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Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt von Coop Himmelb(l)au

Die Großfigur stimmt: Der geglättete Dekonstruktivismus des EZB-Turms schafft ein neues Frankfurtbild
Neubau Europäische Zentralbank

Die Formensprache von Coop Himmelb(l)au mag auf so manchen Beobachter ein wenig angestaubt wirken, Signetcharakter entfaltet sie aber allemal und beschert der Frankfurter Skyline ein völlig neues Gepräge. Sie eignet sich auch als Symbol für die widerstrebenden Kräfte, die in der EU unter einem gemeinsamen Dach zusammenwirken müssen. Dennoch vermag die Architektur der EZB nicht in allen Aspekten zu überzeugen und entzieht sich der eindeutigen Einteilung in gut oder schlecht.

~Enrico Santifaller

Es lohnt sich derzeit, einen Blick in die Lokalteile Frankfurter Tageszeitungen zu werfen. Immer wieder wird dort – vielfach von nostalgischen Molltönen begleitet – die Konversion des alten Arbeiterviertels Ostend in einen schicken Kommunikations- und Dienstleistungsstandort beschrieben. Bis in die 70er Jahre beherrschten Fabriken und Blaumänner das Bild, dann entdeckten die Kreativen das heruntergekommene, aber billige Flächen bietende Quartier. Spätestens jedoch die auch in der Architekturpresse gelobte Umwandlung der Union-Brauerei zu einem Büro-, Loft- und Gewerbekomplex durch den Investor Ardi Goldmann und den Architekten Michael Landes kündigte im Jahr 2000 die unaufhaltsame Veränderung des Stadtteils an. Heute befinden sich dort ein »Hafenpark« mit Sportfeldern und Skateranlage, ein attraktiv umgestaltetes Mainufer mit hochpreisiger Gastronomie, quadratische Wohntürme für »High Potentials« und hippe Läden. Und während der großkoalitionäre Ortsbeirat Segregation beklagt, ist inzwischen selbst das »Sudfass« an der Flößerbrücke verschwunden: Das weit über Frankfurt hinaus bekannte Bordell, in dem einst die Rockgrößen von »The Who« vergeblich Einlass begehrten, musste einem zehngeschossigen Boardinghouse weichen. Als Sinnbild für diesen Umwandlungsprozess, aber, um ehrlich zu sein, nicht unbedingt dessen Motor, ragt der Prachtbau der Europäischen Zentralbank (EZB) bis in 185 m Höhe. Im November vergangenen Jahres wurde er bezogen.
Wolf D. Prix, Gründer von Coop Himmelb(l)au, erläutert auf Presseführungen und in Interviews immer wieder sein Bestreben, für die EZB-Türme eine möglichst emblematische Form zu schaffen. »Europa braucht eine dreidimensionale Ikone«, sagt der letzte Rock ’n’ Roller der zeitgenössischen Architektur und erklärt – mehrsprachig und mit großer Geste –, wie er einen Längsquader hyperbolisch durchschnitten, die gekrümmten Seiten nach außen und eine Hälfte auf den Kopf gestellt habe. Das entstandene Gebäudepolygon ist in vielfacher Hinsicht einzigartig. Und lange vor der Fertigstellung zum Symbol geworden. So entdecken etwa die Euro-Kritiker in den gewundenen Türmen die sinnbildliche Vorwegnahme einer Geldpolitik, die sich von ihrer vornehmsten Aufgabe, der Verpflichtung zur Geldwertstabilität, längst entfernt hat. Den Bankenkritikern von Blockupy und Attac dagegen ist das Gebäude zum baulichen Signet eines globalisierten Finanzkapitalismus geworden. Hin und wieder veranstalteten sie »Baustellenspaziergänge«, kurz vor dem Umzug gelang es ihnen sogar, das EZB-Gelände zu stürmen und mit ein paar Farbbeutel-Würfen zu verzieren (und entlarvten damit das eifersüchtig gehütete Sicherheitskonzept, das etwa die Publikation von Grundrissen und Schnitten verbietet, ganz en passant als absurde Veranstaltung). Anderen dient das »Eingangsgebäude«, welches die einst »Gemüsedom« genannte Großmarkthalle »zerschneidet«, als prominenter Beleg für die Rücksichtslosigkeit von zeitgenössischen Architekten (und freilich auch Investoren, die in vorauseilendem Gehorsam jedoch stets unerwähnt blieben) beim Umgang mit dem erhaltenswerten Bestand.
Mission completed, also? Nun sind seit dem mehrphasigen Wettbewerb, an dessen Ende man die Wiener Himmelbauer als Sieger gekürt hatte, mehr als zwölf Jahre vergangen. Immer wieder haben die EZB-Bauverantwortlichen die Architekten dazu gedrängt, Entwurfsbestandteile zu überarbeiten, zu optimieren, neuen Anforderungen anzupassen. Und während im Umfeld »vieles in Bewegung« geriet, wie die FAZ jüngst einen Frankfurter Projektentwickler zitierte, ist aus einer Architektur, die nach dem berühmtesten Diktum des Coop-Prinzipals brennen muss, ein Mainstream-Dekonstruktivismus geworden. Eine ziemlich geglättete Skulptur, in der zwar noch einiges splittert, einiges schief und schepp daherkommt und anderes scharf kantet, das Gebäude zwar immer wieder rasante, z. T. atemberaubende Perspektiven bietet und je nach Lichteinfall und Stellung zum Gebäude wie ein von allem Irdischen enthobener Leuchtturm über dem Ostend thront, das aber insgesamt doch recht brav, mitunter auch bemüht und willkürlich geraten ist. Eine Architektur, die bisweilen sogar old-fashioned wirkt. Und weil die Banker vor der nicht ganz einfachen Aufgabe stehen, eine Gesamtinvestitionssumme von 1,3 Mrd. Euro für ihre Zentrale zu rechtfertigen (und durch eine hervorragende Pressepolitik erreichten, dass sich die veröffentlichte Meinung bislang nicht skandalisierte), stellten sie irgendwann das »Funktionale«, sprich: das Gängige und Altbekannte in den Vordergrund.
