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Das Guggenheim-Museum in Bilbao wird 20 Jahre alt

Missverständnis Bilbao-Effekt – das Angebot macht's, nicht die Architektur
Eine immer noch tolle Fatalität

Eine immer noch tolle Fatalität

~Nikolaus Bernau

Vor annährend 20 Jahren wurde das von Frank Gehry entworfene Guggenheim-Museum in Bilbao eröffnet – das Gebäude, nach dem der Bilbao-Effekt benannt wurde und der somit für die bei Politikern und Kulturmanagern immer noch sehr beliebte Vorstellung steht, dass ein einziges Star-Architekten-Produkt die städtebaulichen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Probleme ganzer Städte auf einen Schlag lösen kann.

Und dennoch, genau wie sein Vater, das Guggenheim-Museum in New York, erscheint auch das Bilbaoer Guggenheim mit all seinen Wellen, Schiffszitaten, dramatisch ineinander verschlungenen Räumen immer noch frisch, neu und aufregend zu sein. Welch ein Unterschied zu vielen anderen, inzwischen nur noch modisch wirkenden Werken der neo-plastischen, neo-expressiven, dekonstruktivistischen Schulen der 90er Jahre. Vielleicht liegt das auch daran, dass das Guggenheim eben kein Einzelstück ist, gelandet in einem städtischen Nirvana, wie es die vielen Fotos nahelegen, die von der anderen Flussseite aus aufgenommen wurden. Sie verbergen, dass das Museum von vorneherein ein Teil der Stadt Bilbao war: Auf der anderen Flussseite stehen ganz normale Wohnhäuser der 60er bis 80er Jahre und direkt hinter dem Bau erheben sich nach Pariser Vorbild gestaltete Mietpaläste des beginnenden 20. Jahrhunderts.

Es entstand auch nicht als Auslöser, sondern als Teil einer über Jahrzehnte geplanten urbanen Inbesitznahme der Uferzonen des Ria. Die chronische Überschwemmungsgefahr durch den Fluss sollte gebannt, dessen Wasserqualität gehoben und einstige Hafen-, Lagerhaus- und Werftareale umgewandelt werden zum neuen, grünen Herzen der baskischen Metropole. Was heute kaum noch vorstellbar ist: Die Ufer des Flusses waren bis in die 80er Jahre dank des Tidenhubs wirkliche Hochsee-Kais, bis hin zur inzwischen ziemlich verrotteten, immer noch ziemlich unpraktischen und doch hocheleganten Brücke, die nach den Plänen Santiago Calatravas entstand und die auf die beiden Türme Arata Isozakis zuführt, die an der Stelle des einstigen Zollamts errichtet wurden.

Auch das Guggenheim markiert das südliche Ende einer großen Linse einstiger Hafengebiete, auf der Parkanlagen- und Spielplätze, ein ganzes neues Stadtviertel mit dem beeindruckenden Melia-Hotel von Ricardo Legorreta, der glasbausteinbekleideten Universitätsbibliothek Rafael Moneos und dem schlanken Turm Cesar Pellis entstanden. Eine Entwicklung, die keineswegs abgeschlossen ist: Nördlich soll, die Umbauarbeiten haben begonnen, mittels eines Durchstichs eine neue Insel entstehen, schick bebaut nach Plänen des Büros Zaha Hadid. Name-Dropping spielt beim Bilbao-Effekt eine zentrale Rolle. In Bilbao aber, und das wurde oft übersehen, dient es nicht so sehr der Außenwerbung als vielmehr dazu, die Stadtbevölkerung nach Jahrzehnten des Niedergangs wieder mit Selbstbewusstsein zu erfüllen. Was allem Anschein nach gelungen sein dürfte. Profitiert hat davon übrigens fast nebenher auch die historische Substanz. Mit der Behauptung, dass Bilbao eine Stadt der Moderne sei, wurden auch die Wohnviertel des 20. Jahrhunderts neu entdeckt und oft vorbildlich saniert. Doch wird sich das ans Hadid-Projekt grenzende mittelbürgerliche Viertel gegen den Gentrifizierungsdruck behaupten können?

Die Museumskuratoren meinen, dass die 1,3 Mio. Besucher im Jahr v. a. wegen des Ausstellungsprogramms kämen. Das mag sein. Die meisten aber kommen wohl immer noch des Gebäudes wegen. Es war seit Beginn der Planungen 1993 das lautstarke Signal einer Museumswelt, die sich willig in die Arme des Neoliberalismus warf, die globalisiert sein wollte wie ein internationaler Konzern. Der Radikal-Umbau des Louvre oder des Berliner Pergamonmuseums zur Touristenmaschine, die vielen, von Star-Architekten entworfenen Museumsneubauten am Persischen Golf sind ihre Markenzeichen. Spektakuläre Architektur sollte, das war die Theorie, Museumsbesucher anziehen, diese hohe Einnahmen generieren, die den Staat entlasteten und den Betrieb des Hauses finanzieren, mit dem Sonderprojekte möglich wurden. Tatsächlich fraßen die Neubauten im Allgemeinen die Etats auf, die klassische Wissenschafts- und Breitenbildungsaufgabe gerade der Museen moderner Kunst verfiel für gut 20 Jahre dem Kult
um Events, Sonderausstellungen, Marketing und Besucherzahlen.

Die jüngste Frucht dieses Bilbao-Effekts ist die Berliner Entscheidung, das Projekt Erweiterung der Neuen Nationalgalerie auf dem Kulturforum – die großstadtfeindliche »Scheune« – an die Baseler Architekten Herzog & DeMeuron zu vergeben. Endlich, so die Auslober, werde auch Berlin »seinen« Herzog und DeMeuron erhalten. Aber wie die Ablehnung des Guggenheim-Projekts in Helsinki durch die Bevölkerung zeigte, ist diese Entwicklung offenbar an ein Ende geraten. Das Museum als genuine Bildungs- und Kulturinstitution ist dagegen wieder aktuell. In Bilbao ist etwa das Museum der Schönen Künste als Treffpunkt der Stadt wieder weit wichtiger als das Guggenheim, es hat auch die bei Weitem relevantere Kunstsammlung. Doch ist auch das Guggenheim inzwischen stolz darauf, gut 13 % seiner Besuche aus der Region zu erhalten. Es hat ein intensives Kulturprogramm aufgelegt, das nur für diese Besucher interessant sein dürfte, und es baut eine eigene Sammlung auf. Wenn nicht alles täuscht, scheint aus dem Touristenmagneten, Ausstellungspalast und Eventfaktor Guggenheim ein wirkliches Museum zu werden.

Der Autor ist ausgebildeter Kunstwissenschaftler und Architekt. Er arbeitet als Architekturkritiker in Berlin.

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