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Entscheidung mit Zukunftssinn

Diskurs
Entscheidung mit Zukunftssinn

Die UNESCO hat gesprochen. Mit Entscheidung des Welterbekomitees vom 25. Juni wurde das Dresdner Elbtal, eine einzigartige Kultur-

~Arnold Bartetzky

landschaft mit Schlössern, Parks, Weinbergen, Hangwäldern und Fluss- auen, von der Liste des Welterbes gestrichen. Das Entsetzen ist groß, Deutschland steht vor der Weltöffentlichkeit als Kulturbarbar da – Seite an Seite mit dem Oman, dem bisher einzigen Land der Erde, das eine UNESCO-Welterbestätte wegen zerstörerischen Umgangs mit dem Schutzgebiet verloren hat.
Mit seiner Halsstarrigkeit im endlosen Streit um den Bau der Waldschlösschenbrücke hat Dresden nicht zum ersten Mal gezeigt, dass die Vergangenheitsseligkeit des wiedererstehenden »Elbflorenz« keineswegs gleichbedeutend ist mit hingebungsvoller Ehrfurcht gegenüber dem Kulturerbe. Schon die Bautätigkeit am Neumarkt, dem Areal rund um die rekonstruierte Frauenkirche, lieferte dafür ein mahnendes Beispiel. Die Errichtung neubarocker Häuserfassaden als Reverenz an das untergegangene Stadtbild ging hier Hand in Hand mit der Zerstörung der historisch bedeutenden Keller aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Die einzigen Überreste der ursprünglichen Bebauung wurden bis auf Ausnahmen für Tiefgaragen geopfert. Barocke Pracht? Ja, bitte – je mehr, desto besser. Verzicht auf Bequemlichkeit oder gar Profit zugunsten der Denkmalsubstanz? Unter keinen Umständen. Das war die Maxime von Planungsbehörden wie Investoren am Neumarkt.
So stand denn auch im Dresdner Brückenstreit auf verlorenem Posten, wer etwa die Bereitschaft einforderte, um der Integrität der Elblandschaft willen einen kleinen Umweg oder gar ein paar Minuten im Stau in Kauf zu nehmen. Dabei wäre so viel Verzicht gar nicht nötig gewesen. Etliche Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass eine landschaftsschonende Elbquerung an gleicher Stelle durch einen Tunnel technisch ebenso machbar wäre. Auch die befristete und ohnehin grundsätzlich umstrittene rechtliche Bindekraft des 2005 getroffenen Bürgerentscheids zugunsten der Brücke wäre kein unüberwindbares Hindernis gewesen. Ein für 2008 angestrebtes Bürgerbegehren für die Tunnellösung, das gute Erfolgsaussichten hatte, wurde aber von Stadtoberhaupt und Regierungspräsidium vereitelt. Das Argument der (überschaubaren) Mehrkosten hatte dabei nicht wirklich Überzeugungskraft. Werden doch andernorts in Deutschland keine noch so horrenden Kosten gescheut, um Tunnel zu errichten, deren Sinn weitaus fragwürdiger ist als im Falle der Dresdner Elbquerung. In Leipzig etwa wird an dem fast eine Milliarde teuren Eisenbahntunnel zwischen Hauptbahnhof und Bayerischem Bahnhof gebaut, dessen Kosten-Nutzen-Relation, gelinde gesagt, nicht über alle Zweifel erhaben ist. Und in Jena-Lobeda entsteht ein aufwendiger Autobahntunnel, ein echtes Luxusbauwerk, dessen Funktion sich darin erschöpft, ein paar nahegelegene Plattenbauten vor Lärm zu schützen. Hinzu kommt, dass die Stadt Dresden und der Freistaat Sachsen die Mehrkosten mitnichten hätten allein schultern müssen, da der Bund für den Fall einer mit der UNESCO abgestimmten, welterbegerechten Verkehrslösung eine substanzielle Mitbeteiligung in Aussicht gestellt hatte.
Neben der Tunneloption wurden auch alternative Standortvarianten für die Brücke an weniger sensiblen Stellen des Elbtals erörtert, doch die Stadtverwaltung war für alle Argumente ebenso unzugänglich wie für Vermittlungsversuche. Derweil übte sich die UNESCO drei Jahre in Geduld, indem sie Dresden Zeit zum Umdenken ließ, um die bereits 2006 offiziell angedrohte Aberkennung des Welterbestatus abzuwenden. Doch die Dresdner Brückenbauer rissen mit autistischer Selbstherrlichkeit alle goldenen Brücken ein, die ihnen von verschiedenen, wohlmeinenden Seiten gebaut worden waren.
Bei soviel Beratungsresistenz und Arroganz der Dresdner Verantwortlichen blieb der UNESCO letztlich nichts übrig, als diesmal durchzugreifen, wollte sie nicht als zahnloser Debattierklub dastehen. Keine Frage: Auch die UNESCO und vor allem ihr Denkmalpflegerat ICOMOS hatten in dem Causa Waldschlösschenbrücke anfangs keine gute Figur gemacht. So war die Problematik des geplanten Brückenbaus beim Bewerbungsverfahren um den Eintrag des Elbtals in die Welterbeliste im Jahr 2004 von der Prüfungskommission schlicht übersehen worden. Ebenso lässt sich der UNESCO vorhalten, dass sie gegenüber Schurkenregimes manches Mal nicht so streng gewesen ist wie gegenüber dem generell relativ denkmalfreundlichen Deutschland. Doch wegen der Schwächen und Fehlleistungen der Vergangenheit ist die Entscheidung über Dresden nicht weniger richtig. Und vielleicht geht von ihr sogar eine Botschaft für die Zukunft aus: Welterbe- status ist nicht nur Ornament. Er ist auch Verpflichtung.
Der Autor arbeitet als Kunsthistoriker am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und ist als Architekturkritiker tätig.
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