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Der Leipziger Universitätscampus geriet zum Desaster

Der neue Universitätscampus in Leipzig
Endlich in Osteuropa angekommen

Eine Visitenkarte der Leipziger Universität hätte es werden sollen, doch noch vor Fertigstellung erweist es sich als ein baukulturelles Desaster: Das Neubauensemble am Augustusplatz ist einer der Tiefpunkte der nachwendezeitlichen Architekturgeschichte in Sachsen. Leipzigs Öffentlichkeit hat es aber noch nicht gemerkt.

~Arnold Bartetzky

Das Trauerspiel um den Universitätscampus im Leipziger Stadtzentrum begann mit einem staatlich verordneten spektakulären Zerstörungsakt: Im Jahr 1968 jagte ein Sprengkommando die gotische, im Krieg unversehrt gebliebene Universitätskirche St. Pauli und das benachbarte klassizistische Hauptgebäude Augusteum in die Luft. Eine der ältesten Universitäten Deutschlands verlor damit ihr historisches Gesicht. Auf dem Areal entstand im Rahmen der »sozialistischen Umgestaltung« des Augustusplatzes, der damals Karl-Marx-Platz hieß, ein neuer Hochschulkomplex nach Entwürfen des DDR-Vorzeigearchitekten Hermann Henselmann. Der 1975 fertiggestellte, wie im Zeitraffer verrottende Campus gehörte nicht gerade zu den Glanzleistungen der Ostmoderne. Sein einziges markantes Element, das fast 150 m hohe Universitätshochhaus, wurde nach dem Untergang der DDR privatisiert. Der Rest blieb im Besitz der Universität und sollte zu deren 600-jährigem Jubiläum im Jahr 2009 grundlegend umgestaltet werden.
Doch das Projekt, das das Zerstörungswerk des DDR-Regimes wiedergutmachen sollte, stand von Anfang an unter einem ungünstigen Stern. Schon der 2001/02 veranstaltete Wettbewerb zog mit seinen engen, kaum zu erfüllenden Ausschreibungsvorgaben viel Kritik auf sich und schreckte die meisten renommierten Architekturbüros von der Teilnahme ab. Ein erster Preis wurde gar nicht erst vergeben. Der zweitplatzierte, zur Ausführung bestimmte Entwurf des jungen Münsteraner Büros Behet Bondzio Lin fand kaum Freunde, stattdessen aber viele lautstarke Feinde. V. a. der Paulinerverein, eine zeitweise sehr einflussreiche Bürgerinitiative, die sich für den Wiederaufbau der Universitätskirche einsetzte, wetterte gegen den Entwurf, der anstelle des zerstörten Bauwerks einen strengen Kubus ohne erkennbare gestalterische Reminiszenzen vorsah. Der Verein fand einen mächtigen Verbündeten in Sachsens damaligem Wissenschaftsminister Matthias Rößler, der den einstigen Kirchenstandort und die gesamte Campusfront zum Augustusplatz aus dem Projekt ausgliederte und zum Gegenstand eines 2004 abgehaltenen »Qualifizierungsverfahrens« mit eingeladenen Teilnehmern machte.
Diesmal gab es einen strahlenden Sieger: Der Rotterdamer Architekt Erick van Egeraat setzte sich mit einem Entwurf durch, der mit einem gotisierenden Giebel an die Paulinerkirche erinnerte und mit einem abwechslungsreichen Spiel expressiv bewegter Formen den Publikumsgeschmack traf. Der damalige Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee feierte ihn als großen Wurf, die Stadtöffentlichkeit war vorwiegend begeistert.
