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Eine Ikone bedarf der Überholung

Anstehende Generalsanierung der Neuen Nationalgalerie in Berlin
Eine Ikone bedarf der Überholung

In den Jahren 1963-68 konnte Ludwig Mies van der Rohe nicht nur seinen lange gehegten Gedanken des Universalraums verwirklichen, sondern schuf in Berlin auch eines der ästhetischsten Gebäude der Stadt. Der erste und äußerst fotogene Museumsbau am Kulturforum ist in Bezug auf seine Bausubstanz ganz gut durch die Zeit gekommen; neue Normen und ein verändertes Nutzungsprofil erfordern jedoch eine Generalüberholung. Das beauftragte Büro David Chipperfield Architects steht nun vor der Herausforderung, zügig eine ganze Reihe offener Fragen beantworten zu müssen.

~Bernhard Schulz

Bereits zum Zeitpunkt ihrer Vollendung wurde die Neue Nationalgalerie Ludwig Mies van der Rohes als Denkmal gefeiert. Bald verbreitete sich ihr Bild in fotografischen Ansichten, die gleichzeitig die Modernität der Stahl-Glas-Konstruktion im Gegensatz zu den wenigen verbliebenen Gebäuden in der Umgebung betonten und auch deren zeitlose Monumentalität. Wer immer sich mit der Erhaltung oder gar Sanierung der Neuen Nationalgalerie befasst, muss diese ikonischen Bilder im Auge behalten. Denn auch darin ist der Mies-Tempel ein Kind des »neuen bauens« vor 1933: Bauwerk und bildliche Darstellung sind nicht voneinander zu trennen, vielmehr stützen sie sich wechselseitig.
Experten für das richtige Augenmass
Bauvorschriften wandeln sich, vor allen Dingen werden sie immer umfänglicher und komplizierter. »Das wäre so kaum noch möglich«, ist ein Satz, den auch Martin Reichert immer wieder ausspricht. Reichert ist im Berliner Büro von David Chipperfield als Managing Director für das Projekt der Grundsanierung der Neuen Nationalgalerie zuständig, ein Auftrag, den die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Dachinstitution u. a. der Staatlichen Museen Berlin im März dieses Jahres erteilt hat. Die Beauftragung von Chipperfield war alles andere als eine Überraschung, vielmehr eine logische Folge aus der vorangegangenen Wiederherstellung der Ruine des Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Neuen Museums auf der Museumsinsel (s. db 4/2009, S. 16), für die Chipperfield weltweite Anerkennung zuteil wurde. In der Zusammenarbeit mit dem Architekten, so Hermann Parzinger, der Präsident der Preußen-Stiftung, habe er selbst »die Sensibilität im Umgang mit dem architektonischen Erbe und die konzeptuelle Klarheit seines Ansatzes sehr zu schätzen gelernt«.
Nun also die Neue Nationalgalerie. Bereits ein flüchtiger Besuch des Hauses deutet an, dass in nahezu vollständigem Umfang die ursprüngliche Erscheinung in Bau und Ausstattung bewahrt ist. Der von allen Seiten respektierte Denkmalcharakter des Gebäudes hat verhindert, dass es dort im Laufe der Jahre zu jenen entstellenden Um- und Einbauten kam, die bei öffentlichen Gebäuden regelmäßig zu beklagen sind. Eine ärgerliche, jedoch ohne Weiteres reversible Ausnahme ist der Einbau des Buchladens, der sich im UG bis unter die südliche der beiden symmetrischen, frei tragenden Treppen zwängt.
»Symmetrie« ist ein Kernbegriff für das Haus, zumal in des Wortes ursprünglicher Bedeutung des »Zusammenstimmens«, der Harmonie der Teile. Eine quadratische Halle unter der Dachplatte, getragen von jeweils zwei außenliegenden Stützen je Seite, zwei parallele Treppenabgänge im vorderen und zwei mit schwarz-grünem griechischen Marmor bekleidete Technikschächte im hinteren Teil der Halle; und so weiter im UG, in dem lediglich im hinteren Bereich vor der Glasfront zum Skulpturengarten variable Stellwände für die unterschiedlichen Formate der Sammlung vorgesehen waren. Der Mies’schen Planung gibt es nichts fortzunehmen und nichts hinzuzufügen. Jedenfalls nicht in den öffentliche Bereichen.
Die Generalsanierung wird sich ganz wesentlich auf die »unsichtbaren« Bereiche konzentrieren. Vor dem Projektleiter Reichert und dem Design Director, dem gleichfalls am Neuen Museum erprobten Alexander Schwarz, liegt eine in höchstem Maße dienende Aufgabe. »Unser Ziel wäre, wenn wir die Baustelle verlassen, dass man uns dort nicht mehr sieht«, formuliert Reichert im Gespräch: »Es geht um den ›unsichtbaren Architekten‹.« So lautet denn auch ein Beitrag zur diesjährigen, von Chipperfield geleiteten Architekturbiennale von Venedig. Reichert präzisiert, dass »es bei unserem Entwurf eher um ein Abwägen gehen wird, weniger um das klassische zeichnerische Entwerfen«. Und bündig: »Wir werden vermeiden, eine neue Ebene des Designs einzubringen. Dass wir die Sanierung gemacht haben, muss nicht ablesbar sein. Wir erstreben keine Erkennbarkeit der Handschrift.«
Nach den positiven Erfahrungen mit dem Neuen Museum soll es öffentliche Kolloquien zum Status quo des Gebäudes und sodann zum Konzept der Sanierung geben. Architekturhistoriker und Denkmalpfleger werden selbstverständlich einbezogen sein. Zwei Eckpunkte begleiten die Entwurfsüberlegungen. Zum einen genießt das Gebäude in seiner ganzen Erscheinung Bestandsschutz. Zum anderen müssen alle seit 1968 geänderten und hinzugekommenen, rechtlich verbindlichen Normen erfüllt werden. So genügen die Treppen, die als Rettungswege dienen müssen, den diesbezüglichen Anforderungen ganz und gar nicht mehr.
Von Detail zu Detail muss über die Konsequenzen von »Ertüchtigungsmaßnahmen« nachgedacht werden. »Alles, was sinnvollerweise nachqualifiziert werden kann und keine gravierenden denkmalpflegerischen Auswirkungen hat, würde ich umzusetzen versuchen«, sagt Reichert. Das Thema ist uferlos, bedenkt man allein die Anforderungen an Klima und Sicherheit, die von Museumsseite gestellt werden müssen. Hinzu kommt, dass die Neue Nationalgalerie künftig, nach der Verlegung der eigenen Sammlung in die bisherige Gemäldegalerie, als reine Wechselausstellungshalle dienen soll, mit entsprechend umfassenden und variablen Möglichkeiten der Präsentation.
Die Räumlichkeiten für das Aufsichtspersonal, für die Technik, aber auch für die nichtöffentlichen Bereiche der anstelle des ursprünglichen, extrem kargen Automatencafés entstandenen Gastronomie – sie alle reichen in der vorhandenen Anordnung und Größe nicht mehr aus. Die Anlieferung über die seitliche Rampe, ohne Klimaschleuse, ist heutzutage ein konservatorisches Unding; zumal dort auch nicht-museale Lieferungen abgewickelt werden. Als Leitlinie zeichnet sich gleichwohl ab, die Räume so weit wie möglich ihrer ursprünglichen Nutzung gemäß zu erhalten. Nicht zuletzt gilt das für die seitlich an der Zufahrtsrampe aufgereihten und überwiegend mit schmalen Oberlichtbändern versehenen Räume des Museumsteams, von der Handbibliothek über die Restauratorenwerkstatt bis zum Direktorenzimmer, das als einziges den schönen Ausblick auf den Skulpturengarten genießt. Auch der muss nach jahrelanger Schließung restauriert, ja geradezu reanimiert werden.
Substanz gut, Raum überfrachtet
Eine weitere, noch nicht beantwortete Frage betrifft die Erhaltung der materiellen Substanz des Gebäudes. Das Stahltragwerk scheint noch die geringsten Probleme aufzuwerfen. Sichtbar geworden ist das Problem der Originalmaterialien bei den großflächigen Scheiben, 14 an jeder Seite der Fassade, die die oberen beiden Drittel der Gesamthöhe der Glasfassade ausmachten. Längst sind die meisten Scheiben ausgetauscht – gegen allenfalls als Provisorium zu vertretende, rahmenlos aneinandergefügte Doppelscheiben. Glas im erforderlichen Format wird nicht mehr hergestellt, geschweige denn in der notwendigen Ausführung. »Bei hochertüchtigtem Glas könnten einige der ansonsten additiven Zusatzkomponenten wie Infrarotmelder entfallen«, seufzt Reichert und zählt zudem Windlasten, Wärmedurchgang, Einbruchsicherung als Problemfelder auf. Und auch die weiteren ungelösten Fragen wie die nach der behindertengerechten Erschließung – derzeit notdürftig über den Lastenfahrstuhl –, den fehlenden Gruppengarderoben und Schließfächern, dem Buchladen an und unter der Treppe im UG. Und fügt nach dieser kaum enden wollenden Aufzählung erfreut hinzu, dass es doch erstaunlich sei, »wie gut das Haus durch die Zeit gekommen ist«.
Andererseits wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Maßnahmen der Bauunterhaltung wegen der bereits anvisierten Generalsanierung unterlassen. Bereits zum 30-jährigen Bestehen 1998 wurde darüber geklagt, umso mehr beim 40-jährigen Jubiläum vor vier Jahren.
Zum Zeitplan lassen sich vorerst nur die Eckpunkte benennen. Natürlich ist es der große Wunsch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Wiedereröffnung im Jahr 2018 vorzunehmen, zum 50. Jahrestag der Eröffnung im Jahr 1968. Für die Bauzeit und damit die Schließung der Nationalgalerie werden drei Jahre ab 2015 veranschlagt. Das hört sich nach großzügigem Vorgehen an – tatsächlich aber bleiben dem Büro Chipperfield nur die wenigen Monate bis zum Frühjahr kommenden Jahres, an dessen Ende bereits die Entwurfsunterlage Bau (EW Bau) abgeliefert werden soll, um die grundsätzlichen Fragen ihres Vorgehens zu beantworten. Später geht es nur mehr um Prüfung, Bauantrag und Ausführungsplanung, um Anfang 2015 mit der Sanierung beginnen zu können.
Nun ist Berlin allerdings im Umgang mit Terminverzögerungen geübt. Daher bietet sich eine weitere kalendarische Gelegenheit zur Wiedereröffnung an: der 17. August 2019, 50. Todestag Ludwig Mies van der Rohes, dem Berlin dieses Bauwerk von Weltgeltung verdankt. •
Der Autor ist Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegel, Berlin.
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