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Ende einer ära

Diskurs
Ende einer ära

Fortsetzung Titel … Der 1941 in Lübeck geborene gelernte Maurer und promovierte Stadtplaner Hans Stimmann war – mit einer dreijährigen

Unterbrechung – von 1991 bis 2006 Senatsbaudirektor von Berlin. Eine

Position, in der er eine Reihe einflussreicher Vorgänger hatte: James Hobrecht (Stadtbaurat von 1885 bis 1896), auf den der erste Bebauungsplan der Stadt mit der bis heute gültigen, legendären Traufhöhe von 22 Metern zurückgeht; Ludwig Hoffmann (1896–1924), dem Berlin eine Reihe Schulen, Krankenhäuser und Badeanstalten zu verdanken hat; Martin Wagner (1926–1933), dessen Auffassung von Stadt – in der Städtebau, Baukunst und Gartenarchitektur gleichberechtigt miteinander verwoben sind – Stimmann in besonderem Maße prägte. Und natürlich Hans Scharoun (1945–1946), den ersten Baustadtrat nach dem Zweiten Weltkrieg, der in Stimmanns Augen mit seinem Kollektiv-Plan nur zur weiteren Zerstörung Berlins beigetragen hat. Stimmanns Amtszeit schließlich ist untrennbar mit dem Schlagwort der »kritischen Rekonstruktion« verknüpft. Einem Begriff, der die behutsame Wiederherstellung traditioneller Stadtstrukturen, das Bewahren der Stadt mit ihren Funktionen, ihrem Grundriss und ihrer Architektur beinhaltet und der von J. P. Kleihues als Leiter der Internationalen Bauausstellung 1987 popularisiert und als Leitbild der »Europäischen Stadt« formuliert wurde. Mit dem »Planwerk Innenstadt« wurde dieses Leitbild für Berlin festgeschrieben: Traufhöhe, straßenbegleitende Blockrandbebauung, Häuser mit Staffelgeschossen, stehenden Fensterformaten und steinernen Lochfassaden – ein strenger Raster, dem sich die Architektur unterzuordnen hatte. Nicht die spektakuläre Event-Architektur (und die entsprechenden Architekten) sollte das Bild Berlins prägen, sondern klassische Elemente der Stadt wie Platz und Straßenraum. Doch waren vorgehängte Sandsteintapeten wirklich die einzige Lösung, um den heterogenen, perforierten Stadtkörper zu heilen? Und mussten es wieder und wieder dieselben Architekten sein, die zu Wettbewerben eingeladen wurden bzw. in den Jurys saßen? – Darüber witzelte sogar der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bei Stimmanns Verabschiedung am 25. Oktober im Roten Rathaus. – Die mangelnde Offenheit Stimmanns und die verordneten Zwänge und Regularien verhinderten den Einzug neuer Ideen in die Berliner Architektur bzw. führten zu einem Verlust handwerklichen und materialgerechten Bauens. So sind die entstandenen Architekturen allzu oft von Gleichförmigkeit geprägt oder gleiten sogar ins Banale ab. Egal, welcher Architekt verantwortlich zeichnete, entstanden ist immer ein Stimmann.
Zu hinterfragen ist sicherlich auch die Entscheidung, Wissenschaft und Forschung aus dem Zentrum Berlins an den Stadtrand nach Adlershof und Buch zu verlagern, denn nach wie vor existieren in der Innenstadt riesige Brachflächen. Das »Planwerk Innenstadt«, das die innerstädtische Entwicklung voranbringen sollte, war hier jedenfalls keine Hilfe: Detailverliebt und dabei doch viel zu einseitig wurde das komplexe System Stadt einzig auf den Vorkriegsgrundriss heruntergebrochen. Die Gebiete der fünfziger und sechziger Jahre sollten eine extreme Nachverdichtung erfahren, um sie in einen Zustand gründerzeitlicher Enge zu versetzen. Und wenn der Reanimation des historischen Stadtgrundrisses am Pariser und Leipziger Platz noch eine gewisse Berechtigung zukommt – hier gelang es in der Tat wieder Orte großstädtischen Lebens zu schaffen –, so wäre es innerhalb eines geschlossenen städtebaulichen Nachkriegs-Ensembles wie dem Ernst-Reuter-Platz fatal gewesen. Glücklicherweise konnte der Abriss des Instituts für Bergbau- und Hüttenwesen der TU Berlin von 1959 und die Wiederherstellung des historischen Straßenverlaufs hier verhindert werden. Auch die hypertrophe Idee, den Alexanderplatz mit Hochhäusern zu bebauen, ist dank der Krise auf dem Berliner Immobilienmarkt glücklicherweise vom Tisch.
Und was ergibt ein Blick über den Innenstadtbereich hinaus? Stimmanns Interesse und Einflussbereich enden hier sehr bald; schon das Baugeschehen in Bezirken wie Steglitz, Wilmersdorf oder Pankow hat ihn kaum interessiert, sein Augenmerk galt vor allem Mitte und Charlottenburg. Auch die Ansiedlung von Gewerbeparks und Einkaufszentren an der Peripherie konnte der unermüdliche Kämpfer für das Städtische nicht verhindern.
Doch bei aller Kritik: Stimmanns Geradlinigkeit und seinem unermüdlichen Kampfgeist ist es zu verdanken, dass Berlin so manches zeitgeistige Architekturexperiment, manch kurzlebiger Gag erspart geblieben ist. Nun aber, da die meisten sensiblen innerstädtischen Plätze wiederhergestellt sind und der Investorendruck der neunziger lange vorbei ist, sollten die Regelwerke einem aufgeschlosseneren Umgang mit Architektur weichen. Der Blick seines Nachfolgers oder seiner Nachfolgerin sollte sich auf ganz Berlin ausweiten, mit dem Ziel, eine für den jeweiligen Ort stimmige Architektursprache zu finden.
~Ulrike Kunkel
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