Derweil blieben Behet Bondzio Lin, den Siegern des ersten Wettbewerbs, noch die rückwärtigen Teile des Universitätsareals mit den um einen Innenhof gruppierten Hörsaal-, Seminar- und Institutsgebäuden und einer Mensa. Sie bauten sie ziemlich geräuschlos und fristgerecht bis 2009. Unter geschickter Einbeziehung von Teilen des Campus aus DDR-Zeiten entstand ein Ensemble aus Kuben und Riegeln, das nichts Ikonisches bietet und v. a. an den auf unterschiedliche Art bekleideten Fassaden nicht mit allen Details überzeugt, für den Universitätsbetrieb aber durchdachte Funktionsräume und freundliche Aufenthaltszonen bereitstellt.
Pannen und Streit ohne Ende
Der von Erick van Egeraat verantwortete, repräsentativere Teil des Campus geriet indessen zu einer Folge von Pleiten, Pech und Pannen. Bald nach Beginn der Arbeiten im Jahr 2007 zeichnete sich ab, dass der Fertigstellungstermin illusorisch war. Eine Kündigung des Generalunternehmers, die Insolvenz von Egeraats Büro infolge der Finanzkrise, vor Gericht ausgetragene Urheberrechtsstreitigkeiten zwischen Architekt und Bauherr brachten den Zeitplan endgültig zu Fall. Die 600-Jahrfeier fand Ende 2009 im Rohbau der anstelle der Universitätskirche entstehenden Aula statt, deren Einweihung nun für Ende 2014 erhofft wird. Das benachbarte Neue Augusteum mit Audimax, Räumen der Fakultät für Mathematik und Informatik, Rechenzentrum und Galerie der Kustodie wurde erst in diesem Herbst, mit dreijähriger Verspätung, vollständig in Betrieb genommen. Der Bauverzug geht mit einer Kostenexplosion Hand in Hand: Aus den anfangs avisierten gut 140 Mio. wurden bisher vorsichtig geschätzte 250 Mio. Euro.
Hinzu kamen mitunter bizarre Streitigkeiten um Status und Gestaltung des Nachfolgebaus der Universitätskirche. Für den Paulinerverein, der am liebsten eine vollständige Rekonstruktion durchgesetzt hätte, ist auch dieser Bau eine Kirche. Die Universität dagegen programmierte ihn als Aula mit einem angefügten Andachtsraum. Als verkorkster Arbeitstitel für das Gebäude, das mit seinem Giebel samt Fensterrose, den Spitzbögen und dem geplanten Sterngewölbe wie eine Kirche aussehen wird, aber aus Gründen weltanschaulicher Neutralität der Universität nicht Kirche heißen soll, etablierte sich das Sprachmonster »Kirche-Aula-Bau«. Ein 2008 von der damaligen Generalbundesanwältin Monika Harms vermittelter Kompromiss legte den umständlichen offiziellen Namen fest: »Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli«. Der Streit entlang der Frontlinie Kirche versus Aula geht aber weiter und trägt zunehmend Züge eines Religionskriegs. Sein Hauptobjekt ist nun die Glaswand, die den Andachtsraum mit ausgestellten geborgenen Kunstwerken aus der Universitätskirche von der Aula abtrennen soll: aus raumklimatischen und damit konservatorischen Gründen, wie die Universität versichert – aus kulturkämpferischen, religionsfeindlichen Motiven, wie die zunehmend in eine unfreiwillig komische, martialische Rhetorik abgleitenden Kritiker meinen.
Triumph des Ordinären
Das Hauptproblem des Egeraatschen Bauensembles aber sind weder die vielen Pannen und explodierenden Kosten noch die nicht enden wollenden Streitigkeiten. All dies wird nach ein paar Jahren vergessen sein. Bleiben werden aber die Aggressivität, die penetrante Banalität und der falsche Prunk dieser Architektur. Während die Universitätskirche, einst eine schlichte Bettelordenskirche, selbst nach ihrer neugotischen Aufhübschung im späten 19. Jahrhundert ein zurückhaltender Bau blieb, der sich in die Platzfront einfügte, buhlt das Paulinum mit der brutalen Vulgarität eines chromblitzenden SUV um Aufmerksamkeit. Mit seiner über den Giebel hinausquellenden, funkelnden Dachlandschaft bringt es der Bau wohl auf das doppelte Volumen seines Vorgängers und stiehlt den Nachbarn die Schau. Selbst das auf derselben Platzseite situierte Krochhaus aus den 20er Jahren – mit seinen elf Geschossen damals das erste Hochhaus in Leipzig – nimmt sich dagegen wie ein Winzling aus.
