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Der ewige Stimmann

Diskurs
Der ewige Stimmann

Hans Stimmann kann es nicht lassen. Auch ohne öffentliches Amt bastelt der einstige Senatsbaudirektor weiter an seinem Steckenpferd, der Transformation

~Jürgen Tietz

Berlins in einen architekturgeschichtlichen Themenpark. Befreit von den Rücksichten des Amtes und dem einst von ihm selbst gesteckten Rahmen des »Planwerks Innenstadt«, tritt er mit seiner jüngsten Veröffentlichung dafür ein, auf dem Marx-Engels-Forum eine »Berliner Altstadt« in An- lehnung an den historischen Stadtgrundriss zu pflanzen. Man kann diese synthetischen Architekturwelten mögen oder nicht. Man kann die Ent- würfe für das halten, was sie sind: eine ziemlich peinliche Bankrotterklärung der bankrotten Hauptstadt einer selbst erklärten Baukulturnation. Und man muss natürlich auch den polternden Stil des Politik-Pensionärs nicht goutieren, der seit Jahren die lärmige Rolle des Dieter Bohlen der Berliner Stadtplanung gibt.
Wer sich aber darüber aufregt, dass sich Stimmann nach seiner Amtsab- gabe nicht stillschweigend auf’s Altenteil zurückzieht, sondern stattdessen alte Beziehungen spielen lässt, um sich und seine Ideen zu produzieren, der hat nicht nur die Politikerkaste nicht verstanden, sondern zeigt auch ein demokratisches Defizit. Denn egal wie man zur stadtplanerischer Klientelpolitik Stimmanns steht – er kann sie publizieren, wie und wo er will. Schließlich regt sich ja auch niemand über den gut tausendseitigen Berlin-Mitte Architekturführer der ehemaligen Baustadträtin Dorothee Dubrau auf.
Es ist an der Stadt Berlin, eine angemessene Alternative zu Stimmanns Idee aufzuzeigen – wobei ja auch beredtes Schweigen ein Weg sein könnte. Doch damit tut sich der derzeit zwischen Abstimmungsniederlagen und S-Bahn-Chaos waidwund schlingernde Rot-Rote-Senat schwer. Nun hat Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher versucht, eine Antwort auf den Fehdehandschuh ihres Amtsvorgängers zu formulieren. Bisher hat sich die Schweizerin mühsam und ohne Fortune durch den Berliner Architektursumpf gekämpft. Ihre – gute – Idee einer partizipatorischen Stadtentwicklung vermag sie nur schwer gegen die etablierten Strukturen in Politik, bei Investoren, Medien und Architekten der Hauptstadt durchzusetzen. Dabei zeigt sich am Quartier Heidestraße sehr wohl, welche andere, zukunfts- weisende Entwicklung der Stadt mit Lüscher möglich wäre: Annähernd zwei Mal so groß wie der Potsdamer Platz soll das innerstädtische Areal gleich neben dem Hauptbahnhof in den kommenden Jahren nach einem Masterplan von KCAP/Astoc entwickelt werden – und setzt dabei nicht allein auf Berliner Blockrandschließungen. Den Auftakt macht das Total-Hochhaus nach einem Entwurf von Barkow Leibinger, das 2012 fertiggestellt werden soll.
Doch beim »Zukunftsraum historische Mitte – Rathausforum«, für den Lüscher von den drei Berliner Büros David Chipperfield, Graft und Gabriele Kiefer gemeinsam fünf alternative Szenarien hat entwerfen lassen, beweist sie keine glückliche Hand. Denn damit akzeptiert die Senatsverwaltung einen Handlungsbedarf auf diesem Areal der Stadt, das sich zwischen dem künftigen Stadtschloss und dem Fernsehturm erstreckt, also gleich vor der Haustür des Regierenden Bürgermeisters im Roten Rathaus. Doch existiert der wirklich – jenseits von Stimmanns retrospektivem Seelen- frieden?
Da die Büchse der Pandora nun einmal geöffnet wurde, müssen sich die vorgestellten Lösungen beweisen. Und die haben es in sich: Denn wenn der Architekt nichts weiß, macht er bekanntlich einen Kreis. Oder er flutet das Gelände, legt einen archäologischen Park an oder schafft eine Veranstaltungsfläche. Das sollen in einem Wettbewerb, in dem »das Spinnen« ausdrücklich erlaubt war, die Alternativen zu Stimmanns drögen Altstadtvisionen sein? Langweilig, langweiliger, Berlin! Im Zeitalter der »starken Bilder«, von denen Fritz Pleitgen als Frontmann der Ruhr 2010 in den letzten Tagen nicht müde wurde zu reden, holt man sich mit einem gefluteten Platz vor dem Roten Rathaus bestenfalls nasse Füße! Oder habe ich da eine subversive Note übersehen, weil jemand Klaus Wowereit zu Berlins Regierendem Bademeister mutieren lassen möchte?
Aber im Ernst: Es ist dieser schmerzhafte Mangel an Vision, wenn es um die Zukunft der Stadt geht, der der Stimmannschen Mission letztlich in die Hände spielt. Seine Planspiele sind zwar ebenfalls banal. Aber sie hätten vermutlich die Chance, einen Investor zu finden. Generieren sie doch neue Grundstücke und versprechen durch ihre Tripple-A-Lage nette Rendite. Investorenherz, was willst du mehr?
Die Entwürfe, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegeben hat, weisen nicht in die Zukunft. Denn selbst, wenn irgendwann einmal die Veranstaltungs-Dauer-Silvesterparty vor dem Brandenburger Tor schließt, um vor dem Roten Rathaus weiter zu feiern, weil man dort viel mehr Platz hat, dann ist das bestenfalls Pragmatismus. Mit fantasievoller oder zumindest nachhaltiger Stadtgestaltung hat das nur wenig zu tun. Die Diskussion um Stimmanns pseudohistorisches Steckenpferd zeigt, dass sich die politische Klasse und die architektonische »Elite« Berlins zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung zwischen bleierner Behäbigkeit und Geschichtsrevisionismus im Schwarzplan der Stadt festgefahren haben.
Der Autor studierte Kunstgeschichte und arbeitet als Architekturkritiker und Buchautor in Berlin.
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