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Eigentum verpflichtet?

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Eigentum verpflichtet?

In Hamburg wurde, wie in vielen Städten, die Pflege des öffentlichen Raums aufgrund knapper öffentlicher Kassen vernachlässigt. Ein Ansatz, diesen Missstand zu beheben, sind private Initiativen von Anliegern zur Quartiersentwicklung. Sie zielen in erster Linie darauf ab, den Standort ihrer meist gewerblich genutzten Immobilien attraktiver zu gestalten. In der Hansestadt sind bereits mehrere solcher sogenannten Business Improvement Districts erfolgreich realisiert worden und weitere in Planung.

~Claas Gefroi

Neue Stadtquartiere auf alten Brachen für die Aufsteiger und Etablierten, schicke Verwaltungsbauten für Großkonzerne und umgebaute Kaispeicher für Kreativ-Startups, gewaltige Einkaufspassagen mit fünf Ebenen für die Shoppenden von nah und fern: Hamburg hat sich hübsch gemacht und in den vergangenen Jahren baulich viel dafür getan, das Gespenst der Stagnation zu verbannen. Einzig mit den öffentlichen Räumen tat man sich schwer. Zwar wurden einige wichtige Straßen und Plätze umgestaltet und in neuen Quartieren wie der HafenCity aufwändig gestaltete, attraktive Freiräume geschaffen. Doch ansonsten gab es allenfalls Schlaglochbeseitigung oder neue Müllbehälter. Vor allem die Einzelhändler waren erbost, weil das Umfeld in immer größerem Missverhältnis stand zu den schicken Läden und hochwertigen Waren. Das ist beileibe kein spezifisches Hamburger Problem: »Die Kommunen und andere Träger haben aufgrund der Knappheit öffentlicher Mittel ihre Aktivitäten im städtebaulichen, sozialen und kulturellen Bereich in den vergangenen Jahren insgesamt zurückgefahren. Eine Trendwende ist nicht zu erwarten. (…) Während die Probleme deutlich ansteigen, verringern sich die Möglichkeiten der Kommunen, die Entwicklung der Quartiere direkt oder indirekt positiv zu beeinflussen.« [1]
Doch da die Hamburger Kaufleute traditionell ihre Geschicke gern selbst bestimmen, wollten sie sich mit diesem Niedergang nicht abfinden. So diskutierten sie bereits Mitte der 90er Jahre über ein stärkeres Engagement der Grundeigentümer zur Stärkung der Standorte. Initiiert von der Handelskammer Hamburg bildeten sich erste lokale Interessengemeinschaften. Dabei schaute man vor allem nach Nordamerika: In den USA und Kanada gab es seit den 60er Jahren ein Modell zur Attraktivitätssteigerung von Einzelhandelsquartieren durch gemeinsame Investitionen der Gewerbetreibenden und Immobilieneigentümer: die Business Improvement Districts (BID). Ging es dort vor allem um eine Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit (»safe and clean«) – eine Aufgabe, die hierzulande (noch) dem Staat im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge obliegt – stand für die Hamburger Geschäftsleute eine bauliche Verbesserung des Immobilienumfelds im Vordergrund, begleitet von Maßnahmen des Facility-Managements, des Marketings und der Lobbyarbeit. Nach einem Experten- Hearing in der Handelskammer 2003 wurde der Druck auf die Politik verstärkt, dafür einen gesetzlichen Handlungsrahmen zu schaffen. Die zeigte sich erfreut ob des privatwirtschaft- lichen Engagements und so beschloss die Bürgerschaft bereits 2004 das »Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentren«.
Das BID-Grundprinzip lautet: Private Akteure erarbeiten ein Maßnahmen- und Finanzierungskonzept zur Entwicklung eines fest umrissenen Quartiers und stellen dies allen Eigentümern zur Abstimmung. Wenn nicht mehr als 30 % der Eigentümer dem Antrag widerspricht, kann die Stadt das Areal zu einem Improvement District erklären. Dadurch werden alle Eigentümer zu einer Abgabe für die Verbesserungsmaßnahmen verpflichtet – Trittbrettfahren oder Verweigerung ausgeschlossen. Die Höhe des Anteils errechnet sich aus dem Einheitswert des Grundstücks, wobei es eine Belastungsgrenze gibt: Als Hebesatz für die Sonderabgabe dürfen maximal 10 % der Einheitswerte im BID-Gebiet veranschlagt werden. Für die Beantragung eines BID sowie die Verwirklichung wird ein Aufgabenträger, zumeist ein großer Baukonzern mit Erfahrung bei komplexen Projekten, ausgewählt. Die Aufsichtsbehörde kann den von ihm eingereichten BID-Antrag u. a. dann ablehnen, wenn öffentliche Belange oder die Rechte Dritter nicht ausreichend berücksichtigt wurden oder wenn das Konzept nicht geeignet erscheint, die Ziele umzusetzen. Das heißt, die Stadt hat gewisse, nicht eindeutig definierte Steuerungsmöglichkeiten. Im Anschluss schließen Stadt und Aufgabenträger einen Vertrag und die Umsetzung der zeitlich (zumeist auf drei bis fünf Jahre) begrenzten Maß- nahmen beginnt.
