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Dresden gibt die Fäden aus der Hand

Diskurs
Dresden gibt die Fäden aus der Hand

Fortsetzung Titel Wie soll es weitergehen mit der Bebauung des Neumarktes rund um die Frauenkirche? Die Frage

schien nach jahrelangen, heftigsten Debatten beantwortet, seitdem sich mit den Entwürfen und den ersten realisierten Quartieren die Befürworter einer weitestgehenden Rekonstruktion des Vorkriegszustandes – oder im Zweifel auch schon vorher abgerissener Gebäude – durchgesetzt hatten.

Mit dem Realisierungswettbewerb für ein neues »Gewandhaus« hat die Stadt nun ihren festen Willen bekundet, auch das seit Ende des 18. Jahrhunderts, seit dem Abriss des Vorgängerbaus, frei gebliebene Grundstück direkt vis-á-vis der Frauenkirche neu bebauen zu lassen – der Entwurf des Stuttgarter Büros Cheret & Bozic wurde im Mai prämiert. Damit folgte die Stadtverwaltung einem fünf Jahre zurückliegenden Beschluss des Rates, der aber offenbar bei vielen Beteiligten erfolgreich verdrängt worden war, blickt man auf den Grad der erregten Überraschung und die aggressive Debatte über Sinn oder Unsinn des Vorhabens. Dass die Wellen derart hochschlugen, ist nicht verwunderlich. Es geht um eines der prominentesten Grundstücke am Neumarkt. Und ausgerechnet hier soll nun ein Gebäude entstehen, das die Bezugnahme auf den Charakter des Platzes ausschließlich in einer Konvergenz als Körper und Volumen, nicht aber als detailgetreue Nachbildung – wessen Vorgängers auch – zu verwirklichen sucht.
In den einschlägigen Internet-Blogs wird deshalb schon mal militärisches Vokabular bemüht, um die prämierte »Wegwerfarchitektur« aus der Stadt zu jagen; bei der ersten Vorstellung der Entwürfe wurden die Architekten – offenbar gezielt inszeniert – niedergeschrien. Die Klasse Baukunst der Akademie der Künste organisierte gleich zwei Symposien zur Debatte um die Moderne in der historischen Stadt. Die TEDs liefen heiß; die Fraktionen meldeten Beratungsbedarf und entschieden sich für Zeitgewinn.
Dem dient auch der Beschluss, für 160 000 Euro ein begehbares Raumgerüst in Auftrag zu geben. Dessen für November vorgesehene Errichtung wurde aufgrund angeblich gestiegener Kosten erst einmal vertagt. Es bleibt das Ziel, durch die stadträumliche Vergegenwärtigung des Geplanten inklusive seiner Fassade dem Stadtrat die Entscheidung für oder gegen den Verkauf des Grundstücks an Kondor Wessels zu erleichtern. Die niederländische Investorengruppe hatte zuvor federführend ein benachbartes Quartier »entwickelt«. Zyniker könnten anmerken, dass schon dieses Projekt, wie die Neu-Bebauung des Neumarktes insgesamt, einer begehbaren Simulation gleicht. Ernster zu nehmen – und das gilt für Gegner wie Befürworter – sind aber die Überlegungen zu den städtebaulichen Konsequenzen einer Bebauung: Unabhängig aller noch so sensiblen und maßvollen Einfügung in das vorhandene oder noch entstehende Umfeld kragt der Baukörper weit in die jetzt noch weitläufige, »offene« Platzsituation hinein und strukturiert diese grundlegend um. Dabei beharren die Gegner der Bebauung auf der Freihaltung aller möglichen Sichtachsen auf die Frauenkirche als Mittelpunkt des Neumarkts. Dieser Konzeption eines Blickregimes steht seitens der Befürworter das Ziel gegenüber, ein differenzierteres Ensemble zu schaffen, das sich im »Ergehen« in vielfältig wechselnden Ansichten sowie der Kombination intimerer und großzügigerer Platzsituationen vermittelt. Darum zu streiten, würde sich lohnen, aber leider dominieren die grundsätzlichen Grabenkämpfe zwischen »Traditionalisten« und »Modernen« die Debatte.
Doch noch auf einer anderen Ebene wird Grundsätzliches berührt. So hat die Stadt den Vorwurf, ihr ginge es allein um die Einnahmen aus dem Verkauf des Grundstücks, bislang nicht überzeugend entkräften können. Ebenfalls unzureichend konkretisiert wurde bislang die Frage nach der Nutzung des Neubaus. Neben einer »Erlebnis-Gastronomie« mit Blick auf die Frauenkirche in Erd- und erstem Obergeschoss soll in den oberen Stockwerken eine »Kunsthalle« für zeitgenössische Kunst entstehen. Hier spricht der Investor aber bisher recht nebulös von süddeutschen Privatsammlern, die sich engagieren wollen, kann oder will sie aber nicht benennen. Und obwohl die Debatte um das Desiderat einer Kunsthalle seit dem Verzicht auf das Engagement des Sammler-Ehepaares Hoffmann mit einem Entwurf von Frank Stella 1992 die städtische Kulturpolitik begleitet, wurde beim Wettbewerb und seither auf die Einbeziehung des Kulturamtes und der städtischen Ausstellungshäuser verzichtet – von der Entwicklung eines kuratorischen Konzeptes ganz zu schweigen.
Damit ist ein Konflikt berührt, der die Debatten um den Neumarkt und die Entwicklung des übrigen Stadtzentrums seit Anfang der neunziger Jahre durchzieht, der Konflikt zwischen der Zulässigkeit privaten und der Notwendigkeit öffentlichen Handelns. Selbst an diesem exponierten Ort, auf dem eigenen Grund, und mit der Vorgabe einer öffentlich-kulturellen Nutzung will die Stadt auf ein eigenes Engagement verzichten, das über einen möglichen, schon mehrfach praktizierten Rabatt beim Grundstückspreis hinausgeht. Alle eigenen Grundstücke zu verkaufen und damit die Fäden aus der Hand zu geben, dann zwischen privaten Lobbygruppen wie der Gesellschaft Historischer Neumarkt und privaten Investoren zerrieben zu werden, ihnen gegenüber aber nur noch rhetorisch eine neu-alte »Bürgerlichkeit« einklagen zu können: Dieses Konzept darf als gescheitert gelten. Kein Gedanke wurde offenbar auf andere Rechts- und Finanzierungsmodelle verschwendet. So spielte etwa das Modell einer gemeinsamen Stiftung keine Rolle, in die die Stadt ihr Grundstück einbringen könnte, wie es gerade für die westlich anschließenden Quartiere diskutiert wird, wenn denn schon eine ausschließlich kommunale Finanzierung mit Rücksicht auf den Haushalt ausgeschlossen wird. Die Prominenz des Ortes mit einem eigenen Bekenntnis zu verbinden – hier läge vielleicht ein Ansatzpunkt für die Befriedung der Diskussion, die Baudezernent Herbert Feßenmayr vor der Akademie der Künste mit einem Anflug von Resignation anmahnte.
~Torsten Birne
Der Autor ist Kunsthistoriker und Kurator. Er lebt und arbeitet in Dresden.
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