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Die Meisterplaner von Nürnberg

Diskurs
Die Meisterplaner von Nürnberg

Um die Nachnutzung der »Quelle-Bauten« von Ernst Neufert entspinnt sich in Nürnberg seit Herbst letzten Jahres eine Art Reality-Soap, eine Sondervor-

~Gernot Weckherlin

stellung des Komödienstadels mit Architekturschwerpunkt. Handelnde Personen: Markus Söder, Bayerischer »Chief Information Officer« (laut Pressemitteilung vom 14. Januar) und Finanz- und Heimatminister mit Wahlkreis und Teil-Dienstsitz in Nürnberg – eine portugiesische Immobilienfirma, die bisher durch eher unsubtile Projekte auf dem Geschäftsfeld Shopping-Mall aufgefallen ist (»Alexa«, Berlin) – Ulrich Maly (bundesweit bekannter SPD-Oberbürgermeister von Nürnberg, weil Präsident des Deutschen Städtetags). Dazu in den Nebenrollen: Architekten, Denkmalpfleger, Planungsdezernenten, Museumsleute, Historiker. Außerdem zwei mythologische Figuren aus alten Zeiten: Die eine davon ist der Versandhausgründer Gustav Schickedanz und die andere der Architekt Ernst Neufert, welcher in den 50er Jahren das Quelle-Großversandzentrum zwischen Nürnberg und Fürth gebaut hat.
Ausgangssituation: Nach jahrelangem Missmanagement geht 2009 das Versandunternehmen Quelle pleite, entlässt über 5 000 Mitarbeiter und hinterlässt in Nürnberg u. a. das nach dem Flughafen Tempelhof zweitgrößte ungenutzte Gebäude Deutschlands, die Logistikzentrale: Nutzfläche ca. 250 000 m², Leerstandsquote 100 %, guter baulicher Erhaltungszustand, leider wenig Tageslicht im Innern. Es herrscht Kommunalwahlkampf.
Erster Akt: Um diese – je nach Sichtweise als »Ikone des Wirtschaftswunders«, »Meisterwerk eines Bauhaus-Architekten«, oder »altes Gelumpe« bezeichnete Liegenschaft entbrennt ein monatelanger Streit wie um einen überschuldeten bayerischen Erbhof. Pikant dabei nur, dass sie keinem der Beteiligten tatsächlich »endgültig« gehört. Die Konkursmasse wird noch immer von alpenländischen Gläubigerbanken und niederländischen Insolvenzverwaltern mit Argusaugen gehütet. Der Investor hat bisher nur einen Kaufvertrag mit aufschiebender Wirkung über das Areal abgeschlossen, wobei die Vorbehaltsklausel darauf hinausläuft, dass im Falle des Scheiterns der Projektentwicklung eben dieser Vertrag möglicherweise nicht zustande kommen wird.
Nun machen ihrerseits die Strategen von Sonae Sierra Markus Söder ein listiges Angebot. Sie wollen dem Freistaat Bayern 70 000 m² dieser wegen der enormen Gebäudetiefe nicht ganz leicht nutzbaren Liegenschaft für einen Euro »schenken«, um dort einen attraktiven Hochschulstandort einzurichten. Im »Immobiliensprech« wird ein solcher »Ankermieter« genannt, denn bisher sind von der Stadt Nürnberg nur Einzelhandelsflächen genehmigt, die etwa dem vormaligen »Quelle-Markt« entsprechen. Mit diesen allein ist der Großbau aber nicht wirtschaftlich zu betreiben.
Zweiter Akt: Diese Offerte wiederum verhilft dem inzwischen auch als Brandschutz- und Denkmalfachmann fungierenden Universalexperten Söder und dem Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly immer wieder zu Auftritten. Ersterer stellt einerseits ohne kleinliche Kostenrechnung und genauere Voruntersuchungen fest, dass man bei Quelle ein Problem mit dem Brandschutz habe, und überhaupt seien die Betondecken für die Räume einer gewichtigen bayerischen Universität nicht tragfähig genug, gar nicht zu reden von den Kosten in Milliardenhöhe. Deswegen müsse die Liegenschaft am besten gleich ganz, oder wenigstens teilweise abgerissen werden. Söder lehnt das Angebot des Investors ab. Denkmalschutz ist für den Digitalisierungsminister Söder – Ikone des Wirtschaftswunders hin und erster Einsatzort einer elektronischen Datenverarbeitung in Bayern (1953) her – kein Argument gegen einen Abbruch. Vielmehr bräuchten die Nürnberger Wohnungen, die der Minister hier in feschen Neubauten imaginiert. Inzwischen ist jedoch ein Teil der Liegenschaft wieder an zahlreiche Gewerbebetriebe, Einzelhändler und eine überaus agile »Kreativwirtschaft« vermietet. Die Dezernate der Stadt Nürnberg arbeiten unterdessen unverdrossen weiter an Bebauungsplänen für die Umgebung des Gebäudes (Wohnungsbau und Grünflächen) und fordern eine Machbarkeitsstudie in Bezug auf die Nutzung als Uni-Standort. Söder lehnt die Beteiligung des Freistaats daran kategorisch ab.
Dritter Akt: Architekturhistoriker eröffnen im November 2013 eine Ausstellung über den Quelle-Architekten (Auftritt: personifizierter Mythos Neufert) in einem weiland von König Edmund großzügig seinen Nürnbergern geschenkten Museum. Sie geben Interviews fürs Feuilleton und das ungewöhnlich kritisch berichtende Bayerische Staatsfernsehen. Oberbürgermeister Maly hingegen konzentriert sich – nicht minder öffentlichkeitswirksam – auf die Rolle des Denkmalretters mit Herz und hat, in steter Konkurrenz mit den ungeliebten Nachbargemeinden Erlangen und Fürth um mehr Universitätsstandorte stehend, argumentativ weiter aufgerüstet. Dann, Anfang Dezember 2013 treten gleich drei bayerische CSU-Minister in Nürnberg zu einem veritablen Showdown an, um par ordre du mufti zu beschließen, dass die Universität Erlangen-Nürnberg verstärkt im hochschulmäßig vernachlässigten Nürnberg angesiedelt werden solle. Allerdings nicht »auf Quelle«, sondern eingemietet »auf AEG«, dem direkt gegenüber liegenden ehemaligen Industrieareal. Darüber, von wem und auf welche Art die Wirtschaftlichkeit dieser Vorschläge geprüft wurde, ist durch keine Nachfrage Genaues zu erfahren.
Vierter Akt: Die Frist für die aufschiebenden Bedingungen des Kaufvertrags rückt, genauso wie der Wahltermin im März unerbittlich näher. Die Nervosität bei den vorläufigen Eigentümern wie bei den Kommunalpolitikern steigt. Online-Petitionen für das Denkmal werden hektisch gestartet …
Fortsetzung folgt im nächsten Stadel.
Der aus Bayern stammende Autor ist Architekturhistoriker und -journalist in Berlin. Er promoviert über Ernst Neuferts Bauentwurfslehre.
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