Hamburg hat auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet: Dem bundesweit ersten BID-Gesetz folgten rasch die ersten deutschen Innovationsquartiere: das BID Sachsentor in Bergedorf (2005, bereits abgeschlossen) und das BID Neuer Wall (2006) in der City. Jüngst wurden im Rahmen des BID Hohe Bleichen / Heuberg in der Innenstadt die Bauarbeiten abgeschlossen. Weitere sind in konkreter Planung oder angedacht. Einen quantitativen Sprung wird das derzeit vorbereitete BID Nikolai-Quartier bedeuten: Mit einem Investitionsvolumen von 15 Mio. Euro soll auf Initiative der Handelskammer ein 15 ha großes Gebiet der Hamburger Altstadt zwischen Rathaus und St.-Nikolai-Kirche aufgewertet werden – das bislang größte europäische Innovationsquartier. Die Stadt hat derweil bereits den nächsten Schritt getan: Am 1. Januar 2008 trat das »Gesetz zur Stärkung von Wohnquartieren durch private Initiativen« in Kraft. Damit kann das Instrumentarium der Innovationsquartiere auch in Wohngebieten angewendet werden. Diese Ausweitung ist möglich geworden durch die Novellierung des BauGB im Jahre 2007, in der die rechtliche Grundlage geschaffen wurde für »private Initiativen zur Stärkung und Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilzentren, Wohnquar- tiere und Gewerbezentren sowie von sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereichen«. Als eine der ersten Wohnquartiere soll die Großsiedlung Steilshoop zum HID (Housing Improvement District) werden.
Auswirkungen
In der zentralen Luxuseinkaufsstraße Neuer Wall hat sich nach Abschluss der Bauarbeiten der Straßenraum dem Warenangebot und der Klientel optimal angepasst (Planung: WES & Partner Landschaftsarchitekten, Aufgabenträger und Ausführung: Otto Wulff Bauunternehmung GmbH & Co. KG). Die Gehwege wurden verbreitert und mit hellen Granitplatten gepflastert, › › die Bordsteine weit abgesenkt, die Fahrbahn in einem etwas helleren Grau neu asphaltiert. Die Kreuzungsbereiche wurden wie die Trottoirs mit Granit gepflastert, wodurch Autofahrer zu einer defensiven, rücksichtsvollen Fahrweise angehalten werden. Hinzu kommen gepflasterte Parkstreifen, die auf den verschiedenen Straßenabschnitten die Straßenseite wechseln. Alte Bügel und Poller verschwanden ersatzlos, was dem Straßenraum neue Weite und Großzügigkeit verleiht. Auch die alten Stadtmöbel wurden durch neue ersetzt: Minimalistische Fahrradbügel, Sitzbänke, Mülleimer. Ein neues Element sind die Terrakotta-Pflanzkübel vor den Geschäftseingängen. Eine Aufweitung am südöstlichen Ende der Straße wurde zur Anlage eines kleinen Quartiersplatzes mit acht Bäumen in Orangerietrögen genutzt. Doch man beschränkte sich nicht auf bauliche Maßnahmen: Hinzu kommen Marketingmaßnahmen wie Feste, Weihnachtsbeleuchtung und Werbepublikationen.
Eine Service-Gesellschaft wurde engagiert, deren Personal den Straßenraum reinigt, für frisches Grün in den Pflanzkübeln sorgt, Falschparker vertreibt und nötigenfalls die Polizei ruft. Hinzu kommen Sicherheitsleute, die morgens und abends vor den Edelboutiquen und Juweliergeschäften Präsenz zeigen. Einen ähnlichen Weg der Aufwertung haben die Planer des BID Hohe Bleichen/Heuberg beschritten. Die Straßen liegen zwar ebenfalls im Zentrum, aber am Rande des Passagenviertels, abseits der großen Fußgängerströme. Nachdem in den letzten Jahren etliche alte Kontorhäuser modernisiert und mediokre Nachkriegs-Bürohäuser durch edle Putz- und Glasbauten ersetzt wurden, sollte nun der öffentliche Raum nachziehen (Planung: Breimann & Bruun Landschaftsarchitekten, Aufgabenträger + Ausführung: Zum Felde GmbH). Auch hier wurden Fußwege verbreitert und mit Granit belegt, Fahrbahnen heller asphaltiert, alte Poller, Bänke und Schilder entfernt. Der größte Eingriff ist die Umwandlung des großen Parkplatzes auf dem Heuberg zu einem Stadtplatz. Alte voluminöse und verschattende Bäume sowie sichtbehindernde Unterpflanzungen wurden entfernt und durch hohe, schlanke Lebensbäume (Thuja plicata) ersetzt, neue Sitzbänke aus Messing aufgestellt. Dadurch ist ein Platz mit hoher Aufenthaltsqualität entstanden, der jedermann zugute kommt. Das in Planung befindliche, riesige BID Nikolaiquartier soll gleich 15 Hektar Innenstadt zwischen Rathaus und St. Nikolaikirche aus dem Dornröschenschlaf holen (Planung: Breimann & Bruun Landschaftsarchitekten und Martin Hecht Architektur, Aufgabenträger: Otto Wulff Bauunternehmung). Dazu sind sehr weitgehende Veränderungen geplant: Neben einer neuen Bodengestaltung (helle Natursteinplatten für die Gehwege und hellgrauer Fahrwegasphalt, Kleinpflasterstreifen vor den Fassaden, Natursteinplatten mit eingravierten Firmennamen vor den Hauseingängen) sollen auch die Verkehrsführung für Busse geändert und Parkplätze verlegt werden. Zusätzliche Außengastronomie und neue Wochen- und Kunstmärkte sollen die Menschen ins Quartier locken. Die neue Straßenmöblierung wird ergänzt werden durch neue Straßenleuchten und markante große Leuchten über dem Großen Burstah.
