerks an den Neuen Markt in Potsdam bauen, die im Krieg zerstört wurde. 1998 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, an dem Stella teilnahm, doch schreckte er hier vor einer Rekonstruktion zurück, schlug stattdessen eine dem Rationalismus der siebziger Jahre entliehene Fassade vor. Die Siegerin dieses Wettbewerbs griff das palladianische Dekor auf, platzierte es jedoch auf einer Glasfassade, um keine Verwechslung mit dem verschwundenen Original zu riskieren.
Stella hatte bisher in der Provinz Vicenza eine Reihe Schulbauten und Wohnhäuser gebaut. Dabei blieb er seinem sehr sachlichen Stil immer treu. Dies gilt auch für seine letzte und größte realisierte Planung, die Erweiterung der Messe in Padua, die fast unübersehbar wie der Prototyp seiner Ostfassade des Humboldt-Forums wirkt. Doch der Architekt, der während des Besuchs stolz seine bisherigen Projekte – frei jedes Historismus – präsentiert und der Mann, der mit Vehemenz den preußischen Barock verteidigt, dabei über die Stadtplanung Scharouns schimpft, scheinen nicht zusammenzupassen. Im Gespräch erklärt er seine Bewunderung für Berlin. Auch wenn das Humboldt-Forum sein erstes an der Spree realisiertes Projekt sein wird, ist er der Stadt seit Langem verbunden, saß auch in der Jury des Wettbewerbs für die Berliner Stadtmitte.
Stella freut sich über Aufmerksamkeit, nahm sich für das Gespräch viel Zeit, besteht aber darauf, Anfragen und Interviews auf Deutsch zu führen – das macht es nicht leicht. Denn die Antworten, die er selbst auf konkrete Nachfragen gibt, sind mit unbestimmt, vage oder am Thema vorbei noch sehr euphemistisch beschrieben. Hatte man nach den wenigen Interview-Reihen in den Tagesmedien den Eindruck, Stella paraphrasiere angelesene Berlinpropaganda aus dem Hause Stimmann, hat sich dieser in Vicenza eher verstärkt als entkräftet. Und auch das Gefühl, dass es nicht nur sprachliche Hürden sind, die seine Gedanken schwer nachvollziehbar machen. ›
Das Interview finden Sie auf Seite 16.
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