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Deutsche Dorica

Diskurs
Deutsche Dorica

Einen Totalumbau des deutschen Pavillons in den Giardini von Venedig hatte schon Arnold Bode 1957 gefordert – um die Erinnerung

~Nikolaus Bernau

an die Nazi-Zeit zu tilgen. Und 2010 war der damalige Präsident der Bundesarchitektenkammer, Arno Sighart Schmidt, zu der – angesichts einer Vielzahl von gelungenen Ausstellungen – durchaus überraschenden Erkenntnis gelangt, der Pavillon sei funktional und für eine Demokratie »ungeeignet« und durch einen Neubau zu ersetzen.
Parallel zur 14. Architekturbiennale veranstaltete der Deutsche Werkbund nun in der einst noblen Ca‘ Tron nahe der Kirche San Stae eine Ausstellung mit teils exquisit ausgearbeiteten Modellen und Zeichnungen zum Umgang mit dem ungeliebten Gebäude. 22 eingeladene Architekten haben keine Mühe gescheut, um ihre Idee zum gegebenen Thema »This is modern« kundzutun. Was im Deutschen durchaus doppeldeutig sein kann: Dies ist Moderne oder dies ist modern. So wie auch der Gegenstand des Gedankenspiels, das der Werkbund ausgerufen hat, doppeldeutig ist: Der deutsche Pavillon auf dem Biennale-Gelände sei, wird als These aufgestellt, marode, müsse also entweder renoviert oder ersetzt werden. Tatsächlich ist er tipptopp in Ordnung.
Zum letzten Mal war der Pavillon 1938 im Auftrag von Reichskulturkammerpräsident Adolf Ziegler nach Plänen des Münchener Architekten Ernst Haiger tiefgreifend umgebaut worden. Die anstelle des ursprünglich leichten ionischen Portikus eingesetzten straffen, dorisierenden Pfeiler mit dem schweren Architrav verkünden jene Machtallüre, die auch die Nazi-Tempel am Münchner Königsplatz behaupteten. Dem Innern wurde alles Kaiserzeitliche ausgetrieben; es ist seither von geradezu bestürzender »Modernität« mit klaren, weißen Innenräumen, Steinböden, hoch in die Wände eingesetzten Fensterreihen. So etwas hat die Avantgarde der 20er Jahre als Museumsideal gefordert.
Im dickleibigen Katalog zur Ausstellung konstatiert der Architekturhistoriker Wolfgang Schäche mit guten Gründen, dass es keine fassbaren Kategorien einer nationalsozialistischen Architektur gebe, und sein Dortmunder Kollege Wolfgang Sonne behauptet, dass Architektur auch als reine Form gelesen werden sollte, ohne Blick auf die Intentionen der Auftraggeber, der Architekten, die Rezeptionsgeschichte. Diesen intellektuellen Freibrief nutzten Patzschke & Partner in ihrem Beitrag für einen peinlichen Aufguss von Tessenows Entwurf für die Neue Wache von 1930: Hauptsache Pfeilerfront. Wie kraftvoll und durchdacht wirkt daneben Uwe Schröders Versuch einer gewaltig-römischen Thermenhalle, oder Hans Kollhoffs Vorschlag, den dorisierenden Portikus Haigers durch einen wirklich dorischen zu ersetzen, mit Säulen statt Pfeilern, und durch das ausgeweitete Dach einen regelgerechten Tempel entstehen zu lassen. Aber auch hier stellt sich die Frage: Was bedeuten die Pfeiler, Gewölbe oder Säulen? Die Dorica jedenfalls ist nicht nur architektonische Abstraktionsform; sie wurde seit dem 19. Jahrhundert von deutschnationalen Architekten auch als genuin »germanische« Macht-Ordnung beansprucht. Ist solch eine Botschaft »modern«?
Alleine Arno Brandlhuber reagiert auf die Ambivalenz des Haiger-Baus mit einer für den Schlingensief-Pavillon von 2012 entstandenen Installation: Ein bunter Gebetsteppich mit den Porträts der »Moderne«-Säulenheiligen Mies, Gropius, Le Corbusier und Scharoun, darauf Abgüsse der Pfeiler von 1938, der Innenraumausguss des Pavillons sowie Zeitschriften, die jene, auch dem Nationalsozialismus inhärente Modernität, ihre Wurzeln in der Kaiserzeit und ihre Wirkung bis heute nachzeichnen. Die meisten anderen Architekten hingegen stellten sich der Aufgabe Bauplanung allzu bereitwillig, allzu eindimensional. Behnisch will, wer erwartete anderes, den erinnerungsbeladenen Massivbau mit einem heiteren Stangenwald unter Pinien ersetzen, Jan Kleihues durch eine vorzüglich durchgearbeitete Etüde über ummauerte Räume, Ackermann und Partner mit einem leichten 60er-Jahre-Pavillon. Max Dudler fügt den Haiger-Bau in einen gigantischen cartesianischen Käfig à la Ungers ein, Sergei Tchoban interpretiert ihn als Ruine, auf dessen Außenmauern ein gläserner Aussichtspavillon mit herrlichem Blick über Venedig gesetzt werden kann. Grüntuch Ernst haben einfach ihren Biennale-Beitrag von 2006 mit dem faszinierenden roten Dachaufbau reaktiviert, Schneider & Schumacher wollen den Pavillon auf Meeresniveau absenken in einem kreisförmigen Teich – man sieht Priester-Kuratoren wandeln, so wie auch in dem betongrauen Kellerlabyrinth von Jürgen Meyer H.. Ganz und gar pragmatisch sind hingegen die Entwürfe von Stephan Braunfels, der die Rückseite des Pavillons mit einer luftigen Pergolaterrasse hin zur Lagune öffnen will, oder von Gesine Weinmiller, die ein Restaurant im ausgeweiteten Sockelbau vorschlägt. Nur das Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei hatte den Mut, klar zu machen, dass bereits die Frage des Werkbunds an einem grundfalschen, weil historisch hoch bedeutenden und völlig intakten Objekt gestellt wurde. Rund um ein exquisites Modell des Pavillons argumentierten die Stuttgarter Architekten, dass man sich durch »Fluch(t)« nicht der Geschichte entziehen kann, dass Architektur »keine Schuld« trägt, der Bau sehr erfolgreich der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte gedient habe und Teil eines Ensembles sei. Punkt.
Es war also nur folgerichtig, dass die Antworten auf die Frage nach dem zeitgemäßen Umgang mit dem Pavillon letztlich Formenspiele blieben und nicht einmal ein Rundumbild der aktuellen Architekturhaltungen in Deutschland ergeben – dazu fehlen Architekten, die mehr technisch, mehr ökologisch, mehr kommerziell, aus der Position etwa von Immigranten oder sonstigen Minderheiten heraus denken. V. a. jedoch fehlt bis auf Brandlhubers Arbeit eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff »Moderne«. Sie aber ist das Thema von Rem Koolhaas‘ Architekturbiennale. Der Werkbund zeigt stattdessen Architekten immer noch als Herren der Geschichte. Wenn das die »Moderne« sein soll oder gar »modern«, haben wir zu wenig gelernt.
Der Autor ist ausgebildeter Kunstwissenschaftler und Architekt. Er arbeitet als Architekturkritiker in Berlin.
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