Man könnte meinen, der Erinnerungsbau sei aus falsch verstandener Ehrfurcht vor der zerstörten Kirche derart aufgeblasen worden. Doch das Paulinum ist eine groteske Mogelpackung. Nur der untere Teil wird von der kirchenähnlichen Aula eingenommen. Darüber sind sechs Geschosse mit gänzlich profanen Seminarräumen und Büros eingezwängt. Das steile Glasdach bietet ihren Nutzern einen schönen Blick über die Stadt, setzt sie aber zugleich einer extremen Sonneneinstrahlung aus. Um diesen keineswegs unvorhersehbaren Effekt zu mildern, wurde das Dach mit einer monströsen Lamellenkonstruktion überzogen, die dem Schuppenpanzer eines Reptils ähnelt. Ähnlich missraten ist das seitlich aufragende Spitztürmchen, das an den bei der Sprengung der Kirche vom First stürzenden Dachreiter erinnern soll, aber wie zum Hohn in seiner Mitte ein ordinäres Lüftungsgitter präsentiert.
Die Fassadenbekleidung des Paulinums und seiner beidseitig anschließenden Nachbarn, des Neuen Augusteums und eines ebenfalls von Egeraat entworfenen Geschäftshauses, ist durchaus aufwendig. Natursteinplatten aus spanischem Kalkstein, Kirchheimer Muschelkalk und norditalienischem Serpentinit sind recht sorgfältig zu vertikalen Bahnen gefügt, die als wiederkehrendes Gestaltungsprinzip die drei Bauten zu einer stilistischen Einheit zusammenfassen. In Kombination mit blau-türkis reflektierendem Spiegelglas erzeugt das bunte Gestein aber einen protzigen Glitzereffekt, der an den Neureichenschick im postsowjetischen Russland denken lässt – wo Egeraat nicht zufällig besonders gefragt ist. Nun ist Leipzig endlich in Osteuropa angekommen, spottete ein Zürcher Architekturhistoriker beim Anblick der Bauten.
Die effektheischende Gestaltung des Äußeren ist mit funktionalen Nachteilen im Inneren erkauft. Die mit den Natursteinstreifen alternierenden, z. T. nur schießschartenbreiten Glasbahnen bewirken ungünstige Fensterformate in vielen Büros oder auch in dem von Anfang an vorgesehenen Restaurant im Geschäftshaus, wo man sich statt der Sichtschlitze lieber Panoramafenster mit Blick auf den Augustusplatz wünscht. Die Unregelmäßigkeit des Baukörpers führt v. a. in den OGs des Paulinums zu Raumverschwendung durch eine Vielzahl toter Ecken, verwinkelter, dunkler Flure und kaum benutzter Treppen, die ins Nichts zu führen scheinen und die Orientierung erschweren.
Solche Details jedoch sind nicht Egeraats Metier. Er setzt auf den Glanz der Oberfläche, der viele Leipziger noch immer beeindruckt und glauben lässt, mit dem Paulinum und seinen Nachbarbauten erhalte die Stadt endlich mal ein Stück richtig schöner Architektur. Doch diese Architektur ist so schön wie die blendenden Fassaden von Las Vegas. Sie bedient den Wunsch nach Glamour und suggeriert Reichtum. Für eine Universität ist sie aber ein Armutszeugnis. •
Der Autor arbeitet als Kunsthistoriker und Architekturkritiker in Leipzig.
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