1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Diskurs »

Flughafen Tegel: Das untote Denkmal

Diskurs
Flughafen Tegel: Das untote Denkmal

Unverhofft kommt oft, sagt der Volksmund; doch ganz so unverhofft, wie die Politik behauptete, kam die Absage der für den 3. Juni vorgesehenen Eröffnung des neuen Flughafens Berlin Brandenburg nicht. »Tegel bleibt in Betrieb!«, jubelten dessen Liebhaber, und ihrer gibt es Hunderttausende in Berlin, wenn auch mehr in den Westbezirken als in denen des früheren Ostteils. Doch die Gnadenfrist für Tegel verdeckt nur, dass es keine Nachnutzung für TXL gibt, der nunmehr seit 37 Jahren Dienst tut.

~Bernhard Schulz


Es droht der Leerstand, ja das Dahinsiechen der Flughafenbauten. Die Berliner Lokalpolitik hat es geschafft, die allerspätestens seit dem sogenannten Konsensbeschluss von Bund, Berlin und Land Brandenburg vom 26. Mai 1996 feststehende Schließung glattweg zu verpennen. Erst im September 2011 wurde die »Tegel Projekt GmbH« eingerichtet, die sich um die Nachnutzung des Areals und seiner baulichen Anlagen kümmern soll.

»Tempo, Tempo«, das Berliner Markenzeichen? Gewiss in den späten 20er Jahren, als Stadtbaurat Martin Wagner das kaiserzeitlich geprägte Berlin zur »Weltstadt« ausbauen wollte. Solche Hoppla-jetzt-komm’-ich-Mentalität ist der Stadt abhanden gekommen. Wie sehr, das wird an Tegel vorexerziert. 460 ha Fläche stehen zur Verfügung. Bis 1948 und dem Ausbau zum Militärflughafen des Französischen Sektors war das Gelände überwiegend märkischer Forst, der es jedoch nicht wieder werden soll; auch das eine Denkmöglichkeit, die im Berlin von heute nicht gänzlich abwegig wäre. Nein, es soll ein Gewerbepark her, wer hätte das gedacht. Ein Forschungsstandort mit angeschlossenen Start-Uppers, aber möglichst auch einem »Ankernutzer«. Der nämlich soll, nein, der muss in jedem Fall den ursprünglichen, derzeit durch Billig-Anbauten in die Zange genommenen Terminal umbauen, für seine Zwecke herrichten, welche immer dies sein mögen; und das wäre, so die höchst überschlägigen Schätzungen, nicht unter 80 Mio. Euro zu haben. Dieses 1974 fertiggestellte und im Jahr darauf in Betrieb genommene Terminal, dieses Hauptgebäude aber, und das macht die lokalpolitische Schlamperei nur noch deutlicher, ist nicht einfach Baumasse, sondern ein Denkmal: ein wunderbarer Bau von gmp, als es gerade erst gmp zu werden begann, der Erstling und gleich ein Meisterstück von Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg, der Überraschungssieger des Wettbewerbs von 1965. Doch die Politik begreift nicht, was für eine Verantwortung ihr da zugewachsen ist, mit diesem Flughafen, der so oder ähnlich nie wieder gebaut werden kann, weil er einer Welt ohne Terrorismus entstammt, als man vom Auto direkt ins Flugzeug steigen konnte, auf kürzestem Weg innerhalb des genialen Sechsecks. Das dockt mit einer seiner sechs Seiten ans Hauptgebäude an und bietet an den übrigen fünf Platz für 14 Flugsteige, im Innern aber eine Zufahrtsstraße sowie ein mehrstöckiges Parkhaus.
Nicht ganz einfach, ein solches, ganz durch seine spezifische Funktion geprägtes Bauwerk umzunutzen. Das ist auch Meinhard von Gerkan klar, der seinem Lieblingskind Tegel bereits vor reichlich drei Jahren ein Nachnutzungskonzept auf den Weg gegeben hat, als »Schaufenster einer Energie-Plus-Stadt«, die sich auf dem weitläufigen Flughafenareal entwickeln könnte. Wie immer man den Vorschlag bewerten mag, das Terminalsechseck plus Hauptgebäude zur »Repräsentanz der deutschen Umweltindustrie« herzurichten – zumindest die in formschöner Broschüre dargebotene Studie zu einer möglichen Energie-Mustersiedlung hätte die Politik anstacheln müssen, mit der Werbung von Interessenten, von Firmen und Institutionen loszulegen.
Nein, ein Nachnutzungskonzept wurde erst im Juni 2011 vom Senat beschlossen, Worte kosten nicht viel, und wie wenig, machen die Haushaltszahlen deutlich: Jährlich sind nur 2 Mio. Euro vorgesehen, um Tegel zu entwickeln und nebenbei vor dem Verfall zu bewahren, richtiges Geld soll erst ab 2017 fließen, das liegt in der nächsten Legislaturperiode und ist mithin für heutige Politiker eine Ewigkeit hin. Ab diesem Zeitpunkt sind dann 53 Mio. vorgesehen, wie sich ja überhaupt für eine ferne Zukunft die schönste Haushaltslage ausmalen lässt. »Wir haben zur Zeit keine große öffentliche Investition als Treiber von Entwicklung«, erklärte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Anfang März, man konnte das Achselzucken geradezu hören: »Wir haben auch keinen Privatinvestor, der dort Interesse bekundet hat.« Die Anspielung galt dem 2008 stillgelegten Flughafen Tempelhof, ebenfalls kein Ruhmesblatt der Berliner Politik, aber immerhin hat Wowereit dem dortigen Flughafengelände und damit dem Bezirk Tempelhof den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek zugesprochen und dafür 270 Mio. in die Finanzplanung schreiben lassen. Obgleich das riesige Flughafengebäude aus NS-Zeiten unter Denkmalschutz steht und also nicht einfach verschwinden kann, gibt es dafür kein Nachnutzungskonzept; um wie viel weniger für Tegel, das noch keinen solchen Status genießt. Immerhin sogar die auf Gewerbeansiedlung eher herkömmlicher Art drängende IHK hat schon vor Jahr und Tag erklärt, »dem Erhalt des Hexagons stehen wir offen gegenüber«.
Ja, so ist der Ton in Berlin, offen eben. Die Ansiedlungs-GmbH hofft auf »Zwischennutzungsmodelle bei minimalen Anfangsinvestitionen«, aber auch die dürften bei ca. 30 Mio. liegen. Und die gmp-Idee, so bestechend sie scheint, funktioniert nur, wenn der erhaltenswerte Terminalkomplex den Mittelpunkt einer weiträumigen Ansiedlung bildet. Mit der denkmalgerechten Umnutzung von Verkehrsbauten und -anlagen hat Berlin in jüngerer Zeit vielfältige und auch ermutigende Erfahrungen gemacht. Aber die betrafen zumeist Bauwerke, die entweder weiterhin ihrer Zweckbestimmung gemäß genutzt werden oder aber sich als kompakte Bauten gut umnutzen lassen. Was aber ist mit einem Sechseck-Bau mit Fluggastbrücken, der im Wesentlichen Verkehrsflächen für Passagiere birgt? Auf solche Fragen Antworten von der Politik zu erwarten, wäre rührend naiv. Dass die Frage nach der Erhaltung und denkmalgerechten Umnutzung des gmp-Geniestreichs eine harte Nuss darstellt, sollte dabei nicht übersehen werden. Bevor Tegel zum Modell für Zukunftsindustrieansiedlung werden kann, muss es ein Modell für die Denkmalpflege werden.
Der Autor ist Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegel, Berlin.
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de