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Der Blick nach Osten

»Emerging Identities – East!« – Aktuelles Architekturgeschehen in Osteuropa
Der Blick nach Osten

Viel zu selten blicken wir nach Osteuropa, dessen Länder und Gesellschaften sich in einem rasanten Veränderungsprozess befinden. Ein Prozess, der sie dem Westen immer näher bringt und nicht selten von sehr jungen Akteuren gestaltet wird. Wenn überhaupt, dann ist der deutsche Blick meist allein auf Russland oder Polen gerichtet, die anderen Länder werden kaum wahrgenommen, denn in unserer Haltung gegenüber »dem Osten« überwiegt nach wie vor Ignoranz und Arroganz; doch ist Osteuropa bei Weitem nicht nur ein Armutsraum mit einigen alten Städten.

Die ambitionierte Ausstellung »Emerging Identities – East!« im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin wirft nun endlich einen Rundumblick auf die junge Architekturszene verschiedener Länder Ost- und Mitteleuropas. Wurden zuvor an anderen Ausstellungsorten schon hier und dort einzelne Länder präsentiert, so bringt das DAZ nun mehr als 80 junge Architekturbüros aus neun verschiedenen Ländern zur größten Gesamtschau zeitgenössischer Architektur aus Ost- und Mitteleuropa zusammen. »Brücken bauen und Verständnis wecken« ist das Ziel der jungen Direktorin Kristien Ring, die mit amerikanisch unbefangenem Blick die Architekturszenen der baltischen Staaten Polens, Sloweniens, Ungarns, Tschechiens und der Slowakei erkundet und diese mit der Berliner Szene in Zusammenhang bringt. Das Programm der Mitbegründerin der früheren Berliner »Suitcase Galerie« – die zur Jahreswende aus finanziellen Gründen leider schließen musste – zielt auf die Bildung eines länderübergreifenden Netzwerks von Architekten ab. »Begegnungen und Vergleiche« will die Ausstellung möglich machen und so werden auf neun »Länder-Inseln« Länderdaten, Architekten, ihr Werdegang und jeweils mehrere ihrer Projekte informativ präsentiert. Zusätzliche 40 Bauten erfahren außerhalb der Inseln eine ausführliche monografische Darstellung. Über Landesgrenzen hinweg sind diese nach Bauaufgaben zusammengefasst und erlauben so einen direkten Vergleich.
Viele osteuropäische Kritiker waren zur Eröffnung der als Wanderausstellung konzipierten Schau in Berlin und kritisierten – nicht ganz unberechtigt – ihren Titel. Um gewachsene europäische Kulturräume mit teilweise neuen Protagonisten handele es sich bei ihren Ländern, nicht um junge, ungefestigte Identitäten im Werden. Als »jung« erwiesen sich die teilweise bereits Anfang der Neunziger Jahre gegründeten Büros beim näheren Hinsehen ohnehin nur relativ. Angesichts sehr unterschiedlicher Arbeitsbedingungen für Architekten in den einzelnen Ländern waren die Ausstellungsmacher gezwungen, das Alterskriterium recht flexibel anzuwenden. Mit vielen Architekten um die Dreißig präsentieren sich die Szenen Lettlands und Estlands überraschend jung. Sind die Projekte zum überwiegenden Teil bisher auch nicht umgesetzt, so handelt es sich um sehr progressive Raumexperimente, die schon bald realisiert werden sollen. Aus der Slowakei sind lediglich Architekten aus der Hauptstadt Bratislava vertreten, da über das architektonische Geschehen in der Provinz zu wenig Informationen vorlagen. In Tschechien, Polen und Ungarn fanden sich hingegen erfreulich viele Architekturbüros auch außerhalb der Hauptstädte.
So präsentieren die Ausstellung und der zweisprachige Katalog eine Entdeckungsreise zu Ländern im Umbruch, zu Architekturen und Architekten auf der Suche nach eigener Identität. Im Katalog wagen verschiedene Autoren ausführliche Statements zu ihren Baukulturen und den gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs; sie skizzieren sehr unterschiedliche Grade der Konsolidierung und Profilierung, die teilweise historische Rekurse andeuten. Nicht zuletzt zeigt die Ausstellung auf den Länder-Inseln auch ältere Bauten der jeweiligen Länder, auf die sich die Architekten heute zu beziehen versuchen.
Mit seiner »postorganischen Architektur« und der Neigung zur Verwendung von Backstein scheint Ungarn das klarste nationale Profil zu besitzen. Danach folgt Slowenien, wo zwei Tendenzen in Nachfolge des Brutalismus der Siebziger und des Regionalismus der Achtziger prägnante Gebäude hervorbringen. Estland und Tschechien, deren Architekten in großer Zahl im Ausland Studien- und Berufserfahrungen sammelten, präsentieren sich weltoffen, unverkennbar sind die Einflüsse aus den Niederlanden, Österreich oder Skandinavien.
Die zweitägige Eröffnungskonferenz konnte nicht ganz überzeugen, da viele Beiträge in reine Werkvorträge ausarteten und nur wenige Referenten Verknüpfungen herstellten. Mehr inhaltliche Positionierung, mehr Informationen zum kulturellen Hintergrund der Länder und nicht zuletzt mehr Dialog hätte man sich hier gewünscht. Vielleicht wird dies mit der Vortragsreihe im Februar eingelöst, bei der weniger bauende Architekten als Architekturvermittler sprechen werden. Doch eine inhaltliche Positionierung scheint leider nicht die Sache der jungen Direktorin des DAZ, die sehr engagiert die Institution wiederbelebt hat, aber sich für jede Ausstellung auf die Geldsuche begeben muss.
Was ihr zweifellos mit »Emerging Identities – East!« gelungen ist: eine Begegnungsplattform zu schaffen. Schon in den ersten Tagen zeichnete sich ab, dass der besondere Anlass viele Architekten dieser Länder erstmals zusammengebracht hat, dass der geografische Raum nun wieder verstärkt als ein großer Kulturraum wahrgenommen wird. Claus Käpplinger
Der Autor ist freier Architektur- und Stadtkritiker. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Bis 20. Februar 2006, Deutsches Architektur Zentrum, DAZ, Katalog bei Jovis, 18 Euro. www.daz.de
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