Der Eindruck insgesamt: Alles ist dezent und edel, sauber und geordnet – und sticht dadurch (was ja Sinn der Sache war) aus dem eher abgewetzten, heterogenen und leicht schmuddeligen Umfeld der Reststadt heraus. Doch es stellt sich die Frage, ob Hamburg dadurch nicht letztlich wieder in wohlgestaltete, weil wohlhabende Viertel und arme, auch ästhetisch abgehängte Quartiere zerfällt. Und sind die Ziele, die die Immobilieneigentümer mit der Umgestaltung der »Innovationsbereiche« verfolgen, nämlich die Ankurbelung ihrer Geschäfte, deckungsgleich mit dem Gemeinwohl? Die BID-Lobby spricht Klartext: »Damit aber steht zugleich fest, dass es bei den BIDs nicht vorrangig um ideelle Zweckverfolgung gehen kann. Vielmehr geht es ausdrücklich um eine Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten…« [2]. Die Stadtforscher der HafenCity Universität haben da Bedenken: »Die öffentliche Hand ist zudem dafür verantwortlich, (…) die Sicherstellung öffentlicher Belange sowie die Berücksichtigung gesamtstädtischer Ziele zu garantieren. Durch die Wahrnehmung der städtebaulichen Abstimmungspflicht der Kommune bei der erforderlichen Genehmigung (…) muss u. a. eine introvertierte und sozial selektive Entwicklung der Verbesserungsgebiete verhindert und einer Verschiebung von Problemen aus einem Urban Improvement District in einen anderen Stadtteil vorgebeugt werden«. [1] Eine wichtige Erkenntnis. Nur wurde sie leider nicht im Hamburger BID-Gesetz berücksichtigt. Und ebenso wenig steht dort etwas darüber, auf welchem Weg man zu gestalterischen Lösungen kommt. Und so ist von Wettbewerben keine Spur. Stattdessen gibt es höchstens kleine Gutachterverfahren, die nicht dem Wettbewerbsrecht unterliegen, oder es wird gleich direkt vergeben – ein Unding angesichts des hohen Guts, das da umgestaltet wird: unser aller öffentlicher Raum. Und noch ein Aspekt sei genannt: Zwar sind sich alle Fachleute einig, dass Improvement Districts immer eine Ergänzung (»on top«) und kein Ersatz für die Aktivitäten der öffentlichen Hand im Rahmen der Daseinsvorsorge sein sollen, doch dafür müsste diese Grundversorgung erst einmal verbindlich definiert werden. Und: In Anbetracht aktueller kommunaler Finanzdebakel steigt der Anreiz zum Outsourcing staatlicher Aufgaben stetig.
Immerhin: Es tut sich etwas. Jahrzehntelang vernachlässigte öffentliche Räume werden endlich saniert und gepflegt. Doch es bleibt ein schaler Beigeschmack, wenn die Kommunen aus dieser Verantwortung entlassen werden. Es ist am Bund als Gesetzgeber, zumindest stärkere Rahmenbedingungen vorzugeben. Seine bisherige Haltung, die Ausgestaltung der Improvement-District-Gesetze den Ländern zu überlassen, reicht nicht aus. Eine Stadterneuerung und -entwicklung durch Private bedeutet eine Entstaatlichung auf sensiblem Terrain und bedarf genauer Regeln und öffentlicher Kontrolle. Angesichts von mittlerweile sieben Bundesländern mit eigenen BID-Gesetzen, 80 BID-Initiativen und 16 laufenden Verfahren (sechs davon in Hamburg) wird es dafür höchste Zeit. •
Der Autor ist Pressereferent der Hamburgischen Architektenkammer und als freier Autor und Kritiker tätig.
[1] Stefan Kreutz, Thomas Krüger: Urban Improvement Districts: Neue Modelle eigentümerfinanzierter Quartiersentwicklung, Jahrbuch Stadterneuerung 2008, Berlin 2008 [2] Andreas Schiefers, Rechtsbeistand der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V.: cima direkt. Zeitschrift für Stadtentwicklung und Marketing, 3/2006
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