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Wie sich die temporäre Umsatzsteuersenkung auf den Baubereich auswirkt

Wo ein Wille, da ein Weg
Zu den strukturellen Problemen in der Baupolitik

Zu den strukturellen Problemen in der Baupolitik

Umsatzsteuersenkung, Fördertöpfe – alles fein. Zuvor gehören jedoch strukturelle Probleme gelöst

In fünf Monaten zum Traumhaus – mit Abnahme und Rechnungsstellung 31.12.2020. Das mag ein Wunsch mancher Bauherren gewesen sein, die sich im Juli an einen Architekten wandten, oder gar das utopische Wunschdenken politischer Entscheider? Was sonst hat diese dazu bewogen, mit der temporären Umsatzsteuersenkung nur jene Bauverträge und somit Auftraggeber zu bevorteilen, deren Projekte im Zeitraum Juli bis Dezember dieses Jahres fertiggestellt wurden oder noch werden? Und nicht jene Verträge steuerrechtlich zu begünstigen, die – ganz im Sinne des Ziels der Konjunkturankurbelung – erst in diesem zweiten Halbjahr aufgesetzt wurden bzw. werden. Ein unkorrigierbarer Flüchtigkeitsfehler? Wohl kaum, schließlich wurde kurz vor Inkrafttreten des zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes u.a. von Kammern und Bauwirtschaft darauf hingewiesen, über eine Ausnahmeregelung bevorzugt den Vertragsabschluss als Stichtag zu verwenden anstelle des Zeitpunkts der Vollendung.

Wollten die Entscheider, bisweilen nachvollziehbar, eine für den Baubereich länger abgesenkte Umsatzsteuer dann doch nicht riskieren? Oder reagierte man schlichtweg und wie so oft mit wenig Weitsicht auf das Baugeschehen, das möglicherweise 2021 in eine Rezession abgleiten wird? Nachgefragt beim Bundesbauministerium (genauer Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat), verweist dieses nur auf das zuständige Bundesministerium der Finanzen – das sich wiederum auf die »in § 13 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a« des Umsatzsteuergesetzes getroffene »Regelung zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer« beruft. Doch wo ein Wille, wäre sicher auch ein (anderer) Weg gewesen. Nun also dürfen sich all jene Bauherren mit lange vor Corona abgeschlossenen Verträgen glücklich schätzen, deren Bauabnahme zufälligerweise in den passenden Zeitrahmen fällt. Ein Irrsinn.

Für die Planer sind die Auswirkungen der temporären Senkung zwar individuell verschieden, aber bisweilen immens: Zum einen mehrten sich die Anfragen interessierter Bauwilliger in den Büros – ganz in der Hoffnung und mit der Erwartungshaltung, noch ein Schnäppchen zu machen. Folglich stieg, etwa bei der Architektenkammer in Baden-Württemberg, die Nachfrage nach Informationsmaterial für Bauherren und Auftraggeber. Immerhin galt es nun Möglichkeiten zu prüfen, ob sich aus einem bereits vor Juli geschlossenen Vertrag noch Arbeiten ausklammern lassen, die sich – als in sich abgeschlossene Teilleistung im Zeitraum Juli bis Dezember – mit dem geringeren Umsatzsteuersatz abrechnen lassen. Zum anderen aber erhöht sich der steuerrechtliche und bürokratische Verwaltungsaufwand beträchtlich, wenn z.B. Abschlagsrechnungen rückwirkend korrigiert und verrechnet werden müssen.