Es ist das Ambivalente, das haften bleibt. Richtig ist, dass die Stadt Frankfurt jahrelang einen Investor suchte, der die jahrzehntelang vernachlässigte Großmarkthalle, Martin Elsaessers Opus magnum im doppelten Sinne, erhalten und sinnvoll nutzen könnte. Und richtig ist auch, dass unter den 80 Entwürfen des 2002 ausgelobten Wettbewerbs – und teilgenommen hatte bis auf wenige Ausnahmen die Hautevolee der internationalen Architekturszene – letztlich kein einziger war, der eine architektonisch einigermaßen schlüssige Synthese zwischen einer Neuerfindung und diesem 250 m langen und 50 m breiten Trumm präsentierte. Richtig bleibt aber auch, dass vom spektakulären Raumeindruck, den die Halle in ihrem Innern einst bot, wegen der Kantine, der Konferenzbereiche und des Eingangsbauwerks entgegen aller Aussagen der Verantwortlichen kaum mehr etwas geblieben ist. Unverständlich ist es nach wie vor, dass die sich auf die Umgebungshöhe abtreppenden Annexbauten, mit denen Elsaesser das kleine Wunder gelang, seinen Riesen mit dem Quartier zu verschränken, aus Sicherheitsgründen abgerissen wurden. Auch wenn zuvor die einzelnen Klinker sorgsam abgeklopft und restauriert wurden, um Stellen an anderen Bauteilen, an denen Klinker abgeplatzt waren oder beschädigt wurden, unter Verwendung farbechten ›
› Mörtels sorgsam wieder auszubessern. Unverzeihlich schließlich ist es, was mit der Fassade passierte: Elsaesser hatte sie mit feinem Gefühl für Proportion und Licht-Schatten-Wirkung vertikal mit einem klinkerverblendeten erdgeschossigen Umgang, einem geschosshohen Klinkerband und einem mächtigen, in sich nochmals unterteilten Betonraster gegliedert. Um mehr Licht in das Gebäude zu bringen, wurde das Klinkerband durch eine bräunliche Verglasung ersetzt; die Betonlisenen sind nun nicht mehr in massives Mauerwerk eingesenkt, sondern wirken wie abgeschnitten. Das Raster hängt in der Luft, der in sich logische Fassadenaufbau ist dahin.
Auch beim Neubau drängt sich der Eindruck auf, dass die Architekten den großen Maßstab zwar ganz vorzüglich beherrschen, jedoch nicht den kleinen, nicht das Detail. Büroräume z. B. hat man schon um einiges eleganter gesehen, selbst der »Große Ratssaal«, in dem die Notenbankpräsidenten der EU-Staaten konferieren, ist bis auf das etwas gewollte Deckenrelief mit Europakarte und die betörende Aussicht beflissen bescheiden. Schlimm auch der exzessive Gebrauch von großformatigen Aluminiumverbundplatten: Untersichten sind damit bekleidet, Brüstungen, Stege, riesige Flächen im Atrium, ohne der haptischen Wahrnehmung etwas zu bieten, ohne Atmosphäre, ohne eine bildnerische Aussage zu unterstützen. Und doch gelingen durch Verschneidungen, durch Durchbohren und Überlagern räumlich spannende Situationen. Auch für die Zonierung der Räume in den Türmen und damit zusammenhängend für das Tragwerk kann man den Planern ein Kompliment aussprechen: Die nur 6 m tiefen Erschließungskerne sind an den geraden Innenseiten der Türme angeordnet – mit der Konsequenz, dass sehr viele Büroflächen am Fenster möglich werden. Die Gebäudeaussteifung erfolgt über bis zu 50 m lange Streben und die Umsteigeplattformen des gedrittelten Atriums zwischen den Türmen, das ursprünglich ein einziger Raum sein sollte. Der Brandschutz verhinderte dies. Auch das im Vorfeld mit Brian Cody entwickelte, hoch avancierte Klimakonzept, nach dem die Büros über das Atrium ganzjährig natürlich belüftet und konditioniert werden sollten, wich einem konventionelleren, das nur noch im Frühjahr und im Herbst versucht, auf Aggregate zu verzichten.
Schließlich: Die Großfigur stimmt. Von der Frankfurter Innenstadt oder von Offenbach kommend ist das EZB-Prisma ein Ereignis. Eine Landmarke mit großer Strahlkraft. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Frankfurt der kontinentaleuropäische Finanzplatz ist – jetzt braucht es wohl auf Jahrzehnte hinaus keinen mehr. Bestimmte bis vor Kurzem noch das Dreigestirn aus Messeturm, Commerzbank-Zentrale und Kronenhochhaus das kollektive, in den Medien millionenfach reproduzierte Frankfurtbild, so präsentieren Fotografen und Kameraleute jetzt ein neues Image der Bankenmetropole: im Vordergrund das Mainufer mit einer alten Eisenbahnbrücke, im rechten Drittel die EZB-Türme und links davon abgesetzt und eher im Hintergrund die Skyline. Brennen tut da nichts mehr, aber auf Fotos macht sich der Dekonstruktivismus nach wie vor gut. •
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