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Ein Plädoyer für offene Wettbewerbe

Die Erosion im Wettbewerbswesen ist nicht zuletzt dem Wandel von offenen zu nicht-offenen Verfahren geschuldet
Ein Plädoyer für offene Wettbewerbe

Ein Plädoyer für offene Wettbewerbe
Die Bilder stammen von: Studentischer Architekturwettbewerb SCHULBAU, Architekturwettbewerb Textilbeton, Architekturwettbewerb »Neubebauung DomRömer«
~Gerhard Matzig
Die Welt in 20 Jahren: Krankenhäuser werden nur noch von Nickl & Partner entworfen, Stadien nur noch von gmp Architekten. Die Zukunft gehört den Spezialisten. Nichts gegen die genannten Architekten. Es sind gute, erfolgreiche Büros. Aber gut ist auch, dass sie so unterschiedlich sind und dass es noch viele weitere Architekten gibt. Denn schließlich existieren auch (noch) sehr viele andere Bauaufgaben. Die Welt des Bauens ist eine an Problemen und Lösungen reiche, ja herausfordernde Welt. Das Mannigfaltige ist ihr Wesen.
Das könnte sich ändern. Architekten sind dann nicht mehr länger das, was sie seit Vitruvs Zeiten für sich in Anspruch nehmen konnten. Nämlich, ganzheitlich denkende Garanten einer auch sich selbst holistisch verstehenden Baukultur zu sein. Leute also, die in X-Stadt ein Autohaus, in Y-Stadt stadträumlichen Geschosswohnungsbau und in Z-Stadt eine Aussegnungshalle verantworten. Nein, Architekten sind dann Experten, die im Einzelfall alles über Kliniken oder Stadien wissen, aber sich vor lauter Expertise kaum mehr zuständig fühlen, wenn es darum geht, die Grundrisse von Reihenhäusern zu organisieren. Ein Nebeneffekt wird dann darin liegen, dass es junge Architekten so selten gibt wie kleine, mittelständische Büros.
Das, was man als das Querdenken am Bau bezeichnen könnte, das Potenzial der Kreativität, die Lust und auch die Fähigkeit, das sattsam Übliche infrage zu stellen: Es wird beinahe ausgestorben sein. Architektur ist dann nicht mehr die große Kunst, ein kleines Haus als Unikat zu bauen, sondern die Baukunst ist dann etwas, was am Fließband erstellt wird. Möglicherweise von 3D-Druckern.
Was sich anhört wie das Ende der Baukultur, rückt in greifbare Nähe. Einen Hinweis darauf liefert der Fall Braunfels. Bekanntlich geht Stephan Braunfels mit rechtlichen Mitteln gegen seinen Ausschluss vom Wettbewerb für den Münchner Konzertsaal vor. Der Architekt war vor einiger Zeit nicht zum Wettbewerb für die neue Philharmonie zugelassen worden, die von 2018 an in München entstehen soll. Der Fall Braunfels ist ein Indiz für ein problematisches Wettbewerbssystem.
Zur Erinnerung: Braunfels klagte gegen den vom Staatlichen Bauamt vertretenen Freistaat und erhielt erstmal recht. Der Freistaat musste daraufhin prüfen, ob Braunfels womöglich nachträglich zum Wettbewerb zugelassen werden müsste. Die zuständigen Baubehörden entschieden sich jedoch, den Architekten abermals nicht zuzulassen. Zum Zeitpunkt, da dieser Beitrag geschrieben wird, ist der weitere Verlauf dieser Auseinandersetzung offen. Aber schon jetzt ist die bisherige Rechtsprechung eine Blamage für die Wettbewerbsauslober. Die Kriterien, die zu Braunfels‘ Ausscheiden aus dem Verfahren führten, sind demnach »nicht nachvollziehbar«.
Der Fall Braunfels weist über die Grenzen eines lokal begrenzten Konflikts hinaus: Es geht um die Zukunft des Architektenwettbewerbs – und somit um einen Stützpfeiler der Baukultur. Denn die Erosion im Wettbewerbswesen ist nicht zuletzt dem Wandel von offenen zu nicht-offenen Verfahren geschuldet. Durchgeführt wurde in München zum Bau des Konzertsaals das, was als »Planungswettbewerb innerhalb des Vergabeverfahrens der VgV« bezeichnet wird, wobei die VgV die Vergabeverordnung ist, also die »Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge«. Gemeint ist eine Konkurrenz bereits namhafter Büros, an der sich im Gegensatz zu offenen Verfahren nicht alle Architekten beteiligen dürfen. Wobei die Numerus-clausus-Beschränkung dazu führen kann, unliebsame Kandidaten gezielt vor der Tür zu lassen.
Auch der umgekehrte Fall ist denkbar. In einem ganz ähnlichen (wenn auch nach der älteren Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen, VOF, durchgeführten) Wettbewerb mit Zulassungsbeschränkung wurde zuletzt der Entwurf von David Chipperfield zum Sieger erkoren. Chipperfield soll nun, ebenfalls in München, das Haus der Kunst sanieren. Er soll von Anfang an der Wunschkandidat gewesen sein. Waren Mitbewerber also im Grunde chancenlos?
Dass die nicht offenen Verfahren, bei denen der Auslober nach eigenen und eben nicht immer nachvollziehbaren, insofern justiziablen Kriterien das Feld der Konkurrenz gestalten darf, in die eine oder andere Richtung offen für manipulative Energien sind, ist in der Branche schon lange ein offenes Geheimnis. Das ändert nichts daran, dass die Bauherrenseite immer wieder davon Gebrauch macht. Beschränkt waren in diesem Sinn auch die Wettbewerbe zur Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses oder zum Museumsprojekt am Kulturforum ebendort.
Fast müsste man also zum Ergebnis kommen, der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg stelle wohl den Idealfall dar: Die Architekten des Bauwerks, Herzog & de Meuron, wurden einfach ohne jeden Wettbewerb direkt beauftragt – wie einst im Absolutismus. Leider war das nun wiederum ein Verstoß gegen das europäische Vergaberecht, und insofern verbietet sich der Schluss dann doch, auch wenn Hamburg ein spätes Happy End erlebte.
Naheliegender ist der Schluss, wieder mehr offene, transparente Architektenwettbewerbe mit unbegrenztem Zugang zu fördern. Das würde nicht nur jüngeren, weniger arrivierten Talenten entgegenkommen, sondern auch jüngere und ungewöhnlichere Ideen in das Bauen hineintragen. Es geht nicht nur um Gerechtigkeit. Es geht um die Zukunft der Baukultur.
Der Autor studierte Rechtswissenschaft, Politik und Architektur u. a. an der TU München. Er arbeitet als Redakteur und Architekturkritiker bei der Süddeutschen Zeitung.
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