Immerhin mag die jetzige Regelung zumindest ein zusätzlicher Anreiz sein, wenigstens kleinere Sanierungsvorhaben anzustoßen: Die Förderung etwa für einen Heizungstausch ist ohnehin seit Januar erhöht, laut Spitzenverband der Gebäudetechnik würden BAFA-Anträge seit Mai recht schnell abgewickelt. Auch der von der Deutschen Energie-Agentur im Juni herausgegebene »Marktmonitor« hebt die stark nachgefragten, verbesserten Fördermöglichkeiten bei BAFA und KfW positiv hervor. Ansonsten zeichnet er aber ein eher düsteres Bild: Der Markt lebe überwiegend vom Auftragsbestand, die Zahl der Neuaufträge sei rückläufig und v.a. bei Nichtwohngebäuden verzeichne man Einbußen, ebenso wie z.B. Bauprodukte-Hersteller. Den Gebäudesektor würde die Krise vermutlich zeitverzögert noch stärker treffen, wenn nicht gegengesteuert und in die digitale Infrastruktur (inkl. schneller Genehmigungsprozesse) investiert würde, die öffentliche Hand mehr baue oder selbst Aufträge vergäbe.

Ähnliche, konkretisierte Ideen folgten Anfang Juli, als die Bundesstiftung Baukultur ein gemeinsam von Kammern, Verbänden und Institutionen der Planungs- und Bauwirtschaft erarbeitetes Maßnahmenpapier veröffentlichte. 23 Unterzeichner – die jahrelangen Schwach- und Baustellen wohlweislich kennend – machen darin zahlreiche Vorschläge, um die Gelder des jetzigen, milliardenschweren Konjunkturpakets auch wirklich vernünftig einzusetzen. Denn gerade beim Personalmangel und bei der Digitalisierung (nicht nur der Lehrer, sondern auch der Bauämter inkl. im Homeoffice befindlicher Verwaltungsangestellter), beim ökologischen und sozialen Wohnungsbau und v. a. beim Klimaschutz tat sich die Regierung in den vergangenen zehn Jahren alles andere als positiv hervor. Man siehe auch die immer wieder als zu niedrig bemängelten Sanierungsraten, eine vorherrschende Abrisseuphorie, die Dauer des im Juni endlich verabschiedeten Gebäudeenergiegesetzes (mit nun fragwürdiger »Innovationsklausel«, siehe auch db 9/2019, S. 3) oder die Unmöglichkeit einer Mobilitätswende (mit einem seit 2009 von der CSU gestellten Verkehrsminister). Selbst ständig aufs Neue angeschubst von der Friday-for-Future-Bewegung und diversen Petitionen aus der Bürgerschaft, folgten – bis auf das durchaus sinnvolle Füllen diverser Fördertöpfe – meist nur Worte und Versprechungen anstelle einer deutlich beschleunigten und nennenswerten klimapolitischen Änderung mit weitreichenden, zukunftsorientierten und strukturellen Maßnahmen. Wie etwa sollen die CO2-Emissionen im Gebäudebereich bis 2030 von derzeit 120 Mio. auf 70 Mio. t sinken, wie es im 2019 beschlossenen Klimaschutzprogramm verankert ist?

Dass, bei zukünftig knapper werdender Haushaltskassen, all die notwendigen baulichen und klimapolitischen Veränderungen binnen weniger Monate angegangen werden, darf angesichts einer im interministeriellen, lobbyistischen oder wahlpolitischen Gerangel schwankenden Regierung bezweifelt werden. Doch wer will, der kann: Wenn nur ein Großteil dessen ansatzweise so schnell ins Rollen gebracht werden könnte wie die zur Bekämpfung der Pandemie erforderlichen Maßnahmen, es wäre eine wirkliche Überraschung. Also: Wann, wenn nicht jetzt?

~Christine Fritzenwallner
Die Autorin ist db-Redakteurin u. a. für Energie und behält seit Jahren auch die Klimapolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Blick.


Zum Maßnahmenpapier der Planungs- und Bauwirtschaft zur Umsetzung des Konjunkturpakets mit Nennung aller beteiligten Unterzeichner:
www.bundesstiftung-baukultur.de/…/200703_massnahmenpapierverbandegesprach_umsetzungkonjunkturpaket.pdf

Zum dena-»Marktmonitor«:
www.dena.de/…/dena-MARKTMONITOR_Gebaeudesektor.pdf

Desweiteren:
dena-Diskussionspapier:
www.dena.de/…/Impulse_fuer_die_weitere_Ausgestaltung_des_Konjunkturprogramms.